Verbot der Frakturschriften durch die Nationalsozialisten

 

Schrift ist nicht nur ein äußerliches Medium zum Transport für sogenannte Inhalte, denen gegenüber sie sich irgendwie neutral verhält, sondern die Schriftart trägt selbst essentiell zum Gehalt des Geschriebenen bei. Diese Tatsache lässt sich wohl kaum an einer anderen Schriftart besser verdeutlichen als anhand der Frakturschriften, die im kollektiven Gedächtnis tief eingebrannt den Stempel der Nazi-Schrift per se zu haben scheinen.

So benutzen Neonazis diese Schrift gerne, um NS-verherrlichende Botschaften auf ihrer Kleidung und/oder Körperteilen zu verewigen und politisch anders Gesinnte, um vor jener ›braunen Gefahr‹ zu warnen: Eine österreichische Wahlannonce von 1994 »Gehen Sie wählen! Andere tun es auch.« nutzt die beiden Schriftarten Antiqua und Fraktur, um die politischen Gesinnungen der beiden Wählergruppen darzustellen und vor einem Anstieg der Rechten Wahlbeteiligung zu warnen. Auch Klaus Staeck, einer der bedeutendsten Plakatkünstler Deutschlands aus der Heidelberger Ingrimstraße, benutzt für seine Plakate gerne Frakturschriften, um einen nationalsozialistischen Assoziationsspielraum zu eröffnen. So heißt es auf einem seiner berühmtesten Plakate aus dem Jahre 1972 »Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen« und auf einem aktuellen Plakat steht oberhalb von einer Menge glatzköpfiger Neonazis in Frakturschrift: »Herr, lass Hirn regnen auf diese Häupter«. Aber auch die Bild-Zeitung (»Droht ein neuer Hitler?«, im April 1992) und der Spiegel (»Die unheimlichen Deutschen«, 51/1989) benutzen die Frakturschrift regelmäßig, um auf Ihren Titelblättern auf die braune Vergangenheit Deutschlands hinzuweisen; und auch Comic-Zeichner lassen alte und neue ›Nazis‹ gerne in Frakturschrift ›sprechen‹.

Bormann Schreiben1941
Faksimile des offiziellen Schreibens Martin Bormanns vom 3. Januar 1941, das die Verwendung der Frakturschriften »im Auftrage des Führers« untersagte.

Angesichts dessen erstaunt es umso mehr, dass die Nationalsozialisten keine Befürworter der Frakturschrift waren, sondern im Gegenteil ihre Verwendung in einem Rundschreiben der Reichskanzlei »im Auftrage des Führers« vom 3. Januar 1941 sogar verboten. Die »Antiqua-Schrift« soll gemäß des Erlasses »künfitig als Normal-Schrift« bezeichnet werden, »Die Verwendung der Schwabacher Judenlettern durch Behörden wird künftig unterbleiben« und »Nach und nach sollen sämtliche Druckerzeugnisse auf diese Normal-Schrift umgestellt werden«.

Begründet wurde dieser Beschluss, indem die Herkunft der »gotischen Schrift« (Fraktur) auf sogenannte »Schwabacher Judenlettern« zurückgeführt wurde. Die Schwabacher Schrift ist eine der zahlreichen Frakturschriften, die bereits seit dem 15. Jahrhundert Verwendung findet. Dass sie von Jüdinnen und Juden entwickelt worden sein sollte, ist ebenso falsch, wie alle anderen scheinbaren Begründungen, die Martin Bormann als Rechtfertigung des Verbots zur Verwendung der Frakturschriften anführt. Jüdinnen und Juden war es aufgrund der strengen Zunftgesetze nicht einmal erlaubt, in einer Druckerei zu arbeiten, geschweige denn eine solche zu erwerben.

Der eigentliche Grund für das Verbot war die Überlegung, dass für das Ausland bestimmte Schriften, die in Frakturschrift gedruckt waren, für jene besetzte Bevölkerungsgruppen, die ansonsten Antiqua-Schrift zu lesen gewohnt waren, nur schwer oder gar nicht lesbar waren. Das Frakturverbot war also eine pragmatische Entscheidung der Nationalsozialisten: Wollte man zur ›Weltmacht‹ aufsteigen, musste man auch eine Schrift verwenden, die die ganze Welt lesen konnte.

Dem nationalsozialistischen Erlass vom 3. Januar 1941 wurde besonders in der Nachkriegszeit Folge geleistet. Die Anzahl der in Fraktur gedruckten Bücher nahm innerhalb kürzester Zeit rasant ab, so wurde der Duden 1941 ein letztes Mal in Fraktur gedruckt und ihr Anteil geht heute (abgesehen von rechtsradikalen Propagandablättern) beinahe gegen Null. Eine der wenigen Ausnahmen bildet der 1994 in Schwabacher Schrift gesetzter Band »Meine Chancen« von Jacques Derrida, der sich explizit als Auflehnung gegen das Fraktur-Verbot von 1941 versteht.

von Janina Reibold

 

erschienen in un!mut no. 206: Themenheft zum Nationalsozialismus in Heidelberg vom 7. Juli 2010


 

Letzte Änderung: 26.08.2012
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