DEMIAN - DEmenzkranke Menschen in Individuell bedeutsamen AlltagssituationeN (2004-2010)


Projektleitung: Prof. Dr. Andreas Kruse, Dr. Susanna Re

Arbeitsgruppe: Marion Bär, Charlotte Berendonk, Marlies Böggemann, Sonja Ehret, Roman Kaspar, Marion Motruk, Silke Stanek, Mechthild Schönit


Gefördert durch: Bundesministerium für Bildung und Forschung

Das Projekt DEMIAN ist Mitglied im Pflegeforschungsverbund Nordrhein-Westfalen

Inhaltsverzeichnis

Das Konzept DEMIAN

DEMIAN (DEmenzkranke Menschen in Individuell bedeutsamen AlltagssituationeN) ist ein Konzept zur emotionalen Förderung von Menschen mit Demenz.
Den Ausgangspunkt bilden individuelle positiv bedeutsame Alltagssituationen der Betroffenen. Diese Situationen sollen – in ihren gegenwärtigen und biografischen Bezügen – von den pflegenden Bezugspersonen systematisch erfasst und gestaltet werden.
Der konzeptuelle Rahmen der individuellen positiven Alltagssituationen umfasst mehrere Aspekte, die in der Pflege von Menschen mit Demenz von besonderer Bedeutung sind: Im Zentrum steht das individuelle Erleben des Menschen mit Demenz. Die Fähigkeit, Personen, Dingen und Situationen persönliche Bedeutsamkeit zuzumessen, bleibt auch angesichts der kognitiven Beeinträchtigungen bei Demenz erhalten. Menschen mit Demenz verfügen bis in schwere Stadien der Erkrankung hinein über persönliche Vorlieben und individuelle Werte. Diese sind verbunden mit den lebensgeschichtlichen und sozialen Kontexten der Betroffenen. Wenn Menschen mit Demenz in ihrem Wert-Erleben angesprochen werden, trägt dies zur Erhaltung ihres Selbst und zur Aufrechterhaltung von Autonomie bei.
Für die Bezugspersonen sind positive Bedeutsamkeiten an sprachlichen Äußerungen, Handlungen und am emotionalen Ausdruck erkennbar. Letzteres hat in der Pflege von Menschen mit Demenz einen zentralen Stellenwert: Befindensäußerungen werden multimodal vermittelt und werden intuitiv, ganzheitlich und situativ wahrgenommen. Außerdem bleibt die Fähigkeit, Gefühle nonverbal auszudrücken, auch nach Verlust der verbalen Kommunikation meist erhalten.
Wenn im Rahmen des DEMIAN-Konzepts nach individuellen positiven Alltagssituationen gefragt wird, konstituiert sich „Situation“ in diesem Fall aus zwei Elementen: (a) das Befinden des Betroffenen, (b) Bedingungen der Situation, die für das positive Befinden ursächlich gemacht werden. Für beides lassen sich, bei entsprechend differenzierter Wahrnehmung, konkrete Beobachtungsparameter nennen. Situation meint also hier das Zusammenfallen einer Konstellation von Rahmenbedingungen und einer Befindenslage. Die Rahmenbedingungen lassen sich gestalten; auf diese Weise entstehen positive Erlebnisräume für Menschen mit Demenz.
 

Studienphase I: Entwicklung einer Methode zur Förderung der Lebensqualität durch die Gestaltung positiver Erlebnisräume (2004 – 2007)


Ziele und Fragestellungen

In der ersten Studienphase wurde der pflegerische Ansatz entwickelt und empirisch geprüft.
Der Studie lagen folgende Fragestellungen zugrunde:

  1. Gelingt es, für die an der Studie beteiligten demenziell erkrankten Studienteilnehmer nachweislich positiv bedeutsame und ad hoc realisierbare Alltagssituationen als Grundlage einer auf individuelle Förderung zielenden Intervention zu gewinnen? Welchen Beitrag können die Betroffenen selbst, ihre Angehörigen und die Pflegenden bei der Gewinnung solcher Situationen leisten? Wie gestaltet sich der Prozess der Auswahl und Bearbeitung der gewonnenen Informationen für die Vorbereitung der Intervention?
  2. Inwieweit führt die Intervention zu unmittelbaren Veränderungen der aktuellen Befindlichkeit?
  3. Inwieweit verbessert sich als Folge wiederholter Gestaltung positiver Erlebnisräume das habituelle Wohlbefinden (die allgemeine Grundstimmung) der Teilnehmer? Ist eine solche Intervention im Hinblick auf die geprüften Effekte einer unspezifischen, d. h. nicht auf der Kenntnis individueller positiver Alltagssituationen basierenden Intervention überlegen?

Der Studienverlauf gliederte sich entsprechend in zwei Abschnitte:

  • a) Studienabschnitt A: Identifizierung von Alltagssituationen mit individueller positiver Valenz und Gewinnung individueller Interventionspläne durch Selektion nachweislich positiver und ad hoc umsetzbarer Situationen
  • b) Studienabschnitt B: Prüfung situativer und langfristiger Interventionseffekte im Vergleich zu unspezifischer, d. h. nicht auf individuellen Themen beruhender Zuwendung.


Die individuellen positiv bedeutsamen Alltagssituationen, denen das Treatment aufbaute, wurden im Rahmen von Interviews mit den demenzkranken Studienteilnehmern, mit deren Angehörigen und mit Pflegenden der beteiligten Einrichtungen erhoben. Aus dem gewonnenen Spektrum positiver Anregungsmöglichkeiten wurden solche Situationen ausgewählt, die ad hoc – das heißt ohne größeren Vorbereitungsaufwand – von den Pflegenden realisiert werden können. Auf diese Weise wurde für jeden Teilnehmer ein individueller Interventionsplan generiert, der die Grundlage des nachfolgenden 3-wöchigen Treatments bildete, wobei täglich mehrfach positive Situationen realisiert wurden. Das Treatment der Kontrollgruppe beinhaltete demgegenüber Gespräche über allgemeine, nicht auf persönlich bedeutsamen Themen der Teilnehmer zugeschnittene Inhalte. In den Prä-Post-Vergleich fließen Daten zur psychischen Befindlichkeit ein, die per Selbst- und Fremdeinschätzung sowie per Videografie erhoben wurden.

Ergebnisse

Teilgenommen haben 25 Alten- und Pflegeheime im Raum Nordbaden und im Raum Weser-Ems. Insgesamt wurden 98 Heimbewohner mit beginnender, mittelgradiger und fortgeschrittener Demenz einbezogen.
Die Ergebnisse belegen, dass sich unabhängig vom Schweregrad der demenziellen Erkrankung individuelle positiv bedeutsame und unter Alltagsbedingungen umsetzbare Situationen finden lassen. Als außerordentlich gewinnbringend im Hinblick auf die Situationenvielfalt erwies sich dabei die Berücksichtigung der Perspektiven aller zentralen Akteure (Betroffener, Angehöriger, Pflegende), denn inhaltlich betrachtet, offenbaren die positiv bedeutsamen Situationen ein vielfältiges Themenspektrum, welches die Notwendigkeit individuenzentrierter Vorgehensweise (gegenüber einem generellen „das ist für Demenzkranke positiv“) unterstreicht. Von besonderer Bedeutung sind Gesprächs- und zuwendungsbezogene Situationen, weitere Schwerpunkte bilden körperbezogene Interventionen und das Anregen von Erinnerungen.
Die unmittelbaren Reaktionen der Studienteilnehmer auf angebotenen Interventionen waren weit überwiegend positiv (fast 75% durchschnittlicher Anteil positiver Reaktionen). Dagegen belief sich der emotionsbezogene ‚Erfolg’ der unspezifischen Zuwendung auf lediglich knapp die Hälfte der dokumentierten Situationen.
Über den gesamten Interventionszeitraum hinweg blieb die situative Erfolgsrate der Interventionsgruppe weitgehend stabil: Anscheinend behalten die eingesetzten Situationen ihre positive Bedeutsamkeit über einen längeren Zeitraum bei, oder die verantwortlichen Pflegenden variierten die Interventionsangebote entsprechend der jeweils aktuellen Gegebenheiten.
Effekte im Hinblick auf eine Verbesserung des habituellen Wohlbefindens waren dagegen nur schwach ausgeprägt und unterschieden sich nicht signifikant von denen der Kontrollgruppe.
 

Studienphase II: Handlungskompetenzen in der Betreuung demenzkranker Menschen fördern (2007 – 2010)

Im Zentrum des Projekts DEMIAN II steht die Implementierung des evidenzbasierten Interventionskonzepts zur emotionalen Förderung von Menschen mit Demenz in die pflegerische Praxis.
Aufbauend auf den Ergebnissen und Erfahrungen der ersten Projektphase wird der DEMIAN-Ansatz zu einem Konzept weiter entwickelt und theoretisch ausgearbeitet. Für die professionelle Pflege wird eine Einbettung in den Pflegeprozess vorgenommen. Ziel ist in dieser Phase ist es, helfende Personen in die Lage zu versetzen, selbständig mit dem Konzept zu arbeiten. Untersucht werden die Auswirkungen einer Arbeit mit dem Konzept auf Pflegende – Pflegefachpersonen in der stationären Pflege sowie pflegende Angehörige in der häuslichen Pflege. Das Projekt wird in Form zweier kontrollierter clusterrandomisierter Interventionsstudien durchgeführt.

 

Kooperationspartner

Das Institut für Gerontologie hat im Rahmen des Projekts DEMIAN mit insgesamt 45 Alten- und Pflegeheimen im westlichen Bundesgebiet zusammengearbeitet. Durch ihre Teilnahme haben diese Einrichtungen einen wertvollen Beitrag zur Verbesserung der Qualität in der Pflege und Betreuung demenzkranker Menschen geleistet. Wir danken allen Kooperationspartnern für Ihr Engagement und die Zusammenarbeit.

 

Kontakt

Charlotte Berendonk, Diplom-Pflegewirtin (FH)
Telefon: +49 6221-54 81 34
berendonk@nar.uni-heidelberg.de
 

Dr. phil. Marion Bär, Diplom-Gerontologin
Telefon: +49 6221-54 81 76
marion.baer@gero.uni-heidelberg.de

Kompetenzzentrum Alter am Institut für Gerontologie

 

Publikationen

Berendonk C., Stanek S., Schönit M., Kaspar R., Bär M. & Kruse A. (2011): Biographiearbeit in der stationären Langzeitpflege von Menschen mit Demenz – Potentiale des DEMIAN-Pflegekonzepts. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 44, 13-18.

Berendonk, C.; Stanek, S.; Schönit, M.; Kaspar, R. & Kruse, A. (2010). Individuell pflegen: Vom Bauchgefühl" zum Pflegekonzept. In: Pflegezeitschrift, 63, 6, S. 355-358.

Stanek, S.; Berendonk, C.; Schönit, M.; Kaspar, R. & Kruse, A. (2010). Auf den Spuren des Glücks - Wie mit Blick auf die individuellen Vorlieben mehr Freude in den Pflegealltag einzieht. In: Pflegen: Demenz, 15, S. 20-23.

Stanek, S.; Berendonk, C.; Schönit, M.; Kaspar, R. & Kruse, A. (2010). Individuelle Erlebnisräume für Menschen mit Demenz gestalten. Das DEMIAN-Projekt. In: PADUA, 4, September 2010, S. 42-49.

Berendonk, C. & Stanek, S. (2010). Positive Emotionen von Menschen mit Demenz fördern - Die Gestaltung individuell bedeutsamer Alltagssituationen durch Pflegefachpersonen und pflegende Angehörige. In: Kruse, A. (Hrsg.): Lebensqualität bei Demenz? Zum gesellschaftlichen und individuellen Umgang mit einer Grenzsituation im Alter. Heidelberg: Akademische Verlagsgesellschaft. S. 157-176.

Reuschenbach, B., Mahler, C., Müller, E., Berendonk, C. & Hoben, M. (Hrsg.). (2009). Brücken bauen - Beiträge der AG Pflegeforschung Rhein-Neckar. Ostfildern: DCC-Kästl.

Motruk, M., Berendonk, C., Stanek, S., Bär, M., Ehret, S., Kaspar, R. & Kruse, A. (2009). Das Projekt DEMIAN: Positive Erlebnisräume von Menschen mit Demenz in der Pflege bewusst gestalten. In: B. Reuschenbach, C. Mahler, E. Müller, C. Berendonk & M. Hoben (Hrsg.), Brücken bauen - Beiträge der AG Pflegeforschung Rhein-Neckar. Ostfildern: DCC-Kästl.

Berendonk, C., & Stanek, S. (2009). Demenzkranke Menschen in individuell bedeutsamen Alltagssituationen - Ein Pflegekonzept zur individuellen Gestaltung positiver Erlebnisräume. In J. Behrens (Hrsg.), "Pflegebedürftig" in der "Gesundheitsgesellschaft". Langzeitbetreuung und Pflege im Spannungsfeld neuer Bewältigungsstrategien. 4. Tagung der Forschungsverbünde "Pflege und Gesundheit" und 7. Internationaler Kongress der österreichischen, deutschen und schweizer Fachgesellschaften für Gesundheits- und Medizinsoziologie vom 26.-28. März 2009 in Halle (Saale). Hallesche Beiträge zu den Gesundheits- und Pflegewissenschaften, 8(1), 70-82.

Motruk, M., & Berendonk, C. (2009). Das Projekt DEMIAN. Die Gestaltung positiver Erlebnisräume in der Pflege und Begleitung von Menschen mit Demenz. In Deutsche Alzheimer Gesellschaft e. V. (Hrsg.). Aktiv für Demenzkranke. Referate auf dem 5. Kongress der Deutschen Alzheimergesellschaft Selbsthilfe Demenz. Band 7. Berlin: Meta-Druck.

Böggemann, M., Kaspar, R., Bär, M., Berendonk, C., Kruse, A., & Re, S. (2008). Positive Erlebnisräume für Menschen mit Demenz: Ein Ansatz zur Förderung von Lebensqualität im Rahmen individuenzentrierter Pflege. In D. Schaeffer, J. Behrens, & S. Görres (Eds.), Optimierung und Evidenzbasierung pflegerischen Handelns. Ergebnisse und Herausforderungen der Pflegeforschung.. Weinheim: Juventa.

Heckenhahn, M., & Berendonk, C. (Hrsg.). (2007). Aufbruch unter Vorbehalt: Tagungsband der 11. studentischen Fachtagung der OStiPuG - Fulda. Fulda: pg-papers.

Bär, M., Böggemann, M., Berendonk, C., Kaspar, R., Kruse, A., & Re, S. (2007). Perspektiven zur Gestaltung positiver Erlebnisräume für Menschen mit Demenz in Pflegeinrichtungen. Beschreibung und Teilergebnisse einer Interventionsstudie. Tagungsband der 11. studentischen Pflege- und Gesundheitsfachtagung Fulda.

Böggemann, M., Kruse, A., Re, S., Bär, M., Berendonk, C., Kaspar, R., et al. (2007). Förderung der Lebensqualität demenzkranker Menschen durch die Gestaltung positiv bedeutsamer Alltagssituationen. In Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V. (Hrsg.), Demenz – eine Herausforderung für das 21. Jahrhundert. 100 Jahre Alzheimer-Krankheit (S. 127-132). Berlin: Meta Data.

Bär, M., Böggemann, M., Kaspar, R., Re, S., Berendonk, C., Seidl, U., et al. (2006). Demenzkranke Menschen in individuell bedeutsamen Alltagssituationen. Erste Ergebnisse eines Projekts zur Förderung der Lebensqualität durch Schaffung positiver Anregungsmöglichkeiten. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 39, 173–182.

Böggemann, M., Bär, M., Kruse, A., Kaspar, R., Re, S., Seidl, U., & Berendonk, C. (2006). Individuelle Zuwendung kann kein zufälliges Beiwerk sein. Ergebnisse einer Interventionsstudie zur Pflege dementer Menschen. Pflegezeitschrift, 59, 366–368.

Bär, M., Böggemann, M., & Kruse, A. (2005). Demenzkranke Menschen in individuell bedeutsamen Alltagssituationen - Entwicklung einer Methode zur Förderung der Lebensqualität durch Stimulierung positiver Emotionen. Pflege & Gesellschaft , 1, 60-61.

Kruse, A. (2005). Lebensqualität demenzkranker Menschen. Zeitschrift für Medizinische Ethik, 51, 41-58.
 

Verantwortlich: E-Mail
Letzte Änderung: 02.04.2014
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