Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Begegnungen außerhalb der Komfortzone

Von Ute von Figura (Text und Foto)

Theresa Lanzl, Jurastudentin an der Universität Heidelberg, und Alina T.*, Hauptschülerin an der Heidelberger Waldparkschule, sind sich beim „Speed-Dating“ im Zuge eines Kennenlernspiels der Initiative „Rock Your Life!“ zum ersten Mal begegnet. Fünf Minuten saßen sich die 21-Jährige und die 15-Jährige beim sogenannten „Matching“ gegenüber – ein Zusammentreffen im Zeitraffer. Anschließend wählte Alina Theresa als ihren Coach aus. Seitdem arbeiten die beiden gemeinsam an der Zukunft der Schülerin.

Mit 15 Jahren bereits einen Beruf aussuchen? Theresa Lanzl findet, dass Hauptschülern mit dieser Entscheidung sehr viel abverlangt wird. „Ich selbst habe in diesem Alter noch nicht gewusst, was ich beruflich machen will.“ Auch nach dem Abitur war sie sich nicht sicher – Studium, das ja, aber welches Fach? Von ihrer Heimatstadt Memmingen zog es sie zunächst ins Ausland: Erfahrungen sammeln, eine neue Sprache lernen. Sie buchte einen Flug nach Santiago de Chile und einen zehnwöchigen Spanisch-Kurs, den Rückflug sechs Monate später. Für die Zeit dazwischen hatte Lanzl keine konkreten Pläne. Sie reiste durch Chile, Argentinien und Bolivien und schließlich nach Peru, wo sie in den letzten Wochen vor ihrer Rückkehr in einem Heim für Straßenkinder arbeitete.

„Vor meinem ersten Arbeitstag dort hatte ich großen Respekt“, erinnert sich Theresa Lanzl: „Ich hatte keine Ahnung, wie die Kinder auf mich reagieren würden.“ Die Sorgen waren jedoch unbegründet, das Eis brach schon in den ersten Sekunden durch ein „Hallo Freundin“ und eine spontane Umarmung der Kinder. „Die Begrüßung war so extrem positiv, dass die Aufregung sofort verflogen war.“

Die Lust auf neue Erlebnisse, auf Begegnungen außerhalb der „Komfortzone“ hat sich bei Theresa Lanzl nach dieser Erfahrung gefestigt. Im Herbst vergangenen Jahres, zu Beginn des dritten Semesters, entschloss sie sich, bei „Rock Your Life!“ mitzumachen – einer Initiative, die für mehr Bildungsgerechtigkeit, Chancengleichheit und Integration einsteht. Damit hat sich die 21-Jährige für mindestens zwei Jahre verpflichtet. In dieser Zeit wird sie ihre „Mentee“ Alina begleiten. Zwei Jahre, in denen es darum geht, die Weichen für Alinas Zukunft zu stellen, ihr aber auch als Freundin zur Seite zu stehen. „Wir wollen keinen Druck aufbauen, nicht zu einem zusätzlichen Stressfaktor werden; ,Rock Your Life!‘ soll Spaß machen, den Schülern ebenso wie uns“, erklärt Lanzl. Mal gehen die beiden ins Kino, mal treffen sie sich in einem Café oder auf den Neckarwiesen, auch bei der Studentin zu Hause waren sie schon. Demnächst wird Theresa Alinas Familie kennenlernen.

Sie selbst sei „sehr unbeschwert“ aufgewachsen, sagt Theresa Lanzl. „Für mich war es immer selbstverständlich, dass ich Abitur mache und anschließend studiere.“ Alinas Familie kommt aus dem Libanon; sie wächst mit zwei ihrer Geschwister bei der Mutter auf. Theresa und Alina trennen sechs Jahre Altersunterschied. „Trotzdem begegnen wir uns auf Augenhöhe“, so die Jurastudentin, „die anfänglichen Berührungsängste haben sich schnell gelegt und ich bewundere, wie offen Alina ist.“ Beispielsweise erzähle ihr die 15-Jährige viel über ihre Religion, den Islam, und stelle sich gleichzeitig all ihren Fragen dazu. „Durch sie komme ich in Kontakt mit einem anderen Weltbild.“

Dass es zwischen den beiden von Anfang an so gut funktioniert hat, liegt auch an den klaren Erwartungen, die Alina an ihre Coaching-Beziehung hat: Theresa soll ihr bei Bewerbungen für Praktika helfen und auf dem Weg zum Abitur. Das ist Alinas großes Ziel. Die nächsten zwei Jahre werden zeigen, wie ernst es ihr damit ist und ob der Sprung zur weiterführenden Schule realistisch. Theresa Lanzl wird sie dabei so gut es geht unterstützen: „Ich wünsche ihr von ganzem Herzen, dass sie ihr Ziel erreicht.“

*Name von der Redaktion geändert

Campus-Report-Interview mit Theresa Lanzl (mp3)

http://rockyourlife.de/standort/heidelberg

„Rock Your Life!“ ist eine studentische Initiative an bundesweit derzeit 39 Standorten, die Schüler aus sozial, wirtschaftlich oder familiär benachteiligten Verhältnissen auf dem Weg in den Beruf begleitet. Hierzu werden ihnen als Coaches ausgebildete Studierende zur Seite gestellt, die sie individuell unterstützen, indem sie die Fähigkeiten, Talente und Visionen der Schüler stärken und ihnen neue Perspektiven aufzeigen. 2012 wurde die Initiative als „Ausgewählter Ort“ im Wettbewerb „Deutschland – Land der Ideen“ ausgezeichnet.