Die Exzellenzinitiative

Vorhang auf für Heidelbergs neueste Theateraufführung

Nun heißt es warten – und hoffen. Eine erste Skizze wurde bereits zum 1. September 2010 abgegeben, dann kam Anfang März 2011 die erhoffte Nachricht, dass Interesse am vollständigen Drehbuch bestehe. Es folgte eine monatelange emsige Ausarbeitung desselben, Proben über Proben und schließlich am 29. und 30. November 2011 die lang ersehnte finale Aufführung des Stücks. Nun liegt die Entscheidung in der Hand der Jury. Daher hilft es bis zur Siegerehrung am 15. Juni 2012 nur, »Geduld aufzubringen und zu hoffen, dass wir mit unserer Konzeption überzeugend aufgetreten sind«, erklärt Joachim Funke, Sprecher des Senats. Nachdem die Uni Heidelberg bereits 2007 den mit mehreren Millionen dotierten Exzellenz-Theater-Wettbewerb gewonnen hat, sind die Erwartungen natürlich entsprechend hoch und die Enttäuschungen im Falle einer Niederlage kaum vorstellbar. Tröstlich lediglich, dass immerhin bis zu zwölf erste Plätze zu vergeben sind.

Neben den bekannten neun Siegern von 2006 und 2007 sind aber auch einige gefährliche Newcomer in den Vorplatz des Theaterhimmels aufgestiegen und mit Spannung erwarten die Zuschauer, wer diesmal siegen wird – im härtesten Kampf des Jahres! Wer wird Deutschlands Super-Uni?

 

Tritt man einen Schritt zurück, erinnert die Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder tatsächlich in vielen Punkten mehr einem Theaterwettbewerb oder einer Castingshow als einer Forschungsförderung nach streng wissenschaftlichen Maßstäben. Das liegt zum einen an dem enormen Medienrummel, den Bildungsministerin Annette Schavan und der omnipräsente DFG-Präsident Matthias Kleiner darum aufgebauscht haben, zum anderen und vor allem aber an der strukturellen Einrichtung dieser Art von Wissenschaftsförderung.

Durch ihre starke Medienpräsenz bedient die Exzellenzinitiative den scheinbaren Geschmack des Publikums an der Spannung des öffentlich ausgetragenen Wettkampfs, altbekannt im Sport, neuerdings aber auch sehr beliebt als ›knallharte‹ Castingshows in der Musikbranche. Das mehrstufig angelegte Auswahlverfahren, wo immer wieder die Zwischensieger lautstark bekanntgegeben werden, die Spannung aber aufrechterhalten werden soll, indem geflissentlich betont wird, dass sich immer noch alles ändern könne, nichts entschieden sei und keiner sich zu früh freuen solle, denn auf die Etappensieger warte noch die nächste Herausforderung …

 

Spielregeln

Ausgetragen wird der zu 3/4 vom Bund und 1/4 von den Ländern finanzierte Uni-Wettstreit von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Wissenschaftsrat. »Der Wissenschaftsrat berät die Bundesregierung und die Regierungen der Länder in Fragen der inhaltlichen und strukturellen Entwicklung der Hochschulen, der Wissenschaft und der Forschung.« (wissenschaftsrat.de), unterliegt aber laut dem Bericht des Datenschutzbeauftragten an den Deutschen Bundestag vom 8.4.2008 (Drucksache 16/8500, S. 67) nicht dem Informationsfreiheitsgesetz (das der Transparenz behördlicher Entscheidungen dient). Gleiches gilt für die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die zwar mit der hoheitlichen Aufgabe der Wissenschaftsförderung betraut ist, als eingetragener Verein aber ebenfalls keine Rechenschaft über ihre Entscheidungen abgeben muss. Die Kriterien, nach denen die Exzellenz-Millionen vergeben wurden und werden, müssen also von den beiden vergebenden Einrichtungen DFG und Wissenschaftsrat nicht offengelegt werden. (vgl. hierzu ausführlich un!mut no. 198 & no. 213)

