Projekt ARISE

Angewandte Rehabilitationsforschung: Interdisziplinäre Schlaganfall – Erhebung.
Kriterien für die Bestimmung von Rehabilitationspotentialen – Ableitung von Prognosen zum Rehabilitationserfolg bei älteren Schlaganfallpatienten (2003-2013)


Projektleitung: Prof. Dr. Andreas Kruse

Projektpartner: AOK Baden-Württemberg

Arbeitsgruppe: Dr. Gabriele Becker (Projektkoordination), Dr. Anne Natus, Dipl.-Soz. Dipl.-Geront. Christine Stolla, Dr. Andrea Wetzel (AOK Baden-Württemberg)

Projektbeschreibung

Im Projekt ARISE wurde ein Assessment zur Ableitung von Rehabilitationsprognosen bei älteren Schlaganfallpatienten entwickelt. Damit soll zukünftig ein Beitrag zu einer zielgenaueren Fallsteuerung geleistet werden. Eine Erprobung in der klinischen Praxis steht noch aus.  

Hintergrund

Der Schlaganfall steht an dritter Stelle in der Todesursachenstatistik in Deutschland, stellt den zweithäufigsten Grund für Langzeitpflege dar und ist eines der häufigsten Krankheitsbilder in der geriatrischen Rehabilitation. Trotz sinkender Neuerkrankungsraten durch Erfolge in der Prävention ist auf Grund der demographischen Entwicklung mit einer ansteigenden Zahl der Schlaganfallpatienten zu rechnen. Volkswirtschaftlich ist damit der Schlaganfall eine der teuersten Krankheiten. Bereits heute leiden eine Million Menschen in der Bundesrepublik Deutschland unter den Folgen der Erkrankung, die eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität für die Betroffenen und deren Angehörige bedeutet. Deshalb sind rehabilitationsmedizinische Maßnahmen von hoher Bedeutung. Bei knapper werdenden Ressourcen ist die Qualitätssicherung in der Rehabilitation ein zentraler Gegenstand der Versorgungsforschung.

 

Das Projekt gliederte sich in drei Studienphasen. Die vierte Studienphase befindet sich in Vorbereitung.

1. Studienphase

Der erste Teil des Projekts (2003 – 2006) hatte zum Ziel, ein Assessment zur Bestimmung der Rehabilitationsprognose zu entwickeln.
Forschungsinhalte des Projekts waren zunächst Beschreibung und Analyse der stationären geriatrischen Rehabilitation. Grundlage war eine konsekutiv aufgebaute Stichprobe mit 326 Schlaganfallpatienten über 65 Jahren. Auf der Basis eines umfangreichen Assessments wurden Rehabilitationserfolge längsschnittlich abgebildet und Differenzierungen nach bestimmten Verlaufsformen vorgenommen. Dabei wurden sozioökonomische Merkmale, medizinische Daten zum Schlaganfall und zur Komorbidität erhoben sowie Funktions- und Fähigkeitsstörungen, der kognitive Status und psychologische Merkmale erfasst. Von 267 Patienten konnten vollständige Messreihen erfasst werden: Sie wurden an drei Messzeitpunkten in der Rehabilitationsklinik und an einem vierten Messzeitpunkt sechs Wochen nach Entlassung zu Hause bzw. im Pflegeheim untersucht.

Ergebnisse der ersten Studienphase

1.    Bei sehr unterschiedlichen Ausgangsbedingungen waren die Rehabilitationsverläufe überwiegend erfolgreich. Nach Beendigung der stationären Rehabilitation zeigen auch die Verläufe eine hohe Variabilität. Um die Verläufe sensitiv darstellen zu können, war der Einsatz eines differenzierten Instrumentariums notwendig, das in der Lage ist, die großen Unterschiede in der Ausprägung des Schlaganfalls und auch geringe Veränderungen bei Funktionsverbesserungen abzubilden.

2.    Bei den Schlaganfallpatienten findet man ein hohes Komplikationsrisiko. In der gesamten Beobachtungszeit von durchschnittlich 70 Tagen war bei über zwei Drittel der Patienten der Verlauf durch Komplikationen wie Harnwegsinfekte, Stürze und Pneumonien gestört.

3.    Als wichtigste Prädiktoren für den Rehabilitationserfolg erwiesen sich die prämorbide IADL-Kompetenz, die Komorbidität, die Schwere des Schlaganfalls, das Vorliegen von Schluckstörungen, die kognitiv-kommunikativen Fähigkeiten, Depressivität und die Kooperation des Patienten.

4.    Auf der Basis dieser Befunde wurde ein praktikables Assessment zur Ableitung von Rehabilitationsprognosen entwickelt, das zu einer individuellen und effizienten Rehabilitationsplanung beitragen soll.

2. Studienphase

In der zweiten Projektphase (2007-2008) wurde die Anwendbarkeit und Praxistauglichkeit des Assessments in der Akutversorgung und sein Beitrag für die Fallsteuerung geprüft.

Dies wurde in einer Stichprobe von 171 Patienten mit Schlaganfall überprüft. An der Untersuchung waren sowohl Kliniken der Akutgeriatrie als auch der Neurologie beteiligt. Auch hier wurden die weiteren Verläufe in den unterschiedlichen Versorgungsformen (stationäre und ambulante Rehabilitation, Heilmittelverordnung in institutioneller oder häuslicher Pflege) dokumentiert.

Ergebnisse der zweiten Studienphase

1.    Das Assessment wurde am Ende der Akutversorgung eingesetzt und auf seine Anwendbarkeit geprüft. Die darin enthaltenen Skalen konnten fast vollständig erhoben werden. Einschränkungen gab es bei der Geriatric Depression Scale, deren Fragen bei kognitiven oder kommunikativen Beeinträchtigungen nicht beantwortet werden konnten; dies war bei ca. 15 % der Fall. Die Erhebungsdauer des Assessments betrug durchschnittlich 30 Minuten.

2.    Auf der Basis der durch das Assessment bestimmten Rehabilitationsprognose kann bei gegebener Rehabilitationsfähigkeit eine individuelle Empfehlung für die nachfolgende rehabilitative Versorgung ausgesprochen werden. Vergleicht man die vom Assessment angestrebte Fallsteuerung mit den tatsächlich gegangenen Versorgungswegen, so zeigt sich eine hohe Übereinstimmung. Unterschiede ergaben sich bei ca. 15 % der Fälle. Mehrheitlich waren dies Patienten, die trotz einer guten Rehabilitationsprognose nicht stationär rehabilitiert wurden, aber bei denen organisatorische Gründe oder individuelle Wünsche übergeordnet waren. Außerdem gab es eine kleine Gruppe von Patienten, denen statt einer stationären Rehabilitation eine ambulante Weiterversorgung empfohlen worden wäre.

3.    Folgerungen: Für die große Mehrheit der Schlaganfallpatienten ist die stationäre Rehabilitation die notwendige Versorgungsform. Das Rehabilitationspotential kann aber nicht immer optimal genutzt werden. Der tatsächliche Versorgungsweg ist oft auch von organisatorischen Gründen (schon bereit stehender Heimplatz, fehlende infrastrukturelle Versorgung mit Therapeuten) oder individuellen Wünschen bestimmt. Mit dem Assessment wird ein vorhandenes Rehabilitationspotential belegt und der Einfluss der Rehabilitationsprognose auf die Fallsteuerung gestärkt. Dies kann als Hilfe bei Steuerungsentscheidungen genutzt werden.

3. Studienphase

Im Anschluss daran wurde in einer dritten Projektphase (2009) die Prognosequalität des Assessments für Rehabilitationsverläufe bei älteren Schlaganfallpatienten in der neurologischen Rehabilitation geprüft.

Bei 105 Schlaganfallpatienten aus den neurologischen Rehabilitationsphasen C und D wurde das Assessment zu Beginn der Rehabilitation eingesetzt und Prognosefaktoren ermittelt. Die individuellen Verläufe wurden beschrieben und die Prognosen überprüft.

Ergebnisse der dritten Studienphase

Das Assessment eignete sich nicht für eine Anwendung in der neurologischen Rehabilitation. Gründe dafür waren:
1.    Die Stichprobe aus der neurologischen Rehabilitation unterschied sich signifikant in wichtigen soziodemographischen und medizinischen Merkmalen von der geriatrischen Stichprobe. Es handelte sich um jüngere Patienten mit weniger funktionellen und kognitiven Einschränkungen bereits vor der akuten Erkrankung. Tendenziell hatten die neurologischen Patienten weniger Begleiterkrankungen.

2.    Für die geriatrische Stichprobe wichtige Prädiktoren erwiesen sich für neurologische Schlaganfallpatienten als wenig aussagekräftig. Die Ergebnisse weisen neben der Schwere des Schlaganfalls, dem Alter und dem Selbstständigkeitsgrad vor der Erkrankung auf eine prognostische Bedeutung der Stuhlinkontinenz hin.

3.    In der neurologischen Stichprobe wurden mit dem Assessment zu selten kritische Prädiktorenausprägungen ermittelt. Damit ist die Erfassung von Risikoprofilen, wie sie in der geriatrischen Rehabilitation auftreten, zur Ableitung von Rehabilitationsprognosen im Kontext der neurologischen Rehabilitation nicht geeignet.

Veröffentlichungen und Materialien:

Kurzinformation zur Studie, veröffentlicht auf dem 1. Fachkongress für Rehabilitationsforschung und Versorgungsmanagement, 6. Juli 2010, Berlin.

Natus, A., Jopp, D.S., Becker, G., Wetzel, A., Kruse, A. (Manuskript eingereicht). Success of inpatient Geriatric Rehabilitation: no difference betwenn young-old and old-old Stroke Patients except for those with very low ADL.

Becker, G., Metz, B.R., Natus, A., Wetzel, A., Kruse, A. (2010). Das Rehabilitationspotenzial älterer Schlaganfallpatienten in der stationären geriatrischen Rehabilitation. In: Kruse, A. (Hrsg.) Potenziale im Altern. Chancen und Aufgaben für Individuum und Gesellschaft (S. 311-330). Heidelberg: Akademische Verlagsgesellschaft.

Becker, G. (2010). Rehabilitation älterer Menschen nach Schlaganfall - Kombination neurologischer Expertise mit geriatrischer Kompetenz. Klinikarzt, 39, 252-255.

Becker, G., Kruse, A., Tronnier, J., Röpke-Brandt, B., Natus, A., Theissen, H., & Wetzel, A. (2006). Rehabilitationsverlauf und Nachhaltigkeit - erste Ergebnisse einer Studie zur Rehabilitation älterer Schlaganfallpatienten. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 39, 365-370.

Kooperationen

Diakonie-Krankenhaus Mannheim:
Klinik für Neurologie, Chefarzt Dr. Johannes Bayerl
Geriatrische Rehabilitationsklinik, Chefarzt Dr. Hans-Georg Schäfer

Bethanien-Krankenhaus - Geriatrisches Zentrum Heidelberg
Ärztlicher Direktor Prof. Dr. med. Peter Oster

Diakonissen-Krankenhaus Karlsruhe:
Geriatrisches Zentrum, Chefärztin Dr. med. Brigitte R. Metz

Kliniken Schmieder Allensbach.
Ärztliche Leitung Neurorehabilitation Prof. Dr. med. Joachim Liepert

St. Rochus Kliniken Bad Schönborn.
Klinik für Neurologie, Leitung Dr. med. Wolfgang Rössy
 

Verantwortlich: E-Mail
Letzte Änderung: 07.01.2014
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