Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Kohlenstoff-Überdosis verdampft

Das Element Kohlenstoff und seine Verbindungen bilden die Grundlage des irdischen Lebens. Dass die Erde eine für das Leben und die Evolution offensichtlich optimale Zufuhr an Kohlenstoff erhielt, gründet in kurzzeitigen Aufheizprozessen im solaren Urnebel vor der Entstehung der Planeten unseres Sonnensystems, so ein von Wissenschaftlern der Universität Heidelberg entwickeltes Modell zur Kohlenstoffchemie. Die Forschungen von Prof. Dr. Hans-Peter Gail vom Zentrum für Astronomie und Prof. Dr. Mario Trieloff vom Klaus-Tschira-Labor für Kosmochemie am Institut für Geowissenschaften wurden jüngst in der Fachzeitschrift „Astronomy & Astrophysics“ veröffentlicht.

„Kohlenstoff ist auf der Erde ein eher selten vorkommendes Element. Zwar ist der Stoff nahe der Erdoberfläche in angereicherter Form vorhanden, bezogen auf den gesamten Stoffbestand der Erde beträgt sein Anteil allerdings nur etwa ein halbes Promille. In primitiven Kometen dagegen kann der Kohlenstoff-Anteil zehn Prozent und mehr ausmachen“, erklärt Mario Trieloff. Wie der Geochemiker weiter ausführt, stammen Kometen aus den kühlen Bereichen des äußeren Sonnensystems, wo flüchtiges Wasser und Kohlenstoff-Verbindungen zu Eis kondensierten. Forscher gehen mittlerweile davon aus, dass die junge Erde diese flüchtigen Elemente durch Einschläge von Asteroiden und Kometen gewonnen hat. Dennoch ist es ein Rätsel, warum die Kohlenstoff-Menge auf der Erde so gering ist.

„Ein beträchtlicher Anteil des Kohlenstoffs in Asteroiden und Kometen liegt in langkettigen und verzweigten Molekülen vor, die sich erst bei sehr hohen Temperaturen verflüchtigen. Modelliert man mit Standardmodellen die Reaktionen von Kohlenstoff im solaren Urnebel, aus dem die Sonne und die Planeten entstanden, müssten die Erde und auch andere terrestrische Planeten bis zu 100-mal mehr Kohlenstoff haben“, macht Hans-Peter Gail deutlich.

Blick auf eine Scheibe des Allende-Meteoriten mit millimetergroßen Gesteinskügelchen: Diese sogenannten Chondren sind durch intensive, kurzzeitige Aufheizprozesse im solaren Urnebel entstanden. Chondritische Meteorite gelten als Urmaterial der Planeten in unserem Sonnensystem. Bestimmte Chondritklassen enthalten bis zu einige Prozent Kohlenstoff in der dunklen Gesteinsmatrix, nicht jedoch in den Chondren, in denen der Kohlenstoff durch Aufheizprozesse verloren ging.
Foto: Institut für Geowissenschaften

Die Heidelberger Wissenschaftler nehmen an, dass kurzzeitige Aufheizereignisse für den Verlust von Kohlenstoff verantwortlich waren. Sie vermuten, dass in den inneren Bereichen unseres Sonnensystems die gesamte Materie teilweise mehrfach auf Temperaturen zwischen 1300 und 1800 Grad Celsius erhitzt wurde, bevor sich Kleinplaneten und schließlich die terrestrischen Planeten wie die Erde bildeten. Einen Beleg dafür sehen sie in Kügelchen, sogenannten Chondren, die in Meteoriten eingelagert sind und bei denen es sich um Aufschmelzprodukte dieser Ereignisse handelt. Hans-Peter Gail: „Nur die Berücksichtigung solcher Temperaturspitzen, wie sie aus Chondren-Entstehungsmodellen abgeleitet werden, kann die heutige geringe Kohlenstoff-Menge der inneren Planeten erklären. Dieser Prozess wurde in den bisherigen Modellen nicht berücksichtigt – ihm verdanken wir aber offensichtlich die richtige Menge an Kohlenstoff, die die Evolution der Biosphäre auf der Erde in der uns bekannten Weise ermöglichte.“

Eine „Überdosis“ an Kohlenstoff wäre wohl schädlich für die Entstehung des Lebens gewesen, vermuten die Wissenschaftler. Denn in seiner oxidierten Form bildet er das Treibhausgas Kohlendioxid, das auf der Erde aus der Atmosphäre entfernt wird – insbesondere durch den Silikat-Karbonat-Zyklus, der wie ein Thermostat wirkt. „Ob 100-mal mehr Kohlenstoff noch ein effektives Entfernen des Treibhausgases erlauben würde, scheint zumindest fraglich. Der Kohlenstoff könnte dann wohl nicht mehr in Karbonaten, den heutigen Kohlendioxid-Hauptspeichern der Erde untergebracht werden, sondern würde als Gas in der Atmosphäre einen so starken und irreversiblen Treibhauseffekt verursachen, dass die Ozeane verdampfen und verloren gehen würden“, schildert Mario Trieloff.

H.-P. Gail, M. Trieloff: Spatial distribution of carbon dust in the early solar nebula and the carbon content of planetesimals. Astronomy & Astrophysics, Volume 606, October 2017, doi 10.1051/0004-6361/201730480