Bewerben können sich die Universitäten mit Anträgen zu (1.) Graduiertenakademien (Nachwuchswissenschafler-Schmieden, die jährlich je etwa 1 Millionen Euro bekommen), (2.) Exzellenzclustern (jährlich durchschnittlich 6,5 Millionen Euro pro Cluster), »in denen Universitäten, außeruniversitäre Forschungsinstitute und oftmals auch die Wirtschaft besonders zukunftsträchtige Themen bearbeiten« (exzellenz-initiative.de) sowie (3.) mit sogenannten »Zukunftskonzepten« (dotiert mit 13,5 Millionen Euro jährlich), »mit denen Universitäten sich als Ganze zu international wettbewerbsfähigen Forschungsuniversitäten fortentwickeln« (ebd.). Lediglich jene Universitäten, die in allen drei Bereichen Punkte sammeln, dürfen sich die Bezeichnung »Eliteuniversität« auf die Fahne schreiben.

2006 konnte die Uni Heidelberg lediglich in den ersten beiden Bereichen, also bei den Graduiertenakademien und den Clustern, Erfolge verbuchen; ihr Zukunftskonzept wurde wegen mangelnder Einbeziehung der Geisteswissenschaften damals knapp abgelehnt (man erinnere sich daran, dass die bereits geplante Siegesfeier kurzfristig wieder abgesagt werden musste). 2007 wurde das Zukunftskonzept dann entsprechend ausgebaut und war mit dem seltsam pleonastischen Titel »Zukunft einer Volluniversität« (vielleicht sollten die Organisatoren mal nachschlagen, was »Universität« bedeutet) erfolgreich. Entsprechend wurde der Universitätsetat für fünf Jahre, von 2007 bis 2012, um mehrere Millionen Euro aufgestockt.

Im Sommer 2012 fällt nun die Entscheidung, welche Universitäten für weitere fünf Jahre bis 2017 in den Genuss der Exzellenz-Millionen kommen werden. Eigentlich sollte es eine Verlängerung der bisher geförderten Projekte sein, aber weil man ja im Leben schließlich nichts geschenkt bekommt, auch als Universität nicht, müssen die bereits exzellenten Universitäten erneut beweisen, ob sie immer noch so exzellent sind wie vor fünf Jahren. Aber halt, nicht wie vor fünf Jahren, sondern lediglich wie vor zwei Jahren, denn zwar wurden Millionen von Euros im Zuge der Exzellenzinitiative einzelnen Forschungsprojekten und Universitäten für fünf volle Jahre von 2007 bis 2012 zur Verfügung gestellt, aber die erste Abgabefrist für eine Verlängerung um weitere fünf Jahre war bereits im März 2010 und zieht sich nun bis zum Ende der Förderung 2012 hin, so dass mindestens die Hälfte der geförderten Zeit für das Schreiben von Anträgen, Selbst- und Fremdevaluationen, Aufpeppen der bisherigen Forschungsleistungen (die sie aufgrund der Kürze der Zeit meist noch gar nicht vorweisen können) sowie dem Erfinden von neuen Forschungsprojekten statt dem Erforschen der bereits bewilligten Projekte aufgebracht werden müssen.

 

Interprostitution

Die Bezeichnung »Exzellenzinitiative« suggeriert, dass hier tatsächlich exzellente Forschungsleistungen ausgezeichnet und mit viel Geld belohnt würden. In Wirklichkeit verhält es sich aber so, dass nicht Forschung, sondern Forschungsvorhaben, also Anträge ausgezeichnet werden. Das ist so, wie wenn ein Studierender bereits für die Präsentation einer guten Idee zu einer Hausarbeit eine 1,0 bekommt und die Frage, ob und wie er diese Idee entwickelt und ausführt, keine Rolle mehr spielt. Zugegebenermaßen ist eine gute Idee der Ausgangspunkt für jede Forschungsleistung, aber sie allein reicht nun einmal bekanntlich nicht aus – und Wissenschaft bedeutet eben ein wenig mehr, als gute Ideen zu haben.

