Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Von Kakao bis Kohl, von Farn bis Fleischfresser

Von Tina Schäfer

Forschung, Lehre und öffentliche Bildungsarbeit sind die zentralen Aufgaben des Botanischen Gartens Heidelberg der Ruperto Carola (Foto: Altenkirch). 6000 Pflanzenarten mit 70 000 Individuen haben hier ihren Platz. Für die wissenschaftliche Arbeit zählt vor allem die Dokumentation der Gewächse, die alle in einer Datenbank verzeichnet sind – ein wesentliches Merkmal, das den Garten von einem Park unterscheidet.

Im „Farnhaus“ des Botanischen Gartens lässt sich „Ceratostema rauhii“ entdecken: ein Heidegewächs, das der Wissenschaftliche Leiter Dr. Andreas Franzke als „ein lebendes Urmeter“ bezeichnet. Gleich mehrere Exemplare mit lang herabhängenden Stängeln, schuppenartig angeordneten Blättern und glockenförmigen fünfblättrigen Blüten in dunklem Rosa stehen in dem Gewächshaus. Der Name weist auf eine besondere Verbindung dieser Pflanze zum Botanischen Garten hin – dessen Kernbestand geht größtenteils auf die rege Sammeltätigkeit von Werner Rauh zurück, der von 1960 bis 1982 Direktor der Einrichtung war. Von seinen Forschungsreisen, vielfach nach Südamerika und Madagaskar, brachte er zahlreiche Pflanzen nach Heidelberg.

Das Heidegewächs mit den rosa Blüten entdeckte Rauh in 2200 Metern Höhe in Peru. 1992 beschrieb der US-amerikanische Botaniker James L. Luteyn anhand dieses Pflanzenmaterials eine neue Art, die er nach dem Heidelberger Biologen benannte. Das Typusexemplar dieser Art, das die physische Grundlage ihrer Beschreibung darstellt, ist als gepresste Pflanze im Heidelberger Herbarium hinterlegt. Seinerzeit wurde allerdings nur ein Teil der Pflanze gepresst und der andere Teil bis heute weiter kultiviert. Damit ist die „Ceratostema rauhii“ im Botanischen Garten eben „ein lebendes Urmeter“. Wann genau Werner Rauh die Pflanze entdeckt hat, ist allerdings bisher unklar. Ein laufendes Forschungsprojekt zu dessen wissenschaftlichem Erbe soll auch dieses Rätsel lösen.

Insgesamt haben rund 6000 Pflanzenarten mit 70 000 Individuen im Botanischen Garten ihren Platz – von Kakao bis Kohl, von Farn bis Fleischfresser. Sammlungsschwerpunkte liegen auf tropischen Orchideen, Ananasgewächsen und Trockenpflanzen, vor allem aus Madagaskar. Bäume aus aller Welt sind im Arboretum vertreten, geobotanische Anlagen veranschaulichen bestimmte Landschaftsformen mit der jeweiligen Flora. Dazu bildet ein Systemgarten die Ordnung des Pflanzenreichs ab: Je näher beieinander die Arten gepflanzt sind, desto enger ist ihre Verwandtschaft. „Wir sind kein Park“, sagt Andreas Franzke, „die Provenienz der Pflanzen ist uns wichtiger als ihre Schauwürdigkeit.“

Aus einer Datenbank lassen sich für jedes Individuum Angaben zu Sammler, Fundort und Sammelzeitpunkt abrufen. Diese Informationen erlauben es auch, die Verbreitung einzelner Arten nachzuvollziehen. Von großer Bedeutung ist ebenso das Herbarium „HEID“: eine Art Bibliothek gepresster oder in Alkohol konservierter Pflanzen. Die 350 000 Belege – die ältesten aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts – ergänzen die Lebendsammlungen. Nicht zuletzt bilden Tausende von Saatgutproben aus der Familie der Kohlgewächse einen „schlafenden Genpool“.

Auf dem Gelände im Neuenheimer Feld, zu dem 4000 Quadratmeter Gewächshäuser sowie rund drei Hektar Freiland gehören, ist der Botanische Garten seit 1915 angesiedelt. Die Mitarbeiter des Gartens kultivieren Pflanzen für Qualifikations- und Forschungsarbeiten und stellen Pflanzenproben etwa für molekularbiologische Analysen zur Verfügung. Zahlreiche Lehrveranstaltungen finden ebenfalls rund um die Gewächshäuser statt. „Wir wollen ein Bewusstsein für die Vielfalt der Pflanzenwelt schaffen – auch jenseits der wissenschaftlichen Herangehensweise“, erklärt Dr. Franzke. So zieht der Botanische Garten jedes Jahr viele Tausend Menschen an und das nicht zuletzt mit dem Angebot der „Grünen Schule“, das von Führungen bis zu Kindergeburtstagen reicht.

Die Projekte der Zukunft umfassen neben Sanierungsvorhaben die weitere geographische Ordnung des Tropenhauses. Zudem soll im „Sukkulentenhaus“ ein Madagaskarschwerpunkt entstehen. Denn wie Andreas Franzke betont: „Botanische Gärten sind die weltweit größten Sammlungen von Biodiversität außerhalb der Natur.“

Ein ausführliches Profil des Botanischen Gartens ist zu finden unter:
www.uni-heidelberg.de/unispiegel/garten.html

http://botgart.cos.uni-heidelberg.de