Lebensqualität im Alter bei Menschen mit geistiger Behinderung – Erhaltung und Förderung der Kompetenz (2001-2003)

Projektbeschreibung

Hintergrund

Grundlage des Projekts bildet die Erkenntnis, dass Alternsprozesse bei Menschen mit geistiger Behinderung nicht grundsätzlich anders verlaufen als bei Menschen ohne geistige Behinderung – somit also von einer prinzipiell gegebenen Vergleichbarkeit geistig behinderter und nicht-behinderter Menschen in zentralen Dimensionen des Alternsprozesses auszugehen ist. Bis in das hohe Alter finden sich Veränderungspotenziale (Plastizität) sowohl im körperlichen als auch im alltagspraktischen und kognitiven Bereich, die die Entwicklung und Umsetzung von Lern- oder Trainingsangeboten nahe legen.

Ziele

Der Schwerpunkt des Projekts liegt auf dem Erwerb oder dem Erhalt alltagspraktischer Kompetenzen geistig behinderter älterer Menschen durch Förderung durch eine selbständigkeitsorientierte Umwelt. Es wurde - in Anlehnung an gerontologische Studien zur Förderung von Kompetenz bei Menschen mit Hilfebedarf oder Pflegebedarf – davon ausgegangen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch vermehrte Selbständigkeitsorientierung in ihrem Betreuungs- und Pflegekonzept einen zentralen Beitrag zur Förderung der Kompetenz bei älteren Menschen mit geistiger Behinderung leisten.

Folgende Fragen liegen dem Projekt zugrunde:

• Kann der ältere geistig behinderte Mensch neue Kompetenzen entwickeln, bzw. über einen längeren Zeitraum nicht eingesetzte Fertigkeiten wieder aktivieren?
• Ist der Einfluss der sozialen Umwelt bzw. hier das Verhalten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegenüber Menschen mit geistiger Behinderung entscheidend für eine Zunahme oder aber einen Verlust an Kompetenzen im alltagspraktischen Bereich?
• Welche fachlichen Kompetenzen benötigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Behindertenhilfe um selbständiges Verhalten bei geistig behinderten älteren Menschen zu erhalten oder zu fördern?
• Welcher Bedarf an Wissensvermittlung besteht bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und welche Vorschläge zur Veränderung bestehender Curricula unterbreiten sie?
• Wie ist das Altersbild der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, welche Stärken und welche Schwächen beobachten sie bei älteren Menschen mit geistiger Behinderung?

Methode

Daten zu Alternsprozessen bei Menschen mit geistiger Behinderung wurden in fünf stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe erhoben, dazu sind zwei Instrumente entwickelt worden, ein Fragebogen und ein halbstrukturiertes Interview.
Die Interventionsstudie besteht aus einem Prätest-Posttest-Vergleich mit Kontrollgruppe. Prä- bzw. Posttest, d.h. das Betreuungsverhalten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegenüber den zugeordneten Bewohnerinnen und Bewohnern in einer umschriebenen Situation an zwei Messzeitpunkten, wurden mittels Videoaufnahmen dokumentiert. Insgesamt wurden 40 Probandenpaare untersucht, davon gehören 30 zur Interventionsgruppe und 10 zur Kontrollgruppe.
Zwischen Prä- und Posttest lag die Intervention. Diese bestand aus einem Reflexionsgespräch, das die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf der Grundlage der ersten Videoaufnahme dazu anregen sollte, ihr Betreuungsverhalten zu analysieren und deren Konsequenzen bewusst zu machen. Zwischen den beiden Messzeitpunkten fand eine zweitägige Fortbildung statt, in der gerontologische, geriatrische, gerontopsychiatrische und psychologische Inhalte vermittelt wurden. Die Teilnehmer wurden in die Methode der Verhaltensmodifikation eingeführt. In der sich anschließenden Übungsphase konnten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die theoretischen Erkenntnisse in die Praxis umsetzen. Zu einem zweiten Messzeitpunkt wurde das Verhalten in der Betreuungssituation – die Interaktion – der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der zugeordneten Bewohnerinnen und Bewohner erneut dokumentiert. Das zu beiden Messzeitpunkten gezeigte Verhalten wurde analysiert und miteinander verglichen, die Veränderungen wurden dokumentiert und die statistische Signifikanz der Daten geprüft.

Ergebnisse

Eine statistisch signifikante Verschiebung des relativen Anteils an einer Hauptaktivität von Bewohnerinnen und Bewohnern sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist die Folge einer Verhaltensänderung des Probandenpaares, welche sich in einer veränderten Ausprägung der Aktivität im Vergleich der beiden Messzeitpunkte niederschlägt.
Die quantitative Analyse der Videosequenzen ergab eine hohe Signifikanz in der Veränderung der Interaktion beim Vergleich des ersten und zweiten Messzeitpunktes und dokumentieren die Zunahme des Grades der Aktivität der Bewohnerinnen und Bewohner bzw. die Zunahme an selbständigem Verhalten, welches auf die Verhaltensänderung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter i. S. eines vermehrt selbständigkeitsunterstützenden Verhaltens zurückzuführen ist.
Die qualitative Analyse der Videosequenzen ergab, dass sich eine Erweiterung von Kompetenzen auf vielfältige Weise manifestieren kann; sie ist nicht immer in einer absoluten oder relativen Zunahme der Aktivitäten der Bewohnerinnen und Bewohner zu dokumentieren. Auch bei einer geringfügigen Verschiebung im Verhältnis der Teilaktivitäten kann sich eine Erweiterung der Kompetenzen zeigen; Bewohnerinnen und Bewohner zeigen beispielsweise neu erlernte Aktivitäten, die nur qualitativ erfasst werden können.

Veröffentlichungen

Kruse, A., Ding-Greiner, Ch., & Grüner, M. (2002). Den Jahren Leben geben. Lebensqualität im Alter bei
Menschen mit Behinderungen. Projektbericht. Stuttgart: Diakonisches Werk.
Kruse, A., & Ding-Greiner, Ch. (2003). Ergebnisse einer Interventionsstudie zur Förderung und Erhaltung von
Selbstständigkeit bei älteren Menschen mit geistiger Behinderung. ZfG, 36, 463-474.
Verantwortlich: E-Mail
Letzte Änderung: 07.10.2008
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