Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Wie Wissen in die Welt gelangt

Wie werden aufsehenerregende Ideen zu einem weithin akzeptierten Wissen? Wie wird aus Hypothesen Gewissheit? Über welche Wege und mittels welcher Worte gelangen Ergebnisse wissenschaftlicher Experimente in Lehrbücher und in die Öffentlichkeit – werden dorthin übertragen? Mit solchen Fragen beschäftigt sich seit kürzerem der Wissenschaftsphilosoph Dr. Rainer Becker (Foto: DKFZ).

Er begleitet am Deutschen Krebsforschungszentrum in den nächsten drei Jahren die Abteilung von Prof. Frank Rösl, die sich mit krebserregenden Viren beschäftigt – einer von drei Forschern in einem interdisziplinären Verbundprojekt, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 790000 Euro gefördert wird. Beckers Aufgabe in Heidelberg ist eingebettet in das Forschungsvorhaben „Übertragungswissen - Wissensübertragungen - Zur Geschichte und Aktualität des Transfers zwischen Lebens- und Geisteswissenschaften“.

Das Projekt obliegt dem DKFZ gemeinsam mit dem Zentrum für Literatur- und Kulturforschung (ZfL) in Berlin; Leiter sind Prof. Frank Rösl vom DKFZ und Dr. Falko Schmieder vom ZfL. In drei Teilprojekten werden Formen des „Übertragens“ von Wissen in Bezug auf drei verschiedene wissenshistorische Konstellationen kulturwissenschaftlich untersucht.

Wissen IDas erste Projekt widmet sich in Berlin dem Mediziner und Wissenschaftstheoretiker Ludwik Fleck. Dieser veröffentlichte im Jahr 1935 in seinem Buch „Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache“ eine wissenssoziologische Geschichtsschreibung des Syphilisbegriffs im Kontext der Bakteriologie. Das zweite Vorhaben, ebenfalls in Berlin angesiedelt, nähert sich dem französischen Biochemiker und Genetiker Jacques Monod: Dieser hat in den 1970er-Jahren neue Konzepte der Genregulation in die Molekularbiologie eingeführt – und später hieraus eine vieldiskutierte Naturphilosophie entwickelt.

Das dritte Projekt schließlich, dem sich Rainer Becker am DKFZ annimmt, beleuchtet die Frage nach der Bedeutung aktueller Wissenskonzepte – wie etwa jenem, das Krebs als Folge von Virusinfektionen begreift und experimentell untersucht. „Ich freue mich, dass wir disziplinär grenzüberschreitend die Relevanz der Tumorvirologie untersuchen und erhoffe mir grundsätzliche Einblicke darüber, wie wissenschaftliche Diskurse entstehen und wie sie in wissenschaftlichen Denkkollektiven schließlich akzeptiert werden“, sagt Abteilungsleiter Rösl.

Rainer Becker schrieb seine Dissertation als Mitarbeiter am Institut für Philosophie der TU Darmstadt. Dort untersuchte er parallel die Sozialgeschichte des Computers und der „Universalwissenschaft“ Kybernetik. Bereits hier kreuzte er thematisch die Grenzen von Geistes- und Naturwissenschaft: „Während meiner Dissertation habe ich mir die Frage nach ,Übertragungen’ gestellt – und zwar zwischen Technik, Naturwissenschaft und Philosophie in den 1940er-Jahren. Das Entstehen von Computern und Kybernetik wäre ohne vorhergehende begriffliche, aber auch metaphorische ,Transfers’ zwischen Lebens- und Technikwissenschaften niemals möglich geworden.“

In seinem neuen Projekt erforscht der Philosoph nun quasi in Echtzeit, wie naturwissenschaftliche Daten erhoben, verarbeitet und kommuniziert werden. Als „Wissenschaftsforscher“ beobachtet er aus geistes- und kulturwissenschaftlicher Perspektive direkt das Handeln im Labor, recherchiert in Archiven und führt Interviews mit Wissenschaftlern.

Dabei ist das Projekt nicht von ungefähr am DKFZ angesiedelt: Hier werden Erkenntnisse biologischer Grundlagenforschung medizinisch und öffentlich relevant – so führte etwa die Nobelpreis gekrönte Entdeckung des langjährigen Stiftungsvorstands und Professors der Ruperto Carola Harald zur Hausen, dass bestimmte Viren Gebärmutterhalskrebs auslösen, zur Impfung gegen diese Krebsart.