Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Die Suche nach der zweiten Erde steht erst am Anfang

Von Mirjam Mohr

Die Sonne ist ein ganz normaler Stern, wie es etwa 100 Milliarden in unserer Milchstraße gibt. Und sie wird von Planeten umkreist: Merkur, Venus, Erde und Mars sind die inneren vier „Gesteinsplaneten“, weiter draußen drehen die „Gasriesen“ Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun ihre Bahnen. Noch vor 20 Jahren wusste niemand, ob Planeten um Sterne die große Ausnahme bilden, ob wir mit unserem Sonnensystem gar etwas Einmaliges sind – oder ob Planeten den Normalfall darstellen. 1995 wurde dann zum ersten Mal ein Planet um einen sonnenähnlichen Stern entdeckt: 51 Pegasi b. Diese Entdeckung zweier Schweizer Wissenschaftler eröffnete ein völlig neues Forschungsgebiet, das sich seither zu einem der interessantesten und am schnellsten wachsenden in der Astronomie entwickelt hat: extrasolare Planeten oder kurz Exoplaneten (Bild: ESO). Auch an der Ruperto Carola beteiligen sich Wissenschaftler an der Suche nach einer zweiten Erde.

„Warum war und ist es so schwierig, Planeten um andere Sterne zu entdecken? Das liegt daran, dass sie einerseits sehr weit entfernt sind, nämlich mindestens 100 000 Mal weiter als Jupiter, dass sie sehr viel schwächer leuchten als ihre Muttersterne – etwa eine Milliarde Mal – und dass sie zudem von uns aus gesehen ganz nah bei ihren Sonnen stehen“, erklärt Prof. Dr. Joachim Wambsganß, Direktor des Zentrums für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH).

Selbst mit den besten Teleskopen ist es daher unmöglich, einfach eine Aufnahme von einem Stern zu machen und daneben das Planeten-Pünktchen zu identifizieren. Deshalb haben Astronomen eine Reihe indirekter Methoden entwickelt, um Exoplaneten nachweisen zu können. Das Team von Professor Wambsganß nutzt den Mikrogravitationslinseneffekt und spürt damit Planeten um weit entfernte Sterne auf: „Bereits Albert Einstein hat vorhergesagt: Licht wird ebenso wie Materie von der Schwerkraft angezogen. Die Wirkung ist zwar ziemlich klein, aber in einer Situation, in der ein Planetensystem vor einem Hintergrundstern vorbei zieht, führt das dazu, dass der Hintergrundstern für ein paar Tage auf ganz charakteristische Weise heller erscheint.“ Im Vergleich mit Computermodellen kann dann die Masse des Planeten relativ zum Stern bestimmt werden.

Doch solche Mikrolinsenereignisse sind sehr selten: Das Beobachtungsteam muss mit Teleskopen in Südafrika, Chile und Australien 100 Millionen Sterne rund um die Uhr verfolgen, um ein paar Planeten im Jahr zu entdecken. „Die Wahrscheinlichkeit ist also geringer als der sprichwörtliche ‚Sechser im Lotto‘ – aber so wie fast jedes Wochenende ein paar glückliche Gewinner unter den Millionen Lottospielern in Deutschland sind, so finden Astronomen auf diese Weise jedes Jahr ein paar Exoplaneten“, erläutert Wambsganß.

Die Mikrolinsenmethode weist drei Vorteile gegenüber anderen Planetensuchtechniken auf: Sie kann zum einen auch Planeten mit vergleichsweise geringen Massen wie die Erde nachweisen. Zum zweiten ist sie besonders empfindlich für Planeten in der „habitablen Zone“ – dem Abstandsbereich um einen Stern, in dem flüssiges Wasser existieren kann, wo also Leben möglich ist. Und der dritte Vorteil: Die Mikrolinsenmethode ist besonders gut geeignet, um die Häufigkeit von Exoplaneten in der Milchstraße zu bestimmen.

So konnte das Team unter Leitung von Professor Wambsganß’ langjährigem Heidelberger Mitarbeiter Arnaud Cassan im renommierten Fachmagazin „Nature“ zeigen, dass es im Mittel um jeden Stern der Milchstraße mindestens einen Planeten gibt. Planeten sind also die Regel und nicht die Ausnahme. Diese Analyse beruht indes auf nur etwa einem Dutzend tatsächlich nachgewiesener Exoplaneten, was die Frage aufwirft, wie man aus so wenigen Entdeckungen eine so gewaltige Schlussfolgerung ziehen kann.

„Man kann das an einem alltäglichen Beispiel veranschaulichen“, so Joachim Wambsganß: „Stimmen Sie der Aussage zu, dass in jeder der 2061 Städte Deutschlands mindestens eine Kirche steht? Falls ja: In wie vielen Städten haben Sie dies selbst überprüft? In 30? Oder 67? Oder 181? Sicherlich nur in einem kleinen Bruchteil der Gesamtzahl. Aber wichtig ist: Wo immer Sie es überprüfen konnten, hat es sich bestätigt.“ Ganz ähnlich funktioniere die Analyse zur Planeten-Häufigkeit: Sehr aufwändige Computersimulationen zeigten, dass die Mikrolinsenmethode, wo immer sie in der Lage war, einen Planeten zu entdecken, ihn auch tatsächlich gefunden hat. „Deshalb wissen wir nun, dass es mindestens 100 Milliarden Planeten in unserer Milchstraße gibt“, erklärt der Wissenschaftler, „und vielleicht ist ja auch ein irdischer Zwilling dabei – die Suche nach der zweiten Erde steht erst ganz am Anfang.“

Und warum ist Pluto kein Planet mehr? Wann hört die Sonne eigentlich auf zu scheinen? Und was sind Sternschnuppen? Solche Fragen, genauso wie jene nach der zweiten Erde, werden kurz, prägnant und leicht verständlich in dem Buch „Universum für alle“ beantwortet. Die reich bebilderte Publikation beruht auf einer öffentlichen Vortragsreihe, die Professor Wambsganß zum 625. Jubiläum der Ruperto Carola als „Astronomische Mittagspause“ ins Leben gerufen hatte: Während des Sommersemesters 2011 hielten Astronominnen und Astronomen von montags bis freitags zur Mittagszeit unter dem Motto „Uni(versum) für alle – Halbe Heidelberger Sternstunden“ in der Peterskirche Kurzvorträge, die nun in dem Buch nachzulesen sind.

Die 70 Vorträge wurden zudem aufgezeichnet und sind im Internet kostenlos zu sehen. Und die Vortragsreihe kam so gut bei den Heidelbergern an, dass sie inzwischen als „Akademische Mittagspause“ in jedem Sommersemester von einer anderen Fakultät zu einem umfassenden Thema fortgeführt wird. Im Herbst 2014 wurde Wambsganß für sein Multimedia-Projekt mit dem Werner und Inge Grüter-Preis für Wissenschaftsvermittlung ausgezeichnet.

Joachim Wambsganß: Universum für alle. 70 spannende Fragen und kurzweilige Antworten. Verlag Springer Spektrum (2012)