Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

„Eigentlich schweben wir alle in einem Raumschiff durchs Weltall“

Die Universität Heidelberg stellt ihre Geo- und Umweltwissenschaften neu auf, strukturiert sie um. Zu den Zukunftsperspektiven dieser Disziplinen äußern sich Rektor Prof. Bernhard Eitel (Geograph) und Prorektor Prof. Kurt Roth (Umweltphysiker) im Interview:

Die Heidelberger Geo- und Umweltwissenschaften sollen ein neues Aushängeschild der Universität werden. Warum sind sie besonders zukunftsträchtig?

Eitel: "Zusammengefasst sind hier die Institute für Mineralogie, für Geologie/Paläontologie und Umwelt-Geochemie. Daneben gibt es das Geographische Institut und das Institut für Umweltphysik. Diese drei Einheiten sollen den Nukleus für ein neues Zentrum bilden, das Brücken schlägt zu den Wirtschafts-, Rechts-, Bio- oder Sozial- und Geisteswissenschaften. Auch das Gesundheitswesen spielt eine Rolle."

Werden neue Professuren eingerichtet?

Eitel: "Gerade jetzt schaffen wir eine neue Brücken-Professur im Bereich der Geoinformatik. Finanziert wird sie im Rahmen des Ausbauprogramms 2012, mit dem das Land auf die erhöhte Nachfrage nach Studienplätzen der dann anstehenden zwei Abiturjahrgänge reagiert. Darüber hinaus haben wir beschlossen, die Arbeiten der 2010 auslaufenden Forschungsstelle Radiometrie der Heidelberger Akademie der Wissenschaften an der Universität fortzuführen und mit einer neuen Professur ,Physik von Umweltarchiven’ zu versehen. Hinzu kommt eine Neubesetzung im archäologischen Kontext. Beabsichtigt sind aus dem Ausbauprogramm 2012 ferner Professuren für Umweltrecht, für Umweltökonomie und für Migrationsforschung. Das sind fünf zusätzliche Professuren in diesem Bereich."

Roth: "Nur ein Teil dieser Professuren entfällt auf die Naturwissenschaften im Neuenheimer Feld. Der andere Teil wird in den Rechts- und den Sozialwissenschaften in der Altstadt angesiedelt."

Welche Grundintention liegt der Neuformierung zugrunde?

Eitel: "Die gewachsenen Strukturen waren schon bisher erfolgreich, wurden aber wegen ihrer Zersplitterung nach innen und außen wenig wahrgenommen. Deshalb wollen wir sie sichtbarer und zudem verbundforschungsfähig machen. Gedacht ist zunächst an kleinere Verbundprojekte – wenn es klappt vielleicht schon für die zweite Exzellenzinitiative, denn dort müssen wir mit einem neuen Programm antreten. Die Grundidee stammt nicht allein aus dem Rektorat sondern auch aus dem Academic Advisory Council, dem Wissenschaftlichen Beirat der Universität."

Welche Rolle spielen die geowissenschaftlichen Kooperationen mit Karlsruhe?

Roth: "Die beiden Universitäten sind komplementär ausgerichtet. Karlsruhe ist in Richtung Ingenieurwissenschaft und Anwendung enorm stark, bei den Geowissenschaften etwa im Wasserbereich. Dagegen ist Heidelberg stärker grundlagenorientiert, so dass wir uns gut ergänzen."

Eitel: "Soeben wurde in Stuttgart das Ergebnis der Strukturevaluation Geowissenschaften in Baden-Württemberg verkündet. Darin sieht das Land die Möglichkeit, Verbünde wie jenen zwischen Karlsruhe und Heidelberg mit zusätzlichen Mitteln zu unterstützen."

Noch liefern Gebirgsgletscher genügend Wasser für die chinesische Millionenmetropole Urumqi. Aber was geschieht, wenn die Gletscher abgeschmolzen sein werden?
Foto: Roth

Ein wichtiges Projekt der Geowissenschaften ist in der chinesischen Stadt Urumqi angesiedelt.

