Wenn Teilchen gleichzeitig nach rechts und nach links fallen
1. August 2014
Grafik: Arbeitsgruppe Synthetische Quantensysteme
Ein Bleistift, der auf der Spitze steht, wird durch eine noch so kleine Störung in die eine oder die andere Richtung kippen. In der Quantenwelt ist es prinzipiell möglich, dass die Teilchen eines Systems gleichzeitig nach links und nach rechts fallen. Dieses „und“ – die sogenannte Quantenverschränkung der Teilchen – vom klassischen „oder“ zu unterscheiden, stellt eine experimentelle Herausforderung für die Forschung dar. Wissenschaftler des Kirchhoff-Instituts für Physik der Universität Heidelberg haben nun eine neue und allgemeine Methode entwickelt, die den Nachweis der Verschränkung für beliebige Zustände von großen atomaren Systemen erlaubt. Die Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der Quantenmetrologie wurden in „Science“ veröffentlicht.
In seinen Experimenten nutzte das Team unter der Leitung von Prof. Dr. Markus Oberthaler den klassisch instabilen Zustand eines ultrakalten atomaren Gases, eines sogenannten Bose-Einstein-Kondensats. Dabei handelt es sich um den extremen Aggregatzustand eines Systems nicht unterscheidbarer Teilchen, die sich überwiegend im selben quantenmechanischen Zustand befinden. Die Heidelberger Forscher verwendeten ein Gas aus rund 500 Atomen mit Temperaturen von 0,00000001 Kelvin über dem absoluten Temperaturnullpunkt. Nach kurzer Zeit entwickelt sich daraus ein System mit hoher Teilchenverschränkung. Um diesen „Und“-Zustand mit seinen besonderen quantenmechanischen Eigenschaften experimentell nachweisen zu können, musste das Team eine Vielzahl dieser atomaren Systeme unter gleichen Bedingungen bei jeweils verschiedenen Einstellungen des Laboraufbaus realisieren. „Dieses Vorgehen erforderte Messungen über mehrere Wochen, in denen die Schwankungen des von uns eingesetzten Magnetfelds unter ein Zehntausendstel des Erdmagnetfelds reduziert werden mussten“, erläutert der Erstautor der Studie, Helmut Strobel.
Eine zweite Herausforderung stellte die richtige Analyse der Messungen dar. Dazu mussten neue statistische Konzepte entwickelt werden. Ziel war es, aus den Daten der Messungen den für die Quantenmetrologie relevanten Informationsgehalt herauszufiltern. Diese sogenannte Fisher-Information, die nach dem Genetiker und Statistiker Ronald A. Fisher benannt ist, quantifiziert auf eindeutige und allgemeine Weise die sensitive Abhängigkeit des jeweiligen quantenmechanischen Zustands von den metrologisch relevanten Messgrößen. Bei einem atomaren Bose-Einstein-Kondensat dieser Größe ist dies mit herkömmlichen Verfahren nicht möglich, wie Markus Oberthaler erläutert. Die neue Methode ist darüber hinaus auf noch größere Systeme anwendbar. „Wir können damit beliebige experimentelle Quantenzustände daraufhin untersuchen, ob sie sich für präzisere Messungen eignen als klassisch möglich“, so Prof. Oberthaler. „Dabei handelt es sich um ein hochaktuelles Thema auf dem Gebiet der Quantenmetrologie.“
Markus Oberthaler leitet am Kirchhoff-Institut für Physik die Arbeitsgruppe Synthetische Quantensysteme. An den Forschungsarbeiten waren Wissenschaftler des Forschungszentrums Quantum Science and Technology in Arcetri (QSTAR) und des European Laboratory for Non-Linear Spectroscopy (LENS) beteiligt.
Originalpublikation:
H. Strobel, W. Muessel, D. Linnemann, T. Zibold, D.B. Hume, L. Pezzè, A. Smerzi, M.K. Oberthaler: Fisher information and entanglement of non-Gaussian spin states. Science 25 July 2014: Vol. 345 no. 6195 pp. 424-427, doi: 10.1126/science.1250147