Liest man sich die 85 als exzellent ausgezeichneten Anträge und Kurzbeschreibungen von 2006 und 2007 durch, findet man sich mit einer befremdlich einförmigen Antragsprosa konfrontiert, die bereits nach kurzer Zeit ein fast körperliches Unwohlsein auslöst. Wie einen auch in den Musik-Charts ein ewiger Gleichklang umnebelt, so findet sich bei diesen scheinbar so exzellenten Forschungsvorhaben ein sprachlicher Einheitsbrei, der einen fast vergessen lässt, dass es in der deutschen Sprache noch andere Wörter als jene inflationär gebrauchten großen ›I‹s gibt: innovativ, interdisziplinär und international. Völlig sinnentleert werden sie als Codes der ach so exzellenten Wissenschaft an jeder syntaktisch möglichen Stelle eingesetzt; haben keine semantische Referenz, sondern dienen lediglich der Selbstdarstellung und sind Ausweis, dass der Antragsteller weiß, welche Worthülsen gerade gefördert werden.

Getoppt wird das ganze dann nur noch durch die »Begehung« der Universitäten durch die Exzellenzkommission von DFG und Wissenschaftsrat, wo sich ansonsten sehr ernst zunehmende WissenschaftlerInnen in die Rolle von Unterhaltungskünstlern und Marketingstrategen begeben, sagen und machen, was die Geldgeber von ihnen verlangen, ihre Anträge untermalt mit multimedialen Effekten anpreisen und sich im wahrsten Sinne öffentlich zur Schau stellen (lat. prostituere). So wurde an der Uni Heidelberg die am 29./30. November 2011 stattgefundene Begehung sogar vorab geprobt: Um möglichst realistische Bedingungen zu schaffen, mussten bei der Generalprobe sogar einige WissenschaftlerInnen in die Rolle der ›bad guys‹, das sind DFG und Wissenschaftsrat, schlüpfen.

Dass so etwas keinE WissenschaftlerIn freiwillig macht, versteht sich von selbst und führt direkt vom Symptom der Antragsmonotonie zu der Ursache, nämlich der chronischen Unterfinanzierung der Universitäten. Zur Zeit wird bspw. über die Hälfte des Personaletats der Uni Heidelberg aus Drittmitteln finanziert. Der Großteil des Etats gehört also nicht zur von den Ländern gewährleisteten Grundausstattung, sondern muss eigens Jahr für Jahr durch Anträge eingeworben werden. Die Exzellenzinitiative funktioniert nach dem gleichen Prinzip, nur dass Bund und Länder noch mal 1,9 Milliarden (von 2012-2017 dann sogar 2,7 Milliarden) zusätzlich bereitgestellt haben, die die Unis kompetitiv ergattern können.

Während der DFG-Präsident Matthias Kleiner dieses Wettbewerbssystem in einem duz-Interview 2010 noch als das »das bestmögliche System, weil es dabei nur auf Qualität ankommt, auf sonst nichts anderes.« bezeichnete, kommen ihm in den letzten Tagen anscheinend doch Zweifel an eben diesem System. Zwar singt er in seiner jüngsten DFG-Neujahrsansprache vom 16. Januar 2012 weiterhin das gewohnte Loblied auf die Exzellenzinitiative: »Sie ist der kritischen Einsicht entsprungen, dass das Dogma von der Gleichheit aller Universitäten gewissermaßen ins Mittelmaß geführt hatte. Durch Wettbewerb und Differenzierung wirkte sie als eine der weitreichendsten Umwälzungen der letzten Jahrzehnte.«, kritisiert aber ein wenig schizophren ein paar Seiten später in der gleichen Rede den »übermäßigen Wettbewerbsdruck und Drittmittelzwang im Wissenschaftssystem, denn sie halten vom Eigentlichen, vom Kern von Wissenschaft und Forschung ab.« Die Ursache sieht er »vor allem in der immer stärker wachsenden Konkurrenz um die immer knapperen Ressourcen für Lehre und drittmittelfreie Forschung, mithin in der mangelnden Grundfinanzierung unserer Universitäten.« und macht gar den Vorschlag, die Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt für die Bildung anzuheben …

Janina Reibold

erschienen in un!mut no. 214: Identitäten (23. Januar 2012)

 

Letzte Änderung: 26.08.2012
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