Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Ein Stern, den es gar nicht geben dürfte

Er ist so überraschend wie der Stern von Bethlehem in der christlichen Überlieferung: Ein Team europäischer Astronomen unter Leitung einer Wissenschaftlerin der Ruperto Carola hat einen Stern ausfindig gemacht, der nach herkömmlichem astronomischen Verständnis gar nicht existieren dürfte. Nicht nur, dass er 13 Milliarden Jahre alt ist, er besteht auch nahezu ausschließlich aus Wasserstoff und Helium und enthält nur winzige Spuren anderer Elemente.

Mit dieser ungewöhnlichen chemischen Zusammensetzung fällt der Stern, der aus der Frühzeit des Universums stammt, in eine Art „verbotene Zone“ der gängigen Theorie der Sternbildung. „Danach hätte er eigentlich gar nicht erst entstehen können“, betont Dr. Elisabetta Caffau vom Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH). Die Ergebnisse der Forschungen, bei denen das Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile zum Einsatz kam, wurden in „Nature“ veröffentlicht.

Der extrem lichtschwache Stern im Sternbild Leo trägt die sperrige Bezeichnung „SDSS J102915+172927“. Er wurde im Zuge des „Sloan Digital Sky Survey“ (SDSS) katalogisiert, einem internationalen Projekt zur Durchmusterung bestimmter Bereiche des Himmels mithilfe von Spektrallinien. Die Ziffern in seiner Bezeichnung entsprechen seinen Koordinaten am Himmel. Der Stern hat eine etwas geringere Masse als die Sonne und ist vermutlich mehr als 13 Milliarden Jahre alt. Nach den Beobachtungen des europäischen Wissenschaftler-Teams weist SDSS J102915+172927 im Vergleich zu allen bislang untersuchten Sternen den geringsten Anteil an chemischen Elementen auf, die schwerer als Helium sind.

Die Eigenschaften des Sterns wurden mit den beiden Spektrografen X-Shooter und UVES am Very Large Telescope (VLT) aufgezeichnet. Die Spektralanalyse – Mitte des 19. Jahrhunderts von Gustav Kirchhoff und Robert Bunsen in Heidelberg entwickelt – ermöglicht es, die Häufigkeit chemischer Elemente auch in der Atmosphäre von Sternen zu bestimmen. Auf diese Weise haben die Astronomen herausgefunden, dass der Gehalt von schweren Elementen in SDSS J102915+172927 rund 20 000-mal geringer ist als in der Sonne – bei der ersten Messung konnten sie sogar nur ein einziges Element nachweisen, das schwerer ist als Helium, nämlich Kalzium. Erst dank zusätzlicher Beobachtungen gelang es den Forschern aus Deutschland, Frankreich und Italien, noch weitere Metalle aufzuspüren.

Ein Team europäischer Astronomen hat den lichtschwachen und extrem metallarmen Stern SDSS J102915+172927 untersucht. Er muss aus der Frühzeit des Universums stammen und ist vermutlich mehr als 13 Milliarden Jahre alt.
Abbildung: ESO/Digitized Sky Survey 2

„Die allgemein akzeptierte Theorie besagt, dass Sterne wie dieser aufgrund ihrer geringen Masse und des extrem geringen Anteils an schweren Elementen gar nicht existieren sollten. Schon die Gas- und Staubwolken, aus denen ein solcher Stern entsteht, hätten sich nach dem gängigen astronomischen Verständnis gar nicht ausreichend verdichten können“, betont Dr. Caffau, die an der Landessternwarte auf dem Königstuhl arbeitet und Erstautorin der in „Nature“ veröffentlichten Studie ist. „Zum ersten Mal wurde ein Stern in einer ,verbotenen Zone‘ der Sternentstehung entdeckt. Das war für uns eine große Überraschung. Nun werden die Astrophysiker einige ihrer Modelle zur Entstehung von Sternen überdenken müssen.“

Kosmologen gehen davon aus, dass die beiden leichtesten chemischen Elemente Wasserstoff und Helium zusammen mit Spuren von Lithium kurz nach dem Urknall entstanden sind. Nahezu alle anderen, schwereren Elemente sind erst später durch Fusionsprozesse im Inneren von Sternen gebildet worden. Bei Supernovaexplosionen am Ende eines Sternlebens wird das metallreiche Material mit dem interstellaren Medium vermischt und aus diesem, mit schweren Elementen angereicherten Material entsteht dann die nächste Sterngeneration.

Folglich haben diese neu geborenen Sterne einen höheren Metallgehalt als die Generation zuvor. Elisabetta Caffau: „Der Anteil an Metallen verrät daher auch, wie alt ein Stern ist, oder besser gesagt, wie viele Sterngenerationen das Material, aus dem er besteht, bereits durchlaufen hat. Dass SDSS J102915+172927 so extrem metallarm ist, bedeutet, dass dieser Stern aus der Frühzeit des Universums stammen muss. Möglicherweise handelt es sich um einen der ältesten Sterne, der jemals gefunden wurde.“

Eine weitere Überraschung ist der Mangel an Lithium in SDSS J1072915+172927, denn ein so alter Stern sollte in etwa die selbe Elementzusammensetzung haben wie das Universum kurz nach dem Urknall. Der Lithiumanteil des Sterns ist jedoch 50-mal geringer, als dies Berechnungen zur kosmologischen Elemententstehung erwarten lassen – für das europäische Forscher-Team ist dies bislang ein Rätsel. Dennoch sind sie davon überzeugt, dass der seltsame Stern nicht allein ist: „Wir haben noch eine ganze Reihe von Kandidaten, die einen ähnlich geringen Metallgehalt haben könnten wie SDSS J102915+172927, vielleicht sogar einen noch geringeren. Deshalb wollen wir diese Sterne ebenfalls mit dem VLT überprüfen“, so Dr. Caffau.

www.lsw.uni-heidelberg.de/projects/galactic_archaeology

Kontakt:

Dr. Guido Thimm
Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH)
Telefon: 0 62 21/54-18 05
E-Mail: thimm@ari.uni-heidelberg.de

Dr. Elisabetta Caffau
Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH)
Telefon: 0 62 21/54-17 87
E-Mail: e.caffau@lsw.uni-heidelberg.de

E. Caffau, P. Bonifacio, P. François, L. Sbordone, L. Monaco, M. Spite, F. Spite, H.-G. Ludwig, R. Cayrel, S. Zaggia, F. Hammer, S. Randich, P. Molaro, V. Hill: An extremely primitive star in the Galactic halo, Nature