»Es ist immer ein Scheitern, wenn Polizei in der Universität tätig werden muss«

Die Besetzung des Rektorats vom 17. bis 20. Juni 2009

Rektorat der Uni Heidelberg besetztIm Anschluss an die Demo am 17. Juni zogen etwa 300 Studierende auf der Suche nach einem Adressaten für ihren Unimut und ihre Forderungen in die Alte Universität. Vor den verschlossenen Türen des Rektorats versuchte die Pressesprecherin Frau Fuhrmann-Koch die Situation unter Kontrolle zu bekommen. Es herrschte Demoatmosphere und Chaos während die Protestierenden sich zu organisieren suchten. Als von Seiten des Rektorats das geforderte Gespräch mit Rektor Bernhard Eitel für 19:15 Uhr zugesichert wurde, versammelten sich die Studierenden im Senatssaal, um sich auf das Gespräch vorzubereiten. In einem basisdemokratischen Prozess wurden die zentralen Kritikpunkte herausgearbeitet. Hierbei unterschieden die Studierenden explizit zwischen den Forderungen an Rektor Eitel bzw. den Senat und den Universitätsrat der Uni Heidelberg, die im Rahmen des Landeshochschulgesetzes an der Uni Heidelberg direkt umgesetzt werden könnten, und den Forderungen an die Landesregierung.

Das Gespräch mit Rektor Eitel

Auch für das Gespräch mit dem Rektor wurden die Prinzipien der Basisdemokratie nicht außer Kraft gesetzt. So fand sich Bernhard Eitel als gleichberechtigtes Mitglied im Plenum der Studierenden wieder. Von einer Redeleitung strukturiert, brachten die Studierenden ihre Kritikpunkte und Forderungen vor. Der Rektor sah zahlreiche Gemeinsamkeiten und betonte immer wieder: „Da bin ich ganz bei Ihnen.“ Konkrete Zusagen machte er jedoch nicht, sondern verwies auf, die seiner Meinung nach, für die Probleme zuständigen Instanzen – die Landesregierung in Bezug auf die Unterfinanzierung, vor allem der Geisteswissenschaften und die Institutsleitungen bei der Ausgestaltung der Bachelor/Master Prüfungsordnungen. Auf die konkrete Frage nach einer Demokratisierung der Uni Heidelberg, verneinte der Rektor, dass er einem Antrag auf Erhöhung des Anteils studentischer Vertreter im Senat zustimmen würde.

Insgesamt verlief das etwa 60minütige Gespräch für alle Beteiligten enttäuschend. Die Studierenden entschieden sich im Rektorat zu bleiben – zumindest bis es zu einer ernsthaften Diskussion mit dem Rektorat über ihre Forderungen käme. Der Rektor machte von seinem Hausrecht Gebrauch und drohte mit der Räumung der Alten Uni. Während zahlreiche Hände die Infrastruktur der Besetzung aufbauten, gingen die Diskussionen im übervollen Senatssaal weiter, bis in die Nacht wurden die Forderungen konkretisiert und sich mit der rechtlichen Situation auseinander gesetzt.

Die Besetzung

Besetzung des Rektorats der Uni HeidelbergAm Donnerstag morgen der erste Blick in die Zeitungen. Der Rektor gibt an, er habe „in den vergangenen Tagen mehrfach zum Teil mehrstündige Gespräche mit den Studierenden geführt“ sowie „auf Dialog und die Kraft der Argumente“ gesetzt. Deutliche Unterschiede zwischen Pressedarstellungen und dem in der Alten Uni Erlebten.

Die Öffentlichkeit zu erreichen, die Forderungen zum Gesprächsthema machen, waren Ziele der Besetzung. Es ist den Studierenden wichtig, verstanden zu werden, mit anderen Studierenden, Dozierenden und AnwohnerInnen ins Gespräch zu kommen. Sie fordern Demokratie und Mitbestimmung und sehen den breiten gesellschaftlichen Konsens des Rechts auf demokratische Teilhabe auf ihrer Seite. Auf dem Uniplatz wurde ein Infostand eingerichtet, die Forderungen der Besetzung wurden in Mensen und Vorlesungen verteilt. Am Nachmittag kam die Presse in das Plenum der Alten Uni.

Unterdessen wurden die Forderungen weiter konkretisiert und insbesondere auf ihre Vereinbarkeit mit dem Landeshochschulgesetz geprüft. Es gründeten sich Arbeitsgruppen, die, sei es durch Kommunikation mit Dozierenden und Studierenden oder durch Aufräumen und Putzen der Räume der Alten Uni dazu beitrugen, dass die Besetzung aufrecht gehalten werden konnte. Parallel fanden im Rahmen einer Alternativuni zahlreiche inhaltliche Veranstaltungen zu den Themen des Bildungsstreiks statt.
Trotz Übernächtigung und Anspannung wegen der erneuten Räumungsandrohung wurde die Diskussionskultur der Basisdemokratie und Konsensentscheidung nicht aufgegeben. Bis spät in die Nacht arbeiteten die Studierenden der Alten Uni an den Konkretisierungen ihrer Forderungen und  gelangten letzlich zu einer Konsensentscheidung.

