Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Routenplaner für jede Lebenslage

Von Mirjam Mohr

Als im Frühjahr 2015 das verheerende Erdbeben Nepal erschütterte, machten sich die Geoinformatiker der Ruperto Carola umgehend ans Werk: Wie bereits 2010 nach dem Erdbeben in Haiti richteten Wissenschaftler und Studierende einen Notfall-Routenplaner im Internet ein. Damit konnten sich Katastrophenhelfer informieren, welche Straßen noch befahrbar waren, um so die schnellste Wegstrecke durch das von Zerstörungen betroffene Gebiet zu ermitteln. Außerdem erhielten sie Informationen über wichtige Anlaufstellen wie Krankenhäuser, Rettungsstationen oder Notfallcamps. Diese Unterstützung humanitärer Aktivitäten durch die Entwicklung von Technologien für das sogenannte Disaster Mapping ist nur ein Beispiel für die praxisbezogenen Projekte der Heidelberger Geoinformatiker (Bild: Geographisches Institut).

Grundlage ihrer Arbeit sind geographische Daten aus verschiedenen Quellen, die von den Wissenschaftlern nach unterschiedlichen Aspekten ausgewertet werden. „Wir untersuchen Geodaten, also digitale Informationen, denen auf der Erdoberfläche eine bestimmte räumliche Lage zugewiesen werden kann“, beschreibt Prof. Dr. Alexander Zipf, der den Bereich leitet, sein Arbeitsgebiet: „Diese Daten werden im Social Web und von Freiwilligen aufgenommen, beispielsweise im Projekt ‚OpenStreetMap‘, der oft auch als ‚Wikipedia der Kartographie‘ bezeichneten freien Weltkarte. Wir analysieren sie hinsichtlich ihrer Qualität und ihres Nutzungspotenzials und entwickeln für diese Analysen neue Methoden.“

Damit das Wissen und die Technologie aus der Grundlagenforschung leichter den Weg in die Praxis finden, wird am Geographischen Institut mit finanzieller Unterstützung der Klaus Tschira Stiftung seit vergangenem Sommer das Heidelberg Institute for Geoinformation Technology (HeiGIT) aufgebaut. Schwerpunkt von „HeiGIT“ und der Heidelberger Geoinformatik sind die Umsetzung praxisbezogener Projekte und Dienste vor allem in drei Themenbereichen: in der Analyse großer Datenmengen („Big Spatial Data Analytics“), in intelligenten ortsbasierten Navigationsdiensten und im Disaster-Mapping für humanitäre Hilfe, wie im Fall des Notfall-Routenplaners. „Heutzutage entstehen große Mengen unterschiedlichster Daten, die von technischen Sensoren automatisch erhoben oder von Nutzern in Social Media und per Crowdsourcing generiert werden“, erklärt Alexander Zipf: „Wir helfen, diese aufzubereiten und in Anwendungen mit Raumbezug sinnvoll einzusetzen. Hierzu entwickeln wir Methoden, um aus den heterogenen Datenströmen zielgerichtet nutzbare Geoinformationen abzuleiten.“

Aufgrund ihrer langjährigen Expertise dank zahlreicher Forschungsprojekte bilden die Heidelberger Geoinformatiker dabei eine Schnittstelle zwischen Technologie und Anwendung. Im Bereich der intelligenten Navigation entwickeln sie weltweit verfügbare Dienste, die es ermöglichen, maßgeschneiderte Mobilitätsprofile zu erstellen, die auf spezielle Bedürfnisse und unterschiedliche Szenarien abgestimmt sind. „Während beispielsweise Logistikunternehmen ihre Anfahrtswege stets optimieren müssen, suchen Outdoor-Sportler nach Routen, die ihren individuellen Ansprüchen genügen“, erläutert Alexander Zipf. Beim Disaster Mapping für humanitäre Hilfe entwickeln die Wissenschaftler in Zusammenarbeit mit Nutzern innovative Verfahren und Dienste, um das Potenzial unterschiedlicher Datenquellen besser nutzen zu können.

In einem EU-geförderten Projekt befassen sich die Geoinformatiker wiederum mit Passanten, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind – etwa Menschen mit Rollstühlen oder Kinderwagen, die auf barrierefreie Wege angewiesen sind und sich Hindernissen wie Treppenstufen, großen Steigungen und schlechten Straßenbelägen gegenüber sehen. Im Forschungsprojekt „CAP4Access“ entwickeln die Wissenschaftler dabei ein spezifisches Profil, das die bereits vorhandenen, frei zugänglichen Routenplaner-Profile für Fahrzeuge, Fußgänger und Radfahrer ergänzt. Neben der Routenplanung zeigt der Dienst auch Erreichbarkeitszonen an, also Gebiete, die von einem Startpunkt aus innerhalb eines bestimmten Zeitraums erreichbar sind.

Ziel von „CAP4Access“ ist es, mit Hilfe neuester Technologien auf existierende Barrieren in europäischen Städten aufmerksam zu machen. „Ein Routenplaner, der den Unterschied zwischen barrierefreien und nicht barrierefreien Routen zeigt, ist einerseits ein nützliches Werkzeug für Betroffene. Andererseits transportiert er aber auch eine gesellschaftlich relevante Botschaft, indem er Umwege zeigt, die mobilitätseingeschränkte Menschen in Kauf nehmen müssen“, betont Alexander Zipf.

Zipf weiter: „Leider kann die Routenplanung immer nur so gut sein wie die vorhandenen Daten.“ Deswegen sind die Geoinformatiker für ein optimales Ergebnis ihres Dienstes darauf angewiesen, dass möglichst viele Menschen ihr Wissen über die Gegebenheiten der Strecken in die „OpenStreetMap“ eintragen. Dieses „Crowdsourcing“, sprich das Sammeln und Aufbereiten von Daten durch eine Vielzahl freiwilliger Helfer in der Netzgemeinde, ist ein weiteres Forschungsthema. Die Heidelberger Wissenschaftler arbeiten hier auch an Methoden zum Crowdsourcing von 3D-Geoinformationen.

Auf dem Feld der Psychogeographie sind die Geoinformatiker ebenfalls aktiv: Im Zuge eines aktuellen Forschungsvorhabens erheben sie Geodaten und erstellen Karten mit Faktoren, die sich auf die psychische Gesundheit auswirken können. „Das können Umweltfaktoren wie Lärm oder Luftqualität sein, aber auch sozioökonomische Faktoren wie die Bevölkerungsdichte oder Kriminalitätsschwerpunkte“, macht Alexander Zipf deutlich: „Um Zusammenhänge zwischen entsprechenden Krankheiten und Sozial- und Umweltfaktoren genauer raumbezogen analysieren zu können, müssen heterogene räumliche Daten aus öffentlichen, privaten und Crowdsourcing-Quellen erhoben und integriert werden. Am Ende wollen wir den Einfluss der verschiedenen geographischen Faktoren besser bewerten können.“

www.geog.uni-heidelberg.de/gis