Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Zweieinhalb Millionen Jahre Menschheitsgeschichte

Von Oliver Fink

Wer beispielsweise das Universitätsrechenzentrum im Neuenheimer Feld besucht (siehe auch Artikel in dieser Ausgabe), den erwartet erst einmal ein kleiner Ausflug in die EDV-Geschichte. In ein paar Vitrinen im Eingangsbereich liegen fast schon vergessene Relikte, die jeweils zu ihrer Zeit die Speerspitze des technologischen Fortschritts bildeten – etwa im Bereich der Datenspeicherung. Das Spektrum dort reicht von Lochkarten über die irgendwie immer noch elegant wirkende, hauchdünne 5,25-Zoll-Diskette bis hin zum heute gebräuchlichen USB-Stick.

Die URZ-Sammlung gehört zu den vergleichsweise kleinen Sammlungen an der Universität Heidelberg. Sie hat keine unmittelbare Funktion in Forschung oder Lehre, allein ihretwegen wird wohl niemand das Rechenzentrum aufsuchen. Und doch sieht man sich – wenn man davor steht und ein bisschen Zeit übrig hat – schnell fest. Werkzeuge, mit denen man täglich umgeht und die für die wissenschaftliche Arbeit unersetzlich sind, üben eben eine schwer zu erklärende Faszination aus, auch wenn sie schon längst wieder überholt sind.

Die Vitrinen mit historischen Geräten und Schriftstücken in der Fakultät für Chemie oder etwa die Sammlung historischer Instrumente des Physikalischen Instituts sind im gleichen Atemzug zu nennen; die Liste mit weiteren Vitrinen-Präsentationen im Neuenheimer Feld oder in der Altstadt ist ziemlich lang. Wenn also auch nicht immer ein streng definierter Nutzen dahintersteht, so zeigen diese kleinen Auftritte doch zumindest, dass das Sammeln und Ausstellen offenbar ein fächer- und fakultätsübergreifendes Grundbedürfnis im wissenschaftlichen Betrieb darstellt.

Bis heute sind insbesondere die Lehrsammlungen in vielen Fächern unersetzlich – zum Beispiel am Institut für Ur- und Frühgeschichte. Dr. Roland Prien erläutert, warum das so ist: „Wir sind eine Wissenschaft, die bildlich und dinglich ausgerichtet ist, viel am Objekt arbeitet. Und da ist es einfach wichtig zu erfahren, wie etwa ein altes Steinwerkzeug sich anfühlt, wie schwer es ist, wie es in der Hand liegt oder wie die Bearbeitungsspuren an der Oberfläche aussehen. Das geht mit Fotos oder Zeichnungen kaum oder nur unzureichend.“

Rund zweieinhalb Millionen Jahre Menschheitsgeschichte, die bis ins Mittelalter reicht, decken die verschiedenen Objekte dort ab. Im Wesentlichen handelt es sich um Leihgaben der von Portheim-Stiftung. Auf die Frage nach dem wertvollsten Stück präsentiert Prien einen aus Afrika stammenden Faustkeil, der zu den ältesten von Menschen hergestellten Gebrauchsgegenständen überhaupt gehört: „Davon gibt es nicht viele in Europa – vielleicht einen im Louvre, einen im Deutschen Museum und den hier.“

Aus der Uruk-Warka-Sammlung.
Foto: Universität

Öffentlich zugänglich allerdings ist die ur- und frühgeschichtliche Sammlung trotz solch attraktiver Einzelstücke nicht. Der Grund hierfür liegt allein in mangelnden Ressourcen – vor allem ein geeigneter Raum wird schmerzlich vermisst. Die Uruk-Warka-Sammlung, am gleichen Institut beheimatet, ist in dieser Hinsicht schon einen Schritt weiter, sprich: als kleines Museum an zwei Tagen in der Woche für jedermann zugänglich.

Der Vergleich hinkt freilich ein wenig. Auch Roland Prien gibt gerne zu, dass diese Lehrsammlung eben noch bedeutender ist. Der Name geht zurück auf die Stadt Uruk (moderner Name: Warka), die sich im heutigen Südirak in der Nähe des Euphrat befindet und Ausgangspunkt der nach ihr benannten Uruk-Kultur im vierten Jahrtausend vor Christus war – die überregionale Ausstrahlung reichte damals bis ins heutige Syrien, Anatolien und den Iran.

Warum diese Sammlung so außergewöhnlich ist, wird auch dem Laien beim Gang durch die drei Räume schnell bewusst: Zu den wichtigsten Erfindungen gehörten nämlich unter anderem die Schrift, die schnell drehende Töpferscheibe oder auch das Rollsiegel. Dass diese Sammlung, die sich eigentlich in der Trägerschaft des Deutschen Archäologischen Instituts (Berlin) befindet, in der Ruperto Carola verwahrt wird, ist übrigens zwei an den Grabungen beteiligten Heidelberger Wissenschaftlern zu verdanken.

„Das ist eine Perle, auf die wir sehr stolz sind“, schwärmt Prof. Peter Miglus, am Institut zuständig für die Uruk-Warka-Sammlung. Und weiter: „Das Museum ist zwar klein, die Sammlung gehört aber für diese Zeitepoche zu den wichtigsten weltweit.“ Und doch macht Miglus zugleich deutlich, dass ohne das ehrenamtliche Engagement vieler Mitarbeiter und Studierender das alles so nicht möglich wäre. Kein Einzelbefund. Hört man sich bei den verschiedenen Sammlungen in der Universität um, so stellt man fest, dass selbst in ganz etablierten Einrichtungen, die einen festen Platz auch in der nicht-universitären Museumslandschaft haben, viel improvisiert werden muss, um die Pforten für Besucher überhaupt offen zu halten. Wohl lediglich das eindrucksvolle und weltweit wohl bekannteste Heidelberger Universitätsmuseum, nämlich die Sammlung Prinzhorn mit ihren Kunstwerken von Patienten psychiatrischer Anstalten, dürfte in dieser Hinsicht eine Ausnahme von der Regel sein.

Die Sammlung Prinzhorn.
Foto: Universität

Durch die Fusion einzelner Einheiten zum neuen Institut für Geowissenschaften kam es im vergangenen Jahr auch zu einer Zusammenlegung der Mineralogischen Sammlung mit dem Geologisch-Paläontologischen Museum – beides ehrwürdige Institutionen, die in ihrem Grundstock noch aus dem vorletzten Jahrhundert stammen. PD Dr. Stefan Götz sieht folgerichtig den Zeitpunkt gekommen, „sich über dauerhafte und zukünftige Strukturen Gedanken zu machen.“ Prof. Wolfgang Stinnesbeck unterstreicht, dass die Heidelberger geowissenschaftliche Sammlung gleich in dreierlei Hinsicht wichtig ist – zum einen als Hilfsmittel in der Lehre, dann als Sammlung von Belegstücken für Forschungsarbeiten; und schließlich verfügt das Institut noch über eine ganz vorzügliche historische Schatzkammer, zu deren Glanzstücken der homo heidelbergensis gehört.

Gerade letzterer ist für die interessierte Öffentlichkeit das Aushängeschild für den Geologie-Standort Heidelberg. Dessen Attraktion schon ganz jungen Menschen, also gewissermaßen den Wissenschaftlern von morgen, zu vermitteln, ist wiederum das Ziel der museumspädagogischen Arbeit des Geologisch-Paläontologischen Museums – jahrelang von Dr. Johanna Kontny verantwortet, jetzt von Kristina Eck fortgeführt. „Gerade die Geowissenschaft“, so Kontny, „bietet sich hier als erste Anlaufstelle an, da in ihr viele Disziplinen – von der Physik über die Biologie bis hin zur Chemie – vertreten sind.“ Besucht werden sie beispielsweise von ganzen Schulklassen; zugleich besteht für einzelne Schüler Gelegenheit, im Rahmen des Programms „Berufsorientierung am Gymnasium“ (BOGY) ein Praktikum zu absolvieren.

Ähnliche Angebote bieten inzwischen auch andere Universitätsmuseen an, so das Zoologische Museum, das wegen seiner umfangreichen Tierpräparate-Sammlung nicht nur, aber eben auch auf Jugendliche ausgesprochen anziehend wirkt. Ein noch relativ junges Projekt ist die „Grüne Schule“ des Botanischen Gartens, mit der – übrigens nicht nur für Schüler im klassischen Sinne – „durch direkte Anschauung und Lernen am Objekt“ botanisches Wissen und damit die „Wertschätzung für die natürlichen Lebensgrundlagen und die Bereitschaft zu einem schonenden Umgang mit der Natur“ vermittelt werden soll.

Gerade an solchen Bildungsprogrammen für eine breite Öffentlichkeit zeigt sich, welch wichtige Rolle die Museen und Sammlungen bei der Vermittlung von Wissenschaft neben Vorträgen und Buchpublikationen spielen können. Manchmal auch im Sinne eines Korrektivs. So erklärte Prof. Joachim Kirsch vom Institut für Anatomie und Zellbiologie vor drei Jahren bei der Eröffnung der neu gestalteten Dauerausstellung der Anatomischen Sammlung, dass man das breite Interesse in der Bevölkerung für den menschlichen Körper „nicht ausschließlich kommerziellen Interessen überlassen“ dürfe – eine Anspielung auf den seinerzeit immensen Erfolg der „Körperwelten“-Ausstellung des umstrittenen Heidelberger Präparators Gunther von Hagens.

Abguss-Sammlung im Marstallhof.
Foto: Universität

Der im Grunde begrüßenswerten Öffnung gegenüber einem breiten Publikum sind allerdings auch Grenzen gesetzt. Nicht allein deswegen, da für einen herkömmlichen Museumsbetrieb nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung stehen. Zugleich darf der Besucherstrom nicht der universitären Nutzung in die Quere kommen; ein Spagat ist da nicht selten vonnöten. Dr. Hermann Pflug, Kurator der Abguss-Sammlung und des Antikenmuseums, betont, dass gerade deshalb die Zahl an Sonderausstellungen ein gewisses Maß nicht überschreiten dürfe, um eben den alltäglichen Lehrbetrieb nicht über Gebühr zu strapazieren.

Das Marstallgebäude, in dem sich die von Pflug betreuten Schaufenster der Antike befinden, ist übrigens der Museumstempel der Ruperto Carola. Denn außer der – allerdings nicht öffentlich zugänglichen – Faksimiliensammlung antiker Texte des Instituts für Klassische Philologie gibt es hier auch noch die hochkarätige Sammlung des Ägyptologischen Instituts zu bestaunen, in der sich unter anderem auch Leihgaben aus dem Badischen Landesmuseum Karlsruhe, dem Kunsthistorischen Museum Wien sowie aus dem Boston Museum of Fine Arts befinden – und die demnächst umziehen wird.

Bleibt von den größeren Einrichtungen noch das Universitätsmuseum im Gebäude der Alten Universität zu nennen. Zum 600. Jubiläum der Ruperto Carola eröffnet, bietet es in seiner Dauerausstellung einen pointierten Überblick über deren Geschichte – zu den Glanzlichtern gehört sicherlich die Präsentation der wertvollen Universitätsszepter aus dem Mittelalter.

Aber selbst in diesem so offiziell erscheinenden Museum, erklärt Prof. Matthias Untermann, Kunsthistoriker und Rektoratsbeauftrager für das Universitätsmuseum, sind die fast täglichen Öffnungszeiten nur durch ehrenamtliche Mitarbeiter zu gewährleisten. Zuständig ist er vor allem auch für die Koordination der regelmäßigen Wechselausstellungen, in der ganz unterschiedliche Themen präsentiert werden – nicht selten konzipiert von Studierenden. Von Spezialthemen aus der Universitätsgeschichte bis hin zur Vorstellung neuester Forschungsergebnisse zum Urknall reicht das Spektrum.

Das Universitätsmuseum.
Foto: Universität

Und im Kleinen spiegelt sich hier, was die Sammlungen und Museen an der Universität Heidelberg im Ganzen ausmachen: ein schier unerschöpflicher Fundus an Themen und Materialien, der Experten wie Laien, Studierende wie Forscher mit der Wissenschaft auf sehr sinnliche Weise in Berührung kommen lässt.

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