19.01.2003 Prof. Dr. Michael Welker - über Johannes 2, 1-11: Die Hochzeit zu Kana

Predigt in der Peterskirche zu Heidelberg, am 2. Sonntag nach Epiphanias 2003

Michael Welker

Joh 2. 1-11

1. Am dritten Tag fand in Kana in Galiläa eine Hochzeit statt, und die

Mutter Jesu war dort.

2. Auch Jesus und seine Jünger waren zur Hochzeit eingeladen.

3. Als der Wein ausgegangen war, sagte die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben

keinen Wein mehr.

4. Jesus aber erwiderte ihr: Was habe ich mit dir zu schaffen, Frau? Meine

Stunde ist noch nicht gekommen.

5. Seine Mutter sagte zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut.

6. Es standen aber dort sechs steinerne Wasserkrüge, gemäß der

Reinigungsvorschrift der Juden; jeder faßte ungefähr hundert Liter.

7. Jesus sagte zu den Dienern: Füllt die Krüge mit Wasser! Und sie füllten

sie bis zum Rand.

8. Er sagte zu ihnen: Schöpft jetzt, und bringt es dem Tafelmeister. Und sie

brachten es ihm.

9. Er kostete das Wasser, das zu Wein geworden war. Er wußte nicht, woher

der Wein kam; die Diener aber, die das Wasser geschöpft hatten, wußten

es. Da rief der Tafelmeister den Bräutigam

10. und sagte zu ihm: Jeder Mensch setzt zuerst den guten Wein vor und erst,

wenn die Gäste zuviel getrunken haben, den weniger guten. Du jedoch hast

den guten Wein bis jetzt zurückgehalten.

11. Dies tat Jesus als Anfang der Zeichen in Kana in Galiläa und offenbarte

seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn.

 

Ich habe sie immer anstößig gefunden - die Geschichte von der Hochzeit zu Kana. Denn Jesus erscheint hier als Magier, der etwa 600 Liter Wasser in Wein verwandelt! Gottes Sohn zaubert gegen Ende einer vermutlich siebentägigen Hochzeitsfeier mehrere hundert Liter Wein herbei! Und ausgerechnet das soll die erste Offenbarung der Herrlichkeit Christi sein, wodurch der Glaube der Jünger geweckt wird?

Über dieses Unbehagen half mir auch der gelehrte historische Hinweis nicht hinweg, daß diese Geschichte vermutlich auf den Dionysos-Kult anspielt. Was der heidnische Gott kann -, Wasser in Wein verwandeln -, das kann Jesus erst recht! Warum finden wir diese Geschichte ausgerechnet bei Johannes? Warum hat Johannes, der der intellektuellen, nachdenkenden und spekulativen Frömmigkeit so reiche Nahrung gibt, sich auf solch einen Stoff eingelassen? Wie paßt diese Geschichte zwischen so tiefschürfende Aussagen wie: "Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott. Und Gott war das Wort." Und: "Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten."? Jesus als Magier zwischen solchen theologischen Spitzenaussagen - das befremdet. Warum konnte Johannes nicht - wie Markus, Lukas und Matthäus - auf den Weinzauber zu Kana verzichten und uns diese Geschichte ersparen?

Nicht nur das Dionysos-Motiv, auch die Behandlung der Maria in diesem Text erschien mir anstößig. Einerseits bringt sie die befremdliche Handlung in Gang. Andererseits distanziert sich Jesus mit einer schroff klingenden Bemerkung von ihr: Was habe ich mit dir zu schaffen, Frau? Sollte es sich hier wirklich, wie die Reformatoren meinten, um eine vorsorglich anti-katholische Polemik handeln: "Christus spricht also seine Mutter so an, um allen Jahrhunderten die immer gültige und allgemeinverbindliche Lehre zu geben, daß keine maßlose Verehrung seiner Mutter seinen eigenen göttlichen Glanz verdunkeln dürfe." (Calvin, Das Johannes-Evangelium, 47)? Oder sollte hier, wie neuere feministische Auslegung vermutet hat, deutlich werden, daß Maria die Stunde Jesu besser kennt als er selbst? (Kompendium Feministische Bibelauslegung, 530.)

Warum ist für Johannes das anstößige Weinwunder zu Kana so wichtig? Ausdrücklich weist er zwei Kapitel später (4,46) darauf zurück: "Jesus kam wieder nach Kana in Galiläa, wo er das Wasser in Wein verwandelt hatte." Dabei lassen doch die Begleitumstände des Wunders viele Fagen offen. Wir hören nichts über die Reaktion der Gäste, nichts vom weiteren Verlauf des Festes. Besonders befremdlich aber ist, daß Jesus einerseits das Ansinnen Marias zurückweist: Meine Stunde ist noch nicht gekommen! Andererseits ist dies der "Anfang der Zeichen". Und es heißt: Jesus offenbarte seine Herrlichkeit, und seine Jünger glaubten an ihn.

