Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Mit beiden Beinen in der Praxis und dem Kopf in der Theorie

Von Mirjam Mohr

Bis zu seinem fünften Lebensjahr sprach Dr. Giulio Pagonis (Foto: privat) kein Wort Deutsch: Der Sohn von Gastarbeitern wuchs in der Nähe von Köln zunächst mit Italienisch und Griechisch auf. Später als Deutschlehrer in Griechenland begann er sich für Spracherwerb und Sprachvermittlung zu interessieren, was inzwischen zu einer Juniorprofessur am Institut für Deutsch als Fremdsprachenphilologie (IDF) geführt hat. Dort verantwortet der 39-Jährige den neuen Master-Studiengang „Deutsch als Zweitsprache“.

„Wir stehen mit beiden Beinen in der Praxis und mit dem Kopf in der Theorie“, beschreibt Giulio Pagonis seine Arbeit am IDF. Seit 2004 gibt es dort das Projekt „Deutsch für den Schulstart“, das Sprachfördermaterialien für Vor- und Grundschulkinder mit Förderbedarf und entsprechende Fortbildungen für Erzieherinnen und Lehrer entwickelt wie anbietet. Die Erkenntnis, dass die Zielgruppe der Fortbildungen oft zu wenig über Spracherwerbsprozesse weiß, führte zu dem neuen Studiengang, der jetzt gestartet wurde. Er soll Experten für sprachliche und sprachbezogene Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund ausbilden.

Pagonis IrTeil des neuen Projekts, das von der Günter Reimann-Dubbers Stiftung und der Dürr Stiftung finanziert wird, ist die Juniorprofessur von Giulio Pagonis. Der Sprachwissenschaftler kennt das Thema Zweitspracherwerb aus eigener Erfahrung. Und in seinem späteren Berufsleben wurde für Pagonis das Thema bestimmend, dass sich mangelnde Sprachbeherrschung negativ auf Schulleistungen auswirken kann – er selbst lernte Deutsch offenbar unter günstigeren Bedingungen, denn 1992 macht er erfolgreich das Abitur.

Nach dem Gymnasium ging Giulio Pagonis zunächst für drei Jahre nach Griechenland. In Athen unterrichtete er an einer Privatschule Deutsch. „Dabei musste ich mich erstmals mit der Frage beschäftigen, wie man Sprache eigentlich vermittelt. Das war für mich die Initialzündung, mich mit dem Thema Spracherwerb zu beschäftigen.“ Ab 1995 studierte Pagonis an der Heidelberger Universität Deutsch als Fremdsprachenphilologie und Erziehungswissenschaften.

„Im Laufe des Studiums hat mich immer mehr interessiert, wie die kognitiven Fähigkeiten zur Verarbeitung sprachlicher Strukturen aussehen“, erzählt Pagonis. 2002 wechselte er deshalb ans Max-Planck-Institut für Psycholinguistik im niederländischen Nijmegen, wo er drei Jahre an seinem Promotionsprojekt zum Altersfaktor im Zweitspracherwerb arbeitete. Dabei untersuchte er den Lernverlauf zweier russischer Schwestern, die mit acht und 14 Jahren ohne Deutschkenntnisse nach Köln gekommen waren. „Die Jüngere hat viel schneller und auch erfolgreicher Deutsch gelernt als die Ältere; und ich habe versucht zu verstehen, wie dieser Altersfaktor erklärt werden könnte.“

2006 kehrte Pagonis ans IDF zurück, wo er für fünf Jahre im Projekt „Deutsch für den Schulstart“ tätig war. Er kümmerte sich vor allem um die Fortbildung derjenigen, die die Fördermaterialien an Kindertagesstätten und Grundschulen einsetzen sollen, und entwickelte eine einjährige E-Learning-Fortbildung. „Wir haben festgestellt, dass wegen fehlender Kenntnisse über Spracherwerb und Sprachdidaktik aber auch über den Aufbau der deutschen Sprache die Fördermaterialien häufig nicht angemessen eingesetzt werden, was zu unerwünschten Effekten bei den Kindern führen kann. Das war der Auslöser für unseren neuen Studiengang, mit dem wir auf Ausbildung statt Fortbildung setzen. Es gibt einen enormen Bedarf an Professionalisierung in diesem Bereich – schließlich haben wir es mit einer immer größeren Gruppe von Menschen zu tun, die Deutsch als Zweitsprache erwerben.“

Diesen Bedarf hat auch die Politik erkannt, so dass es inzwischen mehrere Studienangebote in diesem Bereich gibt. Giulio Pagonis erhielt daher auch Rufe an die Pädagogische Hochschule Karlsruhe und die Universität Köln, die er beide ablehnte. 2011 wurde er Juniorprofessor am IDF. „Hier haben wir durch die jahrelange praktische Arbeit bereits einen großen Wissens- und Erfahrungsfundus aufgebaut, den wir auch für die Auseinandersetzung mit theoretischen Fragen nutzen“, erklärt er.

Und ein neues Forschungsthema hat der Juniorprofessor ebenfalls: In den kommenden Jahren wird er sich mit der Frage beschäftigen, welche sprachlichen Kompetenzen erforderlich sind, um aus komplexen Texten Informationen zu extrahieren. „Letzten Endes geht es auch dabei darum, Kinder zu befähigen, die Schulsprache zu verstehen.“