Am Freitag kamen Prorektor Roth für das Rektorat und der Einsatzleiter der Polizei, um mit den Studiernden zu sprechen. Doch auch dieses Gespräch verlief enttäuschend. Inhaltlich wollte sich  Herr Roth gar nicht äußern. Den Studierenden ging es aber gerade darum. Ohne in irgendeiner Weise auf die Forderungen der Besetzung einzugehen, wurden die Besetzenden aufgefordert, das Gebäude bis zum Abend zu verlassen. Zugesichert bekamen sie im Gegenzug ein zweistündiges Gespräch mit Rektor Eitel in der folgenden Woche. Doch hatte bereits die Besetzung des Romanistischen Seminars im Mai gezeigt, dass der Rektor sich in einem Gespräch nach Auflösung der Besetzung noch weniger kompromissbereit zeigte.

Am Nachmittag bekamen die Besetzenden noch einmal Zulauf. Die Menschenkette, die mit 3000 Menschen symbolisch die – nicht nur räumlich – getrennten Teile der Universität: Altstadt und Feld verband, versammelte sich im Anschluss vor der Alten Uni, wo sich über die Besetzung und ihre Forderungen informiert wurde, viele blieben und beteiligten sich. Unter anderen Lothar Binding (Mitglied des deutschen Bundestages) „beglückwünschte“ die Akteure, „sich in so einer friedlichen Art und Weise für eine demokratische Hochschule einzusetzen.“ Rektor Eitel hingegen bekräftigte: „Das Rektoratsgebäude zu besetzen, verstößt gegen alle gültigen Regeln.“ Den Studierenden, die sich an der Besetzung beteiligten, war sehr wohl bewusst, dass sie gegen geltende Gesetze und nach ihren persönlichen moralischen Vorstellungen handelten. Um für Werte wie die Demokratisierung der Hochschule zu kämpfen, nahmen sie persönliche Nachteile, wie eine strafrechtliche Verfolgung, in Kauf.

Das Angebot des Rektorats

Als am Abend Prorektor Roth kam, um ein Angebot des Rektorats vorzustellen, hatten die gut 350 Studierenden der Besetzung Mühe einen Platz auf dem Boden des Senatssaals zu finden. Das von Prorektor Roth vorgelesene Papier beinhaltete einige verbindlich zugesicherte Unverbindlichkeiten, von denen die konkreteste die Einrichtung eines „Think Tank“ darstellte. Hier sollten in beratender Funktion Studierende und ProfessorInnen gemeinsam „Ideen“ entwickeln. Eine verbindliche Beteiligung an Entscheidungsprozessen verneinte das Rektorat unter Verweis auf die Effizienz hierarchischer Strukturen. Auf die Frage nach einer Stellungnahme zu den von den Besetzenden ausgearbeiteten Forderungen gab Prorektor Roth zu, er habe das Forderungspapier „nur überflogen“. Auch verweigerte der Prorektor, das vorgelesene Angebot den Studierenden zur Diskussion zu überlassen, denn es gehe „um die Idee und nicht darum, sich an einzelnen Formulierungen aufzuhängen.“

Im Anschluss an das Gespräch wurde bis in die Nacht über das weitere Vorgehen diskutiert. Etwa 300 der 500-600 Anwesenden beteiligten sich an den Plena, viele waren neu dazugekommen und das Meinungsspektrum war erheblich breiter geworden als die Tage zuvor. Außerdem erschwerte der Druck des, für diesen Abend von Prorektor Roth angekündigten, Polizeigewaltanwendung eine Einigung. Es dauerte bis 3:30 Uhr bis schließlich ein Konsens gefunden wurde, der an die Universitätsleitung geschickt wurde. Es war jedoch bereits um 22:00 Uhr, also 30 Minuten nachdem Prorektor Roth die Alte Uni verlassen hatte, der Räumungsbefehl bei der Polizei eingegangen.

Die Räumung

Die Räumung des besetzten Rektorats der Uni HeidelbergAm Samstag morgen um sieben Uhr fuhren 30 Kastenwägen auf den Universitätsplatz. Rund 300 gepanzerte und mit Schlagstöcken ausgerüstete Polizeikräfte sperrten die Alten Uni ab und begannen mit der Räumung des Rektorats. 112 Menschen wurden von der Polizei aus dem Gebäude entfernt und widerrechtlich erkennungsdienstlich behandelt.

Der Presse wurde die Sicht auf den Räumungsvorgang durch vor dem Eingang aufgestellte Kastenwägen verwehrt. Nach Aussagen der Besetzenden agierte die Polizei gespalten. Einige BeamtInnen äußerten Verständnis für die Forderungen der Studierenden, andere machten auf  unverhältnismäßige Weise Gebrauch von ihrer Amtsmacht.

Bei den an der Besetzung Beteiligten löste das Vorgehen des Rektorats Fassungslosigkeit aus. In den folgenden Tagen trauerten zahlreiche Menschen mit Blumen und Kerzen um den friedlichen Protest. Gleichzeitig ging die politische Arbeit jedoch weiter. Noch am Tag der Räumung bildeten sich neue Arbeitskreise, es finden immer noch mehrmals wöchentlich Plena statt und es werden weiter Gespräche mit Studierenden und Dozierenden gesucht. Die Rücknahme der Strafanträge wurde durch eine Petition mit mittlerweile rund 6000 UnterzeichnerInnen bewirkt und am 29. Juni wurde auf einer  Vollversammlung das weitere Vorgehen abgestimmt.

Der Protest hat viele Studierende politisiert, viele Mitglieder der Universität zum Nachdenken angeregt. Es ist eine Bewegung entstanden, die weiter für die Umsetzung der erarbeiteten Forderungen und einen Dialog mit dem Rektorat hinarbeitet.

von Nina Marie Bust-Bartels

 

erschienen in un!mut no. 199: Themenheft Bildungsstreik vom 2. Juli 2009

Letzte Änderung: 27.11.2011
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