Noch nicht die Stunde - und doch Offenbarung und der Anfang der Zeichen: in diese Schwebe bringt uns die Geschichte von der Verwandlung des Wassers in Wein zu Kana. Gerade in dieser Schwebe aber verweist sie auf eine Wahrheit, wird sie zu Zeugnis und Botschaft. Wundergeschichten sind Hoffnungsgeschichten. Sie weisen über sich hinaus. Auf welche Hoffnung verweist das Weinwunder?

"Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Winzer ... Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht, denn getrennt von mir könnt ihr nichts tun" (Joh 15,1 und 5). Gehen wir von diesem Bild aus, so ist die Verwandlung von Wasser in Wein keineswegs Zauberei. Es bedarf des Wassers vom Himmel her und im Boden, um Wein hervorzubringen. Es bedarf aber auch des Weinstocks und der Arbeit des Winzers. Mit dieser bildlichen Rede wird die natürliche und kulturelle Basis der Umwandlung von Wasser in Wein sichtbar gemacht, eines Wunders, das nicht auf Zauberei beruht. Die Verwandlung von Wasser in Wein gehört zu den wunderbaren Schöpfungsgaben Gottes, die nicht nur Gaben der Natur, sondern auch der Kultur sind. Der Winzer bearbeitet Boden, Weinstock und Reben. Indem Jesus sich als Weinstock bezeichnet, tritt er in den Vorgang der Verwandlung von Wasser in Wein ein. Doch dieses Bild von Jesus als Weinstock, dem Schöpfer als Winzer und den Glaubenden als Reben, dieses Bild weist über das Schöpfungswunder und auch über den Weinzauber hinaus. Die natürliche Fruchtbarkeit und die Beschaffung von Wein sind nicht länger die Pointe. Das Bild der fruchtbaren Reben am fruchtbaren Weinstock will vielmehr die Annahme des Wortes Gottes und das Leben in der göttlichen Liebe zum Ausdruck bringen, wie Joh 15 deutlich macht. Ihr seid fruchtbare Reben "durch das Wort, das ich zu euch gesagt habe". Das Bild von den Reben am Weinstock, die reiche Frucht bringen, wenn sie in Christus bleiben und er in ihnen, wird mit der Aufforderung verbunden: "Bleibt in meiner Liebe!" Die Verwandlung von Wasser in Wein durch Weinstock, Reben und Winzer wird zum Sinnbild für eine wichtigere, weiterreichende Verwandlung.

Diese weiterreichende Verwandlung wird an verschiedenen Stellen des Johannes-Evangeliums deutlich, besonders im Gespräch Jesu mit der heidnischen Samariterin Joh 4. Jesus bittet sie bei einer Begegnung am Jakobsbrunnen um etwas zu trinken. Die Samariterin wundert sich, daß er sie als Frau und als Nicht-Jüdin anspricht. Jesus offenbart sich ihr als der verheißene Messias, der die Gabe des lebendigen Wassers gibt: "... wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, der wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt" (Joh 4, 14). Ähnlich heißt es Johannes 7,38f: "wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen. Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten ..."

Diejenigen, die wie Trauben am göttlichen Weinstock bleiben, erhalten nicht nur lebendiges Wasser. Von ihnen selbst geht lebenspendendes Wasser aus. Denn sie empfangen Gottes Geist, Gottes Wort und Gottes Liebe - und sie geben diese weiter. Das lebendige Wasser, das nicht mehr dürsten läßt, ist der Geist, der aus Jesu Wort kommt, aus dem Wort, das im Glauben angenommen wird. Dieses Wort belebt die, die es empfangen, und zwar über das irdische Leben hinaus. Es belebt in einer weiterreichenden Weise als das natürliche Wasser, so unverzichtbar das natürliche Wasser ist, so kostbar es ist, gerade in von Trockenheit bedrohten Umgebungen. Diese Unterscheidung zwischen natürlichem und lebendigem Wasser erinnert an die Verkündigung des Täufers: Ich taufe nur mit Wasser, Jesus aber mit dem Heiligen Geist. Ebenfalls dieser Differenz entsprechend heilt Jesus den Kranken, der sich nicht aus eigener Kraft zur rechten Zeit in die heilenden Wasser des Betesda-Teiches hineinbegeben kann, durch sein Wort.

Wasser, Wein und lebendiges Wasser, das nicht weniger ist als der ausgegossene Geist Gottes - damit haben wir einen Zusammenhang vor Augen, der das anstößige Weinwunder bei der Hochzeit zu Kana ins rechte Licht rückt. Das Wort Gottes belebt nicht nur in einer weiterreichenden Weise als das Wasser. Es belebt auch in einer ungleich vollkommeneren Weise, als es der Wein vermag. Wohl kann der Wein in eine festliche, freudige Stimmung versetzen. Der Wein, das Wunder der Verwandlung von Wasser in Wein durch Weinstock und Weinbau, kann damit von ferne auf ein ungleich größeres Wunder verweisen. Durch Gottes Geist und Gottes Wort werden wir Menschen belebt. Wir werden mit lebendigem Wasser beschenkt, das unseren Lebensdurst stillt und das uns an Gottes Ewigkeit teilhaben läßt. Das Bild der Reben am göttlichen Weinstock, vom göttlichen Winzer gepflegt, bringt diese Teilhabe am göttlichen Leben zum Ausdruck.

Das Weinwunder zu Kana weist auf das Wunder der schöpferischen Verwandlung von Wasser in Wein hin. Es weist über den hochzeitlichen Höhepunkt irdischen Lebens hinaus. So wird es zu einem Hoffnungszeichen. Der göttliche Weinstock verwandelt nicht nur Wasser in Wein, er schenkt das lebendige Wasser des ewigen Lebens denen, die an ihm bleiben. Doch diese Hoffnung bleibt auf der Hochzeit zu Kana noch in der Schwebe, weil die Herrlichkeit des Messias noch nicht in ihrer ganzen Fülle offenbart worden ist. Die Stunde ist noch nicht gekommen. Das Weinwunder kann noch ganz abwegige Hoffnungen wecken. Ist Jesus Dionysos? Nein! Jesus ist ist auch kein größerer Dionysos. Deshalb die schroffe Reaktion Jesu gegenüber Maria, obwohl sie ihn doch voller Vertrauen - "was er sagt, das tut!" - zu seinem ersten Zeichen veranlaßt. Die wunderbare Verwandlung des Wassers in Wein verweist in Kana aber noch nicht offensichtlich auf das lebendige Wasser des ewigen Lebens.

Vom anstößigen Mirakel werden wir auf das Wunder der Schöpfung verwiesen, um für das größere Wunder der Neuschöpfung durch Gottes Wort und Gottes Geist aufmerksam zu werden. Dieses größere Wunder führt durch die Nacht des Verrats hindurch, der wir in der Feier des Abendmahls gedenken. Das Wunder der Neuschöpfung durch Gottes Wort führt uns aus dem Abgrund der Gottverlassenheit heraus, den uns das Kreuz Christi immer wieder vor Augen stellt. Das Wunder, daß uns das ewige Leben inmitten unserer Verfallenheit an den Tod gegeben wird, dieses Wunder, das wir verkündigen und im Abendmahl zeichenhaft feiern, stellt uns vor ein unvergleichlich anderes Befremden als das Weinwunder zu Kana. Das Wunder der Neuschöpfung durch Gottes Wort und Gottes Geist nimmt uns aber auch hinein in eine unvergleichlich tiefere Freude, als sie die schönste Hochzeit auf Erden zu schenken vermag.

"Siehe, Tage kommen - Spruch Gottes, des Herrn - da schicke ich den Hunger ins Land. Nicht den Hunger nach Brot, nicht den Durst nach Wasser, sondern nach einem Wort des Herrn. Dann wanken die Menschen von Meer zu Meer, sie ziehen von Norden nach Osten, um das Wort des Herrn zu suchen, doch sie finden es nicht." Viele an der christlichen Kirche und am christlichen Glauben heute zweifelnde und verzweifelte Menschen werden eher diese Unheilsbotschaft des Amos verstehen als die Hoffnungsbotschaft der Hochzeit zu Kana. Leben wir in einer Zeit des Schweigens Gottes, das ein Leitartikel der FAZ vor einigen Tagen meditierte? Der FAZ-Autor zitiert den Papst, der mit den alttestamentlichen Propheten die Möglichkeit bedacht hat, daß Gott schweigt: "'Schlimmer als Schwert und Hunger ... ist das Schweigen Gottes, der sich nicht mehr zeigt, der sich in seinen Himmel verschlossen zu haben scheint, als ob ihn das Handeln der Menschen anwidere.' Und mit müder Stimme fragte der Papst: 'Gibt es eine größere Tragödie?'"

Die Botschaft vom wahren Weinstock, auf die das Weinwunder zu Kana in all seiner Anstößigkeit hinweist, läßt solch eine tiefe Resignation nicht zu. Hat das Wort und die Person Jesu Christi euch niemals berührt und belebt? Staune über die gute Gabe des Wassers, staune über die schöpferische Verwandlung von Wasser in Wein, staune über die Kraft des Weins, der die Stimmung einer Gemeinschaft heben und beleben kann: und du wirst aufmerksam und sensibel werden für das ungleich größere Wunder des belebenden Wortes, des lebendigen Wassers. Die größte Tragödie, die Tragödie des verschlossenen Himmels, liegt am Kreuz Christi hinter uns. In die vielen großen und kleinen Tragödien der verschlossenen Kulturen und der verschlossenen Herzen hinein spricht Johannes seine frohe Botschaft.

Amen.

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Letzte Änderung: 21.03.2016
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