Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Was bleibt vom 44. Präsidenten der USA?

Von Oliver Fink

Nach zwei Amtszeiten endet in knapp einem Jahr die Präsidentschaft Barack Obamas (Foto: Pete Souza/Wikimedia Commons). Der Wahlkampf um die Nachfolge ist bereits in vollem Gange. Zwei Politikwissenschaftler des Heidelberg Center for American Studies (HCA) der Ruperto Carola haben nun Bilanz gezogen: „Entzauberung: Skizzen und Ansichten zu den USA in der Ära Obama“ lautet der Titel ihres gerade erschienenen Buches.

Für ihre Analyse haben Dr. Tobias Endler und Privatdozent Dr. Martin Thunert nicht nur statistisches Material, Umfragen und Fachliteratur zurate gezogen. Ihr Buch basiert nachgerade auf Gesprächen, die sie in den USA mit knapp 40 Politikexperten geführt und anschließend kritisch ausgewertet haben. Interviewt wurden Vertreter aus der Politik, Intellektuelle, Wissenschaftler aber auch Journalisten. Zu den Gesprächspartnern zählten Michael Dukakis, der ehemalige Präsidentschaftskandidat der Demokraten, die Politikwissenschaftlerin Saori Katada von der University of California, Joseph S. Nye von der Harvard Kennedy School oder John Micklethwait, der Chefredakteur der Zeitschrift „The Economist“ war.

„Wichtig war uns bei der Auswahl der Interviewpartner, dass das gesamte politische Spektrum mit abgebildet wird. Auch Praxiserfahrung hat als Kriterium eine Rolle gespielt“, legt Martin Thunert dar. „Mithilfe dieses Dialog-Ansatzes“, ergänzt Tobias Endler, „wollten wir ein möglichst umfassendes Bild gewinnen und dabei insbesondere auch die Binnenperspektive – wie schauen Amerikas führende Denker auf ihr Land und was erwarten sie für die Zukunft – möglichst authentisch vermitteln.“

Ihre Darstellung haben die beiden Heidelberger USA-Forscher in Innen- und Außenpolitik unterteilt. Zu den Hauptthesen ihres Buches zählt, dass politische Entscheidungsfindungen und Handlungen in der Ära Obama sehr stark von pragmatischen Kosten-Nutzen-Abwägungen, von rationalem Kalkül geprägt sind. Und das führt direkt zum Begriff der „Entzauberung“, den Tobias Endler und Martin Thunert als Titel ihrer Studie gewählt haben. Wie die beiden HCA-Wissenschaftler betonen, ist damit keine Diagnose einer vermeintlich gescheiterten Präsidentschaft Obamas gemeint. Der bewusst mehrdeutig zu verstehende Begriff diene vielmehr dazu, die Politik Barack Obamas seit seinem Amtsantritt und ihre öffentliche Bewertung auf ganz unterschiedlichen Ebenen verständlich zu machen.

Entzauberung steht zum Beispiel für die aktuell limitierten politischen Handlungsmöglichkeiten des Präsidenten, da er seine Regierungspolitik mittlerweile gegen eine Mehrheit der Republikaner in beiden Häusern – Senat und Kongress – der US-Legislative durchsetzen muss. Entzauberung steht aber eben auch für die übersteigerten Erwartungen an Obama zu Beginn seiner Amtszeit. Viele sahen in dem rhetorisch brillanten Präsidenten, dem kurz nach der Wahl sogar der Friedensnobelpreis auf Basis einer recht allgemeinen Begründung verliehen wurde, eine Art idealistischen Heilsbringer. Dieser Tage ist die Enttäuschung entsprechend groß; die streckenweise euphorische Beziehung gerade der Deutschen zum amtierenden US-Präsidenten ist merklich abgekühlt. Die Autoren wollen diesen emotionalen Schwankungen eine realistische Einschätzung der transatlantischen Beziehungen entgegensetzen: Sie plädieren für einen „aufgeklärten Atlantizismus“. Endler und Thunert stellen dabei auch heraus, dass es in US-Regierungskreisen die klare Erwartungshaltung gibt, dass Berlin eine stärkere Führungsrolle in Europa einnehmen sollte.

Die politische Bilanz des 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten erscheint den Autoren zufolge insgesamt ausgeglichen. Zu den innenpolitischen Leistungen Barack Obamas zählen Tobias Endler und Martin Thunert in erster Linie die Ausweitung der Krankenversicherung – „Obamacare“ genannt – auf immer mehr Bürger, obschon der Präsident seine Reform nicht, wie erhofft, eins zu eins umsetzen konnte. Außenpolitisch spiele die Verlagerung des Gewichts hin zum asiatisch-pazifischen Raum die wichtigste Rolle. Defizite sehen die Heidelberger Amerika-Experten besonders in einer Fehleinschätzung der russischen Politik und in einer allzu großen Zurückhaltung im Nahost-Konflikt.

Tobias Endler/Martin Thunert: Entzauberung: Skizzen und Ansichten zu den USA in der Ära Obama. Verlag Barbara Budrich, 2015.