Roth: "Bei diesem gerade bewilligten Vorhaben sind universitäre und außeruniversitäre Gruppen aus dem Rhein-Neckar-Kreis beteiligt, insbesondere auch die Stadt Heidelberg. Es geht in diesem Projekt um die Metropole Urumqi, die Hauptstadt der Autonomen Provinz Xinjiang im trockenen Nordwesten Chinas, mit mehr als zwei Millionen Einwohnern. Die Stadt liegt zwischen dem Tien Shan Gebirge und der Gurbantüngüt Wüste im Djungar Becken; und diese naturräumliche Umgebung birgt eine ganze Reihe von Problemen: Wie kann man diesen Lebensraum für eine möglicherweise schnell wachsende Bevölkerung langfristig sichern, insbesondere die Versorgung mit Wasser? Dieses stammt zu einem großen Teil von verhältnismäßig kleinen, zurzeit abschmelzenden Gletschern. Während das Wasser in der Gegenwart zwar ausreicht, wird es zu fundamentalen Problemen kommen, wenn die Gletscher verschwunden sein werden."

Wo liegen weitere Themen?

Eitel: "Wichtig ist die Archäologie-Spange. Hier geht es um die Frage der Kulturentstehung: Wie beeinflussen Umweltveränderungen menschliche Gesellschaften und deren Entwicklung? Vor dem Hintergrund des heutigen globalen Wandels können wir untersuchen, welche Reaktionen es in der Vergangenheit auf natürliche Veränderungen gegeben hat. Die entsprechenden Arbeiten reichen von der Keltenzeit im Kraichgau bis zu den Anfängen ausdifferenzierter Gesellschaften in verschiedenen Regionen der Erde, etwa in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Archäologischen Institut."

Roth: "Bedeutsam sind auch die Umweltarchive, die zeigen können, wie die Verhältnisse beispielsweise vor 10 000 Jahren waren. Dies ist insbesondere das Thema der angesprochenen Professur ,Physik von Umweltarchiven’. Außerdem gibt es immer mehr Umweltbeobachtungssatelliten im Weltall, die Spurenstoffe in der Atmosphäre messen können, beispielsweise Stickoxide, aber auch wichtige Eigenschaften der Erdoberfläche. In diesem Jahr soll etwa ein Experimentalsatellit gestartet werden, der sowohl den Wassergehalt von Böden als auch den Salzgehalt der Ozeane erfassen soll – beides zentrale Größen zum Verständnis des Klimas und seiner Änderungen."

In der Archäologie gibt es technische Verfahren, die den eigentlichen Grabungen vorgeschaltet werden.

Eitel: "Hier haben wir langjährige Erfahrung. Ein Verfahren arbeitet mit Schallwellen, die Unterschiede im Boden feststellen, welche dann aber noch interpretiert werden müssen. Dann gibt es geoelektrische – Strom einsetzende – Methoden, mit denen Widerstände gemessen und so Besonderheiten aufgespürt werden können. Die dritte Vorgehensweise besteht im Georadar. Es stellt sich jeweils die Herausforderung, zwei- oder dreidimensionale Bilder zu errechnen."

Wie sollen die Geo- und Umweltwissenschaften im Wettbewerb aufgestellt sein?

Roth: "Die Geowissenschaften als solche treffen schon in Deutschland auf eine enorm starke Konkurrenz. Die spezifische Heidelberger Qualität liegt in der Verbindung von harten Geowissenschaften, Physik und sozioökonomischen Disziplinen, die einen umfassenden Zugang zu unserer Umwelt ermöglicht."

Eitel: "Wir wollen wegkommen vom Gegensatz zwischen Mensch und Umwelt, denn der Mensch ist Bestandteil des Blauen Planeten. Aus dieser globalen Perspektive ergeben sich ,emerging fields’ – auftauchende große Fragen der Menschheit. Und da muss sich eine Volluniversität wie die Ruperto Carola frühzeitig positionieren."

Heribert Vogt, Copyright Rhein-Neckar-Zeitung