Prof. Dr. jur. Dr. jur. h.c. Eberhard Schmidt-Aßmann - über 1. Petrus 2,13 - 17, 5

Predigt über 1. Petrus 2,13 - 17

 

von Prof. Dr. jur. Dr. jur. h.c. Eberhard Schmidt-Aßmann,

Ordinarus für öffentliches Recht an der Universität Heidelberg

gehalten am 5. Sonntag nach Trinitatis (23.07.2000) in der Peterskirche

im Rahmen der Predigtreihe ,,Das Reich Gottes”

 

 

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!

 

Der Predigttext steht im 1. Petrusbrief im 2. Kapitel; es sind die Verse 13 - 17.

 

13 Seid untertan aller menschlichen Ordnung um des Herrn willen, es sei dem König als dem Obersten, 14 oder den Statthaltern als denen, die von ihm gesandt sind zur Bestrafung der Übeltäter und zum Lob derer, die Gutes tun. 15 Denn das ist der Wille Gottes, daß ihr mit guten Taten den unwissenden und törichten Menschen das Maul stopft – 16 als die Freien, und nicht als hättet ihr die Freiheit zum Deckmantel der Bosheit, sondern als die Knechte Gottes. 17 Ehrt jedermann, habt die Brüder lieb, fürchtet Gott, ehrt den König!

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Das ist ein klarer und sympathisch nüchterner Text:

 

Es geht um die Einstellung der Christen zu Staat und Gesellschaft. Hier ist keine finstere Gewaltherrschaft an die Wand gemalt. Hier wird aber auch keiner herrschaftsfreien Idylle nachgeträumt.

 

Ganz konkret werden dem Staat bestimmte Aufgaben zugewiesen: Unrecht soll er strafen und Rechtschaffenheit Anerkennung zollen - das ist nicht wenig; aber es ist ein nur begrenzter Auftrag, der sich jedem Totalitätsanspruch widersetzt. -Ebenso nüchtern wird Gehorsam angemahnt, ohne den menschliche Ordnungen nicht aufrecht erhalten werden können: (,,seid untertan”).

 

Entscheidend aber ist ein Drittes: für Christen soll das nicht sklavische Unterwerfung, nicht dumpfes Ducken, heißen, sondern Unterordnung in Freiheit, nach dem Willen Gottes.

 

Vier Imperative fassen die Grundaussagen am Schluß des Textes in Vers 17 noch einmal zusammen. Weltliche Rationalität (,,ehrt den König”) und Gewißheit des Glaubens (,,fürchtet Gott”) - sie sind hier nochmals auf den Punkt gebracht: Entscheidend bleibt die Gottesfurcht, die zur Freiheit befreit und zur Verantwortung mahnt: Unterordnung in Freiheit! - Hier liegen die Spannungen, hier die Kräfte, die das große Thema des Textes sind.

 

 

I. Der Verfasser des 1. Petrusbitefes hat die sozialen Verhältnisse und die Konfliktlinien zwischen Staat, Gesellschaft und christlicher Gemeinde im Römischen Reich der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts zutreffend erfaßt. Die Christen leben als kleine Minderheit in einer heidnischen Umwelt. Der Staat, der uns im Text in dem Kaiser und seinen Statthaltern entgegentritt, ist ein zentral regierter Obrigkeitsstaat. Fälle staatlichen Unrechts bleiben nicht aus; Pilatus und Nero stehen für Erfahrungen, die sich in das christliche Bewußtsein eingegraben haben. Insgesamt aber ist staatliche Verfolgung in jener Zeit eher selten, staatlicher Schutz gegenüber einer (wie der Text sagt) ,,unwissenden und törichten” Umwelt dagegen oft notwendig. Und Rom leistete diesen Schutz durchaus. Die Texte der klassischen römischen Jurisprudenz lesen sich stellenweise wie ein Kommentar zu unserem Text. Sehr genau bestimmen sie die Aufgaben der kaiserlichen Provinzstatthalter, die auch für den Verfasser des 1. Petrusbriefes die Repräsentanten staatlicher Macht sind: Neutral und unparteiisch sollen sie ihr Amt wahrnehmen und sich auch darum kümmern ,,ne potentiores viri humiliores iniuriis adficiant”, daß die Mächtigen den kleinen Leuten kein Unrecht zufügen (Dig. 1, 18,13). Der römische Staat blieb für die Christen damals trotzdem eine distanzierte und äußerliche Veranstaltung. Aber die Unterordnung, die unser Text verlangt, war durchaus keine Zumutung, sondern eine plausible Regel für Menschen, die auf dieser Welt ,,Fremdlinge und Pilger” sind, wie es im voraufgehenden Vers 11 heißt.

 

 

II. Was aber, liebe Gemeinde, kann dieser Text uns hier und heute sagen, uns, die wir in einer rechtsstaatlichen Demokratie leben und uns darin ja keineswegs nur als ,,Pilger”, sondern dauerhaft ganz leidlich eingerichtet haben? Ein langer Zeitraum trennt uns von der Entstehungssituation. Aber eine reiche Lehrtradition verbindet uns mit ihr. Immer wieder hat sich 1. Petrus 2, 13 - 17 als eine der zentralen neutestamentlichen Aussagen bewährt, um das Verhältnis der Christen zur Welt, zu Staat und Gesellschaft, zu bestimmen. Reformation und Kirchenkampf haben aus ihm geschöpft: Für Luther war er in den Predigten des Jahres 1523 ein Bezugspunkt, um die Lehre von den ,,zweierlei Regimenten”, zu entfalten. ,,Für die Theologische Erklärung der Barmer Bekenntnissynode von 1934 bildete er den biblischen Leitvers zur These 5, die den Allmachtanspruch des totalen Staates zurückwies. Die Geschichte ist im Text lebendig: Sie lehrt uns Dank für die insgesamt geordneten Verhältnisse, in denen wir leben dürfen.” Und sie schärft unseren Blick für neue Konfliktlinien, mit denen Christen auch in einem rechtsstaatlich­demokratischen Gemeinwesen zu rechnen haben, weil Rechtsstaat und Demokratie als ,,weltliche Ordnungen” ihre eigenen Funktionsweisen und auch ihre eigenen Funktionsschwächen haben. ,,Unterordnung in Freiheit” will daher immer wieder neu bedacht werden.

 

Drei Fragen sollen uns leiten:

 

(1) Wie sieht die Normallage im Verhältnis zwischen staatlicher Ordnung und christlicher Lebensführung heute aus?

 

(2) Welche Spannungen sind geblieben?

 

(3) Wo stellen sich ganz neue Herausforderungen: Was heißt ,,Unterordnung in Freiheit” in einer Zeit, in der Staat und Kirche gleicherweise durch gesellschaftliche Entwicklungen bedrängt werden, die ihnen die ,,innere Souveränität” zu nehmen drohen?

 

 

III. Zu 1: In der Normallage fällt christliche Lebensführung im Verfassungsstaat nicht sonderlich schwer. Wir sind nicht staatsdistanzierte Untertanen geblieben, sondern zu Bürgern und zu Amtswaltern geworden. Die Unterordnung hat sich zur Einordnung und zur Mitwirkung fortgebildet. In einer Jahrhunderte umgreifenden Entwicklung haben sich staatliche Ordnung und christlicher Glaube aufeinanderzubewegt. Unser Recht hat viele Elemente christlichen Gedankenguts in sich aufgenommen. Zu allererst die Erkenntnis, daß staatliche Macht begrenzt sein muß: Ehrt den König - fürchtet Gott - gerade unser Text war ein Meilenstein auf diesem Wege. Sodann die Idee der Menschenrechte, die sich aus der Vorstellung von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen speist. Schließlich das biblische Richterbild mit den Geboten der Unparteilichkeit und des rechtlichen Gehörs: ,,Liebt Gerechtigkeit, die ihr auf Erden richtet” - dieser Satz aus der Weisheit Salomons umrahmt die Justitia in dem schönen Fresko, mit dem Ambrosio Lorenzetti das gute weltliche Regiment im Palazzo Pubblico in Siena dargestellt hat (1337-1339). Viele frühere Konflikte zwischen staatlicher Ordnung und christlicher Verantwortung sind heute in das staatliche Recht hineingenommen und dort gelöst oder durch die Anerkennung der Glaubens- und Gewissensfreiheit doch mindestens zu einem individuell akzeptablen Ausgleich gebracht worden.

 

Auch künftig ist die staatliche Rechtsordnung für Einflüsse christlichen Denkens offen, ja sie ist auf sie angewiesen. Ihre Generalklauseln und Wertungsbegriffe, an der Spitze der Menschenwürdesatz des Art. 1 GG, lassen sich gerade gegenüber neuen Entwicklungen wird mit juristischen Mitteln allein nicht hinlänglich ausfüllen. Ich denke an die Genforschung. Die dem Recht eigene Beharrungstendenz gegenüber unabsehbaren Entwicklungen zwar für eine gewisse Zeit eine verzögernde Wirkung haben. Man hat speziell dem Technikrecht in freier Anlehnung an 2. Thessalonicher 2 sogar eine ,,katechontische” Aufgabe zuschreiben wollen. Aber eine Status-Quo-Garantie kann und will das staatliche Recht im guten wie im schlechten nicht sein. Es stellt sich der Aufgabe verantwortbarer Fortentwicklung. Hier ist eine christliche Rechtsethik unmittelbar anschlußfähig, wenn sie nicht in einem unbestimmten Wissenschaftsskeptizismus verharrt, sondern den Gefahren planmäßiger Manipulation des Menschen ebenso wie den Chancen nachgeht, die solche Entwicklungen für die Heilung Kranker bringen können.

 

 

IV. Zu 2: Rechtsstaat und Demokratie - das ist der zweite Punkt - sind aber nicht nur offen, sie verlangen andererseits auch Entscheidungen und können darin eine Härte zeigen, die zu Spannungen mit christlichen Überzeugungen führen kann.

 

Ich habe in Predigten unserer sonntäglichen Gottesdienste gelegentlich Forderungen an Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik gehört, die in ihrem großen Ernst und Rigorismus, z.B. für mehr Umweltschutz oder mehr soziale Sicherheit, durchaus imponieren mochten, die ich aber, wie mir beim Zuhören deutlich wurde, als Jurist nie selbst so formulieren könnte. Staatliches Recht weiß um seine Bedingtheiten. Es weiß, daß manche Beweisfrage letztlich nicht verläßlich zu beantworten, manche Überzeugungsunterschiede nicht perfekt auszugleichen sind - und trotzdem mit den vorhandenen Möglichkeiten eine Entscheidung gefunden werden muß. Dazu dienen feste Formen und Verfahren, besonders gerichtliche Verfahren.

 

Gerade diese Verbindung formeller und materieller Elemente ist sein Kennzeichen des Rechts. Gerade hier liegt aber auch seine Anfälligkeit. Der Ausgleich zwischen formeller und materieller Gerechtigkeit kann soweit verzerrt erscheinen, daß er nicht von allen akzeptiert werden kann. Er kann sogar ganz verfehlt werden. Ich entsinne mich an eine ziemlich heftige Diskussion, die ich darüber mit einem Bekannten aus der DDR-Bürgerrechtsbewegung führte. Es ging um die Mauerschützenprozesse, d.h. die Strafverfolgung von DDR-Soldaten für Todesschüsse an