Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Weiße Wundheiler im Teebeutel

Dieser große „Teebeutel“ hat es in sich und dürfte manchem einen kleinen Ekelschauer über den Rücken jagen (Foto: Universitätsklinikum Heidelberg), denn er enthält 50 bis 300 Larven der Goldfliege (Lucilia sericata), einer Fliegenart, die ausschließlich abgestorbenes Gewebe frisst. Auf eine chronische, offene Wunde gelegt, geben die Larven durch ein feines Netz ein Sekret ab, das totes Gewebe verflüssigt. Dieses wird anschließend von den Tieren aufgesaugt. Dr. Mona Bidier, Fachärztin an der Hautklinik des Heidelberger Universitätsklinikums, sieht mehrere Vorteile in dieser Methode: „Das Verfahren ist weniger schmerzhaft als chirurgische Eingriffe – und es ist besonders geeignet bei Wunden, die von multiresistenten Keimen besiedelt sind, denn das Verdauungssekret der Larven reduziert die Keimbelastung.“ Einziger Nachteil der Therapie: „Man muss etwas mehr Geduld haben; es dauert circa vier bis zwölf Tage, bis deutliche Erfolge zu sehen sind.“

Für Patienten ist die Larventherapie zunächst etwas gewöhnungsbedürftig. Und sie haben vor allem zwei Befürchtungen: Tut das weh? Und können sich die Larven in der Wunde vermehren? „Es kann etwas kribbeln“, beruhigt Mona Bidier, weswegen Patienten auf Wunsch zusätzlich ein Schmerzmittel bekommen. Eine Vermehrung der Tiere ist ausgeschlossen, denn dazu müssten sich die Larven verpuppen und zu ausgewachsenen Fliegen entwickeln. Nach maximal vier Tagen sind die Larven bis zu zwölf Millimeter groß – ein Behandlungszyklus gilt als abgeschlossen und die kleinen Helfer werden bei Bedarf durch einen Beutel mit neuen, hungrigen Nachfolgern ersetzt. Keinesfalls reicht die Zeit zur Verpuppung oder gar zur Fortpflanzung.

In chronischen Wunden ist der geordnete Ablauf der Wundheilung gestört. Damit Wunden von Patienten etwa mit Druckgeschwüren (Dekubitus), offenen Beinen (venöser Insuffizienz) oder auch diabetischem Fuß heilen können und eine Infektion des umliegenden Gewebes verhindert wird, muss infiziertes oder abgestorbenes Gewebe entfernt werden. Der schnellste Weg ist das sogenannte chirurgische Débridement, das jedoch schmerzhaft und nur bei ausreichend durchblutetem Gewebe erfolgreich ist. Bei schwierigen Fällen können die Fliegenlarven mit ihren Verdauungssäften einspringen – und so eine Behandlung an kniffeligen Stellen bei geringerer Gabe von Schmerzmitteln und Antibiotika ermöglichen.

Larventherapie ist keine neue Erfindung. Bereits aus Zeiten Napoleons stammen Berichte eines Chirurgen, der beobachtete, dass Soldaten bessere Überlebenschancen hatten, wenn sie nach einer Verwundung länger auf dem Schlachtfeld gelegen hatten: Die Larven der „blauen Fliege“ hatten sich angesiedelt und ihr hilfreiches Werk begonnen.

Während des Ersten Weltkriegs wurde von US-amerikanischen Medizinern die Grundlage der modernen Larventherapie gelegt. Zahlreiche wissenschaftliche Publikationen dokumentierten die Wirkung der Fliegenlarven. Mit der zunehmenden Verbreitung des Penicillins, das einfacher in der Anwendung war, geriet die Verwendung von Fliegenlarven jedoch in Vergessenheit. Heute ist die starke Zunahme von multiresistenten Keimen ein Grund, warum ausgerechnet vermeintliches „Ungeziefer“ ein willkommener und schonender Helfer bei der Versorgung hartnäckiger, schmerzhafter Wunden ist.

Universitäts-Hautklinik Heidelberg

Behandlung chronischer Wunden