Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Urmaterie mit 180 000 Stundenkilometern

Licht im Dunkel des Universums: Mit der Untersuchung von interstellarem Staub ist ein internationales Wissenschaftlerkonsortium der sogenannten Urmaterie auf der Spur, die als Grundlage für Leben gilt, wie wir es kennen. Das Konsortium aus 33 Forschungseinrichtungen, dem auch Wissenschaftler der Universität Heidelberg angehören, analysiert seit acht Jahren Staub aus interstellarer Materie, der von der Raumsonde Stardust (Bild: NASA) eingefangen wurde. In einer Studie in „Science“ und elf Begleitpublikationen wurden nun erste Ergebnisse veröffentlicht. Diese zeigen, dass die Teilchen in ihrer Elementzusammensetzung, Kristallstruktur und Größe heterogen sind und deutlich von bisher angenommenen Eigenschaften abweichen.

„Der Weltraum zwischen den Sternen unserer Milchstraße ist nicht völlig leer, er enthält immerhin einige Prozent der gesamten Masse. Diese sogenannte interstellare Materie ist extrem wichtig, da aus ihr neue Sterne und Planetensysteme entstehen“, beschreibt Prof. Dr. Mario Trieloff den Hintergrund der Untersuchungen. Der Geowissenschaftler der Ruperto Carola koordiniert das DFG-Schwerpunktprogramm „Die ersten zehn Millionen Jahre des Sonnensystems“, in dessen Rahmen Wissenschaftler verschiedener deutscher Forschungseinrichtungen an dem internationalen Konsortium unter Leitung der Universität Berkeley beteiligt sind.

Der größte Teil der interstellaren Materie ist Gas aus Wasserstoff und Helium, nur ein Hundertstel davon ist Staub, der auch alle schweren Elemente enthält. „Diese schweren Elemente im interstellaren Staub sind letztlich der Baustoff für die terrestrischen oder erdähnlichen Planeten“, so Mario Trieloff. Gefördert wurden die Arbeiten durch den FRONTIER-Fond der Universität Heidelberg im Zuge der Exzellenzinitiative, das DFG-Schwerpunktprogramm „The First 10 Million Years of the Solar System – a Planetary Materials Approach“ und die Klaus Tschira Stiftung.

Die Raumsonde Stardust brachte 2006 zusammen mit den ersten Staubproben eines Kometen auch die ersten Proben der Urmaterie mit zur Erde. Dafür hatte sie mit speziellen Kollektoren interstellaren Staub aus unserem Sonnensystem eingefangen – diese Partikel waren sowohl kleiner als auch seltener als der Kometenstaub. Die Kollektoren bestanden aus einem extrem leichten Aerogel, um die Teilchen möglichst schonend abzubremsen und intakt einzusammeln, weil die erwarteten Aufschlaggeschwindigkeiten bis zu 50 Kilometer pro Sekunde betrugen, was 180 000 Stundenkilometern entspricht.

Zunächst mussten die „Staubfänger“ nach Einschlagspuren untersucht werden, wofür mikroskopische Scans vonnöten waren. Diese 1,5 Millionen Bilder wurden dann von weltweit 34 000 Amateuren, die hierzu mit einem speziellen Online-Trainingsprogramm angelernt wurden, optisch inspiziert.

„Um vielversprechende Einschlagspuren überhaupt zu erkennen und von ihnen auf die Einschlaggeschwindigkeit und andere Eigenschaften der einschlagenden Teilchen wie Masse, Porosität oder chemische Zusammensetzung rückschließen zu können, wurde Kollektormaterial in Heidelberg in Kooperation mit der Universität Stuttgart unter Leitung von Dr. Ralf Srama mittels eines weltweit einzigartigen Staubbeschleunigers beschossen, um den Einschlagprozess zu simulieren und zu kalibrieren“, erläutert Mario Trieloff. Weitere Einschlagspuren wurden an der Goethe-Universität Frankfurt von der Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Frank Brenker mit hochempfindlicher nano-Synchrotron-Röntgenfluoreszenz und am Max-Planck-Institut für Chemie mit hochauflösender Rasterelektronenmikroskopie analysiert.

„Bislang konnten nur wenige große Teilchen untersucht werden: Zwei Teilchen mit den Namen Orion und Hylabrook wurden in Aerogel eingefangen, ein weiteres hinterließ nur eine Einschlagspur; vier Teilchen erzeugten Einschläge auf Folien zwischen den Aerogel-Waben“, schildert Trieloff die ersten Untersuchungsergebnisse. Diese Teilchen sind entgegen den gängigen Vorstellungen und Modellen nicht vollständig amorph sondern eine Mischung verschiedener Mineralien, also auch kristallin.

Zum ersten Mal wurden dabei Silikate wie Olivin und Oxide wie Spinell definitiv nachgewiesen, die nicht dem aus Meteoriten bekannten kohlenstoffreichen Sternenstaub entsprechen. Zudem handelt es sich auch nicht um silikatische Hochtemperaturkondensate. Die Elementzusammensetzung entspricht in Teilen dem kosmischen Durchschnitt, es gibt aber wichtige Abweichungen, etwa Defizite des Elements Kalzium oder Überschüsse von Aluminium.

Mario Trieloff: „Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Teilchen heterogen bezüglich ihrer Elementzusammensetzung, Kristallstruktur und Größe sind. Der Anteil kristalliner Komponenten ist höher als bislang vermutet, es gibt unterschiedliche eisenhaltige Phasen, darunter Sulfide. Somit weichen diese Teilchen deutlich von den bisher mittels astronomischer Beobachtungen und Modellierungen abgeleiteten Durchschnittseigenschaften ab.“

Wie der Geowissenschaftler betont, stehen zum ersten Mal im Labor Staubproben aus dem interstellaren Medium zur Verfügung. Diese sind so kostbar, dass mit Erlaubnis der NASA bislang nur zerstörungsfreie Messungen vorgenommen werden durften. „Diese haben allerdings nur eine begrenzte Genauigkeit, die Analytik für so kleine Teilchen muss in den nächsten Jahren erst noch entwickelt werden. Spätere Untersuchungen werden vermutlich noch überraschendere Ergebnisse zu Tage bringen. Darüber hinaus befinden sich in den Kollektoren wahrscheinlich noch viele weitere unentdeckte Teilchen. Es stehen also wohl noch weitere wissenschaftliche Entdeckungen bevor.“

Westphal et al.: Evidence for interstellar origin of 7 dust particles collected by the Stardust spacecraft. Science, 14. August 2014, doi: 10.1126/science.1252496