21.05.09: Predigt an Christi Himmelfahrt von Prof. Dr. Markus Mühling


Predigt an Christi Himmelfahrt, 21. Mai 2009, über Lk 24,50–53
 
Prediger: Prof. Dr. Markus Mühling
Liebe Gemeinde,

kennen Sie den E-Day? Ich vermute einmal, nein. E-Day ist eine Abkürzung für „Evolutionstag“. Kennen Sie den? Nein? Auch nicht?

Nun, die Giordano-Bruno-Stiftung, ein Verband zusammengeschlossener Atheisten, fordert auf einer Website die Umbenennung des Himmelfahrtstages in diesen E-day. In dem Petitionstext heißt es: 

An „Christi Himmelfahrt“ unternehmen heute viele Familien Ausflüge in die Natur. Angemessener kann ein „Evolutionstag“ kaum begangen werden!

Wir fordern deshalb den Bundesrat und die zuständigen Landespolitiker dazu auf, die gesetzliche Umbenennung von „Christi Himmelfahrt“ in „Evolutionstag“ in die Wege zu leiten!

Die Mehrheit der in Deutschland lebenden Christen glaubt nicht mehr an das Glaubensdogma der leiblichen Auffahrt Jesu in den sogenannten „Himmel“. Es bietet sich daher an, an die Stelle eines überkommenen Mythos, an den nur noch eine verschwindende Minderheit zu glauben vermag, einen Gedenktag zu setzen, der von der Mehrheit der hier lebenden Menschen nachvollzogen werden kann (http://www.darwin-jahr.de/e-day). 

Unterschrieben, bzw. dafür mit „ja“ geklickt, haben seit Aschermittwoch, als diese Kampagne begann, ca. 6000 Personen. Ich habe mir die Mühe gemacht und nachgeschaut, wie viele davon aus Heidelberg stammen: Es sind 58. Im Verhältnis also sehr viele. Fast 1 Promille der Unterzeichneten. Ob diese sich heute auch irgendwo in Heidelberg treffen und den Tag feiern und miteinander kommunizieren? Wenn man bedenkt, daß wir allein hier in der Peterskirche diese Zahl leicht übertreffen, wage ich doch daran zu zweifeln … Kurios ist es freilich schon, wenn hier die Mehrheits-/Minderheitsverhältnisse grob umgedreht werden. Und ob diese Petition heute wohl dem Bundesrat übergeben worden sein mag? Auch daran wage ich zu zweifeln … 

Liebe Gemeinde, ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, wenn Sie das hören. Ich bin perplex. Perplex ob der Tatsache, auf welche Kuriositäten, ja Absurditäten der militante Atheismus in unserer Zeit so kommt. Fällt denen denn nichts besseres mehr ein? Bisher war ich es gewohnt, atheistische Anfragen an unseren christlichen Glauben durchaus Ernst zu nehmen. Aber so? Man wird sich am Riemen reißen und sich sagen müssen: „Nun ja, es gibt immer solche und solche Menschen, auch bei uns, und auch unter den Atheisten gibt es aufgeschlossene, intellektuelle Leute, die E-Day-Kampagne ist auch für Atheisten nicht repräsentativ“. 

Nun kann eine solche Selbstverlächerlichung von atheistischer Seite aber auch von uns als Mahnung aufgefasst werden: Als Mahnung, es besser zu machen, sich der Sache ernster und intellektuell redlicher zuzuwenden. Und ein solches Bemühen könnte ja mit einer Selbstvergewisserung beginnen, eine Sebstvergewisserung, in der wir uns noch einmal die Bedeutung der Himmelfahrt Christi ins Gedächtnis rufen. Wir fragen also: Was ist das Wichtige an der Himmelfahrtsvorstellung? Hören wir dazu noch einmal einen Auszug aus unserem kurzen Predigttext: 

„Er führte sie aber hinaus bis nach Betanien und hob die Hände auf und segnete sie.

Und es geschah, als er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel.“ 

Die Frage, warum die Himmelfahrt Christi wichtig ist, wird von Martin Luther ganz lapidar, einfach und unübertrefflich beantwortet:  

„Christus mußte gen Himmel fahren, um uns nahe sein zu können.“ 

Das klingt zunächst paradox. Aber mir fallen dazu 3 Gedanken ein, an die ich erinnern möchte: 

In der Geschichte unseres Glaubens wurden in vergangenen Jahrhunderten zwei Vorstellungen des Himmels, bzw. der Himmelfahrt betont, die sich wahrscheinlich nicht ausschließen: 

1. Der Himmel ist natürlich nicht die Atmosphäre über uns, und natürlich auch nicht der Raum zwischen den Himmelkörpern. Wohin wir auf unserer Erde auch reisen, überall finden wir den blauen und manchmal Wolkendurchzogenen Himmel. Der Himmel steht also symbolisch für etwas, das allgegenwärtig ist, kurz für Gottes Allgegenwart. Und Christi Himmelfahrt sagt dann kurz und bündig: Auch der Mensch Jesus hat nun teil an dieser Allgegenwart. Nicht nur, daß Jesus mit Ostern nicht im Tod geblieben ist und als Person bis heute weiterleben würde, aber an einem anderen Ort, nicht hier bei uns, wie sich das die biblischen Texte bei der Entrückung Elias vorstellen mögen: Elia ist hinweggenommen worden, ist nun an einem anderen Ort, an Gottes Seite. Ob er noch lebt, wissen wir nicht. Wenn er noch lebt, kann er jederzeit wiederkommen. So wie wenn ein guter Freund von uns nach New York auswandert. Auch dann ist er erst einmal weg, aber er kann wiederkommen, wenn ihm zwischenzeitlich nichts geschehen ist. Bei Christi Himmelfahrt ist das also anders: Wenn der Himmel Symbol für die Allgegenwart Gottes ist, dann ist Christus gerade uns nahe, hier und heute, weil er, auch als Mensch, uns gegenwärtig ist. Wäre er nicht in den Himmel gefahren, dann wäre er uns heute so fremd wie Elia oder wie unser Freund in New York, von dem wir lange nichts gehört haben: Dann wären nur die Menschen des ersten Jahrhunderts in Palästina, Jesu Schüler, mit ihm bekannt, nicht aber wir. 

2. Der Himmel symbolisiert aber nicht nur die Allgegenwart Christi. Der Himmel ist biblisch auch ein Teil der Schöpfung, und zwar der Teil, der uns Menschen entzogen ist, der uns unzugänglich ist, an den wir nicht können, über den wir keine Herrschaft und keine Pflege ausüben können. Eine Sekunde mögen wir innehalten: Einerseits soll die Himmelfahrt gerade die Allgegenwart Christi bei uns darstellen, andererseits soll der Himmel aber die uns entzogenen Bereiche der Schöpfung darstellen. Widerspricht sich dies nicht? Nein, denn unter dem Gedanken der Unendlichkeit der Allgegenwart ist dies durchaus vereinbar: Christus ist nicht nur uns gegenwärtig, sondern er ist auch den uns entzogenen Teilen der Schöpfung gegenwärtig. Auch dort, wohin nicht unsere Macht und Pflege der Schöpfung reicht, selbst den Bereiche der Schöpfung, die wir uns nicht einmal in unserer Phantasie vorstellen können, ist Christus gegenwärtig.

Aber auch hier mag sich Zweifel regen. Gibt es heute so einen uns entzogenen Bereich der Schöpfung überhaupt noch, könnte man zunächst einwenden? Hat nicht schon in den sechziger Jahren die Menschheit angesichts der bemannten Raumfahrt die Eroberung des Himmels als die Entgrenzung menschlicher Herrschaft zu feiern versucht? Gibt es überhaupt noch Bereiche der Schöpfung und der Natur, die unserer Kulturtätigkeit entzogen sind? Und obwohl wir heute daran gehen, selbst die Natur des Menschen in der Erforschung seiner Gene und seines Gehirns zur Kulturtätigkeit zu erklären, ist der Fortschrittsoptimismus der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts doch lange vorbei. Es gibt Grenzen menschlicher Herrschaft und menschlichen Begreifens. Und auch jenseits dieser Grenzen ist Christus, und zwar nicht nur als Gott, sondern auch als Mensch. Dies ist zunächst einmal sehr tröstlich: Die Einheit der Welt mag uns noch so zerbrechen, die Welt mag noch so tosen und Brausen, überall ist doch derjenige, den wir mit Thomas als „Unsern Herrn und Gott“ bezeugen, gegenwärtig. Wenn Gott der Schöpfer des Sichtbaren und des Unsichtbaren, des Realen und des nur Möglichen ist, dann heißt Christi Himmelfahrt: Christus ist der Herr auch des Sichtbaren und Unsichtbaren, des Realen, das wir kennen, des Realen, das wir nicht kennen, und auch des Möglichen: Erst wenn der Himmel als der uns entzogene Bereich der Schöpfung so radikal verstanden wird, daß auch das noch nicht Wirkliche und vielleicht nie Wirkliche, aber doch Mögliche, verstanden wird, ist sowohl der Schöpfungsgedanke als auch der Gedanke der Himmelfahrt Christi radikal verstanden: Alles, was sich Menschen auch nur vorstellen können, das Angenehme wie das Bedrohliche, allem ist Christus als unser Herr und Gott gegenwärtig. 

3.  Nun mögen Sie, liebe Gemeinde, ja vielleicht ganz zu recht sagen, daß das ja ganz schön und gut sei, wenn Christus als Himmelsherrscher auch über alle Möglichkeiten regiert, aber was habe eigentlich ich davon? Und damit möchte ich auf einen dritten Punkt der Bedeutung von Himmel und damit auch von Himmelfahrt Christi zu sprechen kommen. Himmel, so sagten wir, meint einmal die wirkliche Gegenwart und einmal die Entzogenheit. Gibt es etwas, was uns wirklich Gegenwärtig, und vielleicht damit auch verfügbar ist, was uns aber dennoch ganz entzogen ist? Fallen Gegenwart und Transzendenz irgendwo zusammen? Das ist in der Tat so: Wir brauchen uns nur real umzublicken, wir brauchen nur unseren Nächsten anzublicken: Den anderen Menschen, die anderen Menschen, mit denen wir in Beziehung stehen, die uns prägen und die wir prägen: Vater, Mutter, Lebenspartner, Freunde und Kinder: Menschen sind Personen und als Personen anderen Personen gegenwärtig. In der Liebe bin ich für andere Menschen verfügbar, stelle mich deren Zwecke zur Verfügung. In der Liebe sind mir aber andere Menschen auch entzogen: Der Nächste, die andere Person, ist eben kein Objekt meiner Herrschaft und meiner Manipulation. Und gerade weil die andere Person mir entzogen ist, kann ich in Beziehung mit ihr stehen: Nur weil meine Frau nicht ich bin, kann ich mit ihr reden und lachen, sie fragen und Antwort erhalten. Gerade weil andere Menschen uns entzogen oder personal transzendent sind, können sie uns gegenwärtig sein und mit uns sprechen, reden, lachen, streiten, weinen, uns prägen, kurz: kommunizieren.

Und das liebe Gemeinde, ist weit mehr als nur eine Analogie, ein Vergleich oder ein Gleichnis zur Himmelfahrt Christi: Es ist nicht so: Auf der einen Seite haben wir mit Christi Himmelfahrt seine Gegenwart und Entzogenheit, wie können wir das begreifen? Und dann sage ich Ihnen: Nun, auch in personalen Beziehungen kenne wir doch Gegenwart und Entzogenheit. Es ist nicht so, daß hier ein Gleichnis erzählt würde: So wie Menschen einander gegenwärtig und entzogen sind, so ist es auch mit der Himmelfahrt Christ. Nein, denn bei Christi Himmelfahrt als Teilhabe an der Gegenwart und Entzogenheit geht es ja um die Allgegenwart und die grundsätzliche Entzogenheit, die unsere personale Entzogenheit und Gegenwart erst begründet und ermöglicht. Und das hat ganz entscheidende und konkrete Konsequenzen: Wo immer Personen kommunizieren, da kann Christus auch real anwesend sein: Sei es als gelingender oder misslingender Kommunikation. Er kann anwesend sein als mein Schöpfer und Retter, aber auch als mein Kritiker und Richter. Wo Christus ist, ist Heil, aber wo Heil ist, werde ich immer auch infragegestellt und gerichtet. Richten und Retten schließen sich nicht aus, sondern treten immer zusammen auf, sondern bedingen sich gegenseitig.

Also:

Wenn wir miteinander Abendmahl feiern, dann ist er da, nicht gleichnishaft, sondern ganz real, weil er in den „Himmel“ gefahren ist.Wo immer wir einem von uns, und sei es der Geringste, kränken, haben wir Christus gekränkt, nicht gleichnishaft, sondern ganz real, weil er in den Himmel gefahren ist.

Wo immer wir uns einem von uns zuwenden, und sei es der seltsamste und verschrobenste Mensch, und auf dessen Nöte und auf dessen Weltsicht hören, etwa in der Alltagsseelsorge, da kann Christus sein, nicht gleichnishaft, sondern ganz real, weil er in den Himmel gefahren ist.

Wo immer Menschen dies auch nicht erkennen mögen, auch dort kann Christus sein, nicht nur gleichnishaft, sondern ganz real, weil er in den Himmel gefahren ist. 

Liebe Gemeinde, ich weiß nicht, ob sich irgendwo in Heidelberg heute Atheisten treffen und miteinander feiern und reden und vielleicht Pläne schmieden, den Himmelfahrtstag durch einen Evolutionstag zu ersetzen. Aber falls es ein solches Treffen gibt, dann kann auch dort Christus sein, nicht nur gleichnishaft, sondern ganz real. Und selbst wenn wir alle auf sie hören würden, und den Himmelfahrtstag durch einen E-Day ersetzen würden, hätten wir doch nichts an der Tatsache geändert, die der Gedanke von der Himmelfahrt ausdrückt. Die Himmelfahrt selbst hätten wir damit nicht im Geringsten angekratzt. Vielleicht hätten wir uns eine kleine Chance genommen, uns einmal mehr der Wahrheit der Himmelfahrt zu vergewissern. Aber dieser Fakt der Himmelfahrt bleibt auch bestehen, ob wir sie anerkennen oder nicht: „Christus mußte in den Himmel fahren, um uns nahe zu sein.“

Amen.  
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Letzte Änderung: 08.06.2009
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