Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Professor mit 29 und ganz den alten Griechen verschrieben

Von Oliver Fink (Text und Foto)

Ein wenig plage ihn noch der Jetlag. Doch im Gespräch wirkt er hellwach. Zum aktuellen Sommersemester hat Jonas Grethlein eine Stelle als Professor für Griechische Literaturwissenschaft am Seminar für Klassische Philologie der Universität angetreten und freut sich auf seine Arbeit an der „Gadamer-Universität“. Der erst 29-jährige Wissenschaftler, geboren 1978 in München, ist von der University of California in Santa Barbara an den Neckar gewechselt.

Ach ja, Kalifornien. Im noch provisorisch eingerichteten Büro erläutert Jonas Grethlein die Vorzüge seiner vormaligen Wirkungsstätte: „Vermissen werde ich natürlich die Sonne, das Meer, das Surfen und die manchmal nur schwer zu ertragende Leichtigkeit des Lebens dort“, sagt er schmunzelnd – „nicht allerdings die harten Tennisplätze, das geht auf die Knie“.

Und bezogen auf das Universitätssystem? "Gut gefallen in den USA haben mir die Offenheit der Klassischen Philologie für moderne Ansätze und die flachen Hierarchien." Dass auch Studierende bereits unbefangen bei akademischen Diskussionen mit etablierten Wissenschaftlern mitmischen, wünscht er sich auch für Heidelberg und will mit dazu beitragen, eventuelle Berührungsängste abzubauen. Dass er selbst noch so jung ist, dürfte sein Vorhaben erleichtern.

Die Forschungsinteressen von Jonas Grethlein liegen an der Schnittstelle zwischen Literatur- und Geschichtswissenschaft. Zu seinen Spezialitäten gehört die historische Interpretation literarischer Werke – so beispielsweise praktiziert in seiner Studie "Geschichte, Geschichtlichkeit und Erzählung in der Ilias. Eine Untersuchung des Geschichtsbildes (in) der Ilias aus phänomenologischer und narratologischer Perspektive", mit der er sich im Wintersemester 2004/2005 an der Universität Freiburg habilitiert hat.

GrethleinI

Sein Faible dafür wurzelt in der modernen Besessenheit für "memoria". Im Vergleich aktueller Erinnerungskonzeptionen mit antiken Geschichtsbildern ergeben sich freilich große Unterschiede: "Für uns spielt der Entwicklungsbegriff eine zentrale Rolle. Auch wenn der Fortschrittsglaube im letzten Jahrhundert durch die furchtbaren Katastrophen und Genozide gelitten hat, sind wir der Zukunft gegenüber doch sehr offen eingestellt. Für die Griechen dagegen stand der Zufall, also das, was sich menschlicher Verfügungsgewalt entzieht, im Vordergrund. Die Zukunft wurde eher als etwas Bedrohliches angesehen", erklärt der Philologe.

Grethlein, der zwischen 1997 und 2002 an den Universitäten Göttingen, Oxford sowie Freiburg studiert hat und von 2003 bis 2005 als Visiting Scholar am Department of Classics der Harvard University wirkte, zählt die Interdisziplinarität zu den wichtigsten Voraussetzungen seiner wissenschaftlichen Arbeit. Keine Frage, dass die Ruperto Carola mit ihrem Profil der Volluniversität in dieser Hinsicht besonders attraktiv für ihn ist.

Erste Kontakte – etwa zu dem Althistoriker Kai Trampedach oder dem Archäologen Tonio Hölscher – sind bereits geknüpft. Und ebenso freut sich Grethlein auf einen "Ort mit großer Tradition", gerade auch in den Geisteswissenschaften: "Was ich in Santa Barbara ein bisschen vermisst habe, ist die hermeneutische Ausrichtung der Philosophie." Hier, an der alten Wirkungsstätte von Hans-Georg Gadamer, erhofft er sich nun diesbezüglich anregende Begegnungen und Gespräche.

Sein neues "Institut" sieht Jonas Grethlein hervorragend aufgestellt; die immer wieder geforderte öffentliche Wahrnehmung sei durch verschiedene Aktivitäten – etwa den "Heidelberger Förderpreis für klassisch-philologische Theoriebildung" oder auch die Zusammenarbeit mit Schulen – bereits auf einem sehr hohen Niveau. Grethlein möchte sich in diesem Zusammenhang besonders im Bereich Theater engagieren. Vor kurzem hat er eine Einladung vom Staatstheater Braunschweig erhalten, bei der Produktion von Aischylos’ Tragödie "Die Perser" mitzuwirken, bei der 500 Bürgerinnen und Bürger der Stadt die zentrale Rolle des Chores einnehmen sollen.

Bleibt noch ein Wort zu seiner erstaunlich temporeichen akademischen Karriere zu verlieren, zu der auch einige Auszeichnungen wie der renommierte Heinz Maier-Leibnitz-Preis (2006) gehören. Ganz so geradlinig, wie es der Lebenslauf vorgaukle, sei sein Weg aber nicht gewesen, wirft Jonas Grethlein ein. Nach seiner Promotion beispielsweise habe er bei der Unternehmensberatung McKinsey angeheuert, dann aber doch festgestellt, dass die Wissenschaft genau das Richtige für ihn sei.

Sein Erfolgsrezept? "Ich hatte sehr viel Glück, bin gefördert worden, bin von keinem Professor ausgebeutet worden und auch der Zufall hat natürlich eine gewisse Rolle gespielt."