Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Zustandsgleichung nahe dem absoluten Nullpunkt

Mit einem Laborexperiment ist es Physikern am Zentrum für Quantendynamik der Universität Heidelberg gelungen, die sogenannte Zustandsgleichung für ein Atomgas zu bestimmen. Mit ihr können die thermodynamischen Eigenschaften dieses physikalischen Systems exakt beschrieben werden. Wie Privatdozent Dr. Tilman Enss und Prof. Dr. Selim Jochim betonen, liefert die Gleichung die Grundlage für weitere Experimente mit ultrakalten Atomen, die auf ein besseres Verständnis von Mechanismen der Supraleitung zielen, also des verlustfreien Transports von elektrischen Strömen. Die Forschungsergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Physical Review Letters“ veröffentlicht.

„Jeder kennt den Effekt, dass die Luft dünner wird, wenn man auf einen hohen Berg steigt. In der Physik wird dieser Effekt durch eine Zustandsgleichung beschrieben. Sie bestimmt in diesem Fall, wie sich die Dichte der Luft mit dem Abstand von der Erde ändert“, erläutert Tilman Enss vom Institut für Theoretische Physik der Ruperto Carola. „Das gleiche Prinzip gilt in vielen Bereichen der Physik – von der Verteilung der Materie im Aufbau der Sterne bis hin zu Atomgasen, die wir neuerdings im Labor herstellen können“, ergänzt Selim Jochim, der am Physikalischen Institut arbeitet.

Am Zentrum für Quantendynamik haben die Wissenschaftler die theoretischen Berechnungen von Enss und die von Jochim aus Experimenten gewonnenen Erkenntnisse zusammengeführt. Im Mittelpunkt stand dabei ein auf nahe dem absoluten Nullpunkt der Temperatur abgekühltes Atomgas. Ultrakalte Atomgase sind für Physiker deshalb so interessant, weil bei extrem niedrigen Temperaturen die Effekte der Quantenphysik besonders deutlich zutage treten.

In einem Gas aus ultrakalten Lithiumatomen stoßen sich gleichartige Teilchen nach den Regeln der Quantenmechanik ab, während sich unterscheidbare Teilchen anziehen und Moleküle bilden können. Theoretische Physiker um PD Tilman Enss konnten nun – basierend auf einem Experiment der Arbeitsgruppe von Prof. Selim Jochim – die Zustandsgleichung bestimmen. Sie besagt, wie sich je nach Anziehungskraft die Dichte des Quantengases ändert.
Abbildung: Puneet Murthy

Bei bestimmten Teilchen – den sogenannten Fermionen – können zwei Atome niemals denselben Zustand einnehmen oder sich am selben Ort aufhalten. „Die Fermionen üben einen Druck auf gleichartige Teilchen aus und schieben sie beiseite, sodass die Dichte in einer Atomwolke nie zu groß wird“, erklärt Selim Jochim, dessen Arbeitsgruppe den Effekt mit Hilfe von Lithiumatomen beschreiben konnte. Der Druck zwischen den Fermionen führt dazu, dass die Atomwolke dünn und weit ausgedehnt ist.

Wissenschaftler in der theoretischen Physik haben sich schon lange mit der Frage beschäftigt, wie sich die Dichte des Gases ändert, wenn zusätzlich eine Anziehungskraft zwischen den Fermionen besteht. Diese wirkt dem abstoßenden Druck der Fermionen entgegen und bringt die Teilchen näher zusammen. Tilman Enss: „Bei hinreichender Anziehung bilden jeweils zwei Fermionen ein Paar. Nach den Regeln der Quantenphysik können sich solche Moleküle nun viel näher kommen als die ursprünglichen Fermionen. Wie genau dies für Teilchen geschieht, die sich in einer Ebene bewegen, ist eine wichtige aktuelle Frage.“ Die Atomgase sind auch deswegen von großem Interesse für die Forschung, da sie viele universelle Eigenschaften aufweisen, die sich in ganz anderen physikalischen Situationen wiederfinden. So können aus der Zustandsgleichung eines Atomgases beispielsweise Rückschlüsse auf den Aufbau bestimmter Sterne gezogen werden.

Wie die Zustandsgleichung von der Anziehung der Teilchen abhängt, lässt sich im Experiment besonders gut mit ultrakalten Atomen messen. Für sie lässt sich künstlich eine Anziehungskraft von nahezu beliebiger Stärke erzeugen. Jochim konnte mit seiner Arbeitsgruppe beobachten, dass sich bei starker Anziehung in der Mitte der Atomwolke ein dichterer Kern herausbildet. Die theoretischen Physiker Enss und Dr. Igor Boettcher haben dann aus der Analyse der experimentellen Daten die Zustandsgleichung rekonstruiert und konnten damit ihre eigenen theoretischen Vorhersagen bestätigen.

Dabei sind die Forscher insbesondere an der Situation interessiert, in der sich die Atome in einer Ebene bewegen. Das Atomgas weist dann Ähnlichkeit mit geschichteten Materialien auf, die auch bei relativ hoher Temperatur supraleitend sind. Die jetzt bestimmte Zustandsgleichung ist nach Angaben der Forscher eine Grundlage für künftige Experimente, mit denen die Mechanismen der sogenannten Hochtemperatur-Supraleitung besser verstanden werden sollen.

Für ihre Veröffentlichung in den „Physical Review Letters“ erhielten die Heidelberger Wissenschaftler die „Editors' Suggestion“, die Auszeichnung als Empfehlung der Redaktion. Sie wurde außerdem als „Viewpoint“ im Magazin „Physics“ herausgestellt.

I. Boettcher, L. Bayha, D. Kedar, P.A. Murthy, M. Neidig, M.G. Ries, A.N. Wenz, G. Zürn, S. Jochim, and T. Enss: Equation of State of Ultracold Fermions in the 2D BEC-BCS Crossover Region, Physical Review Letters, doi: 10.1103/PhysRevLett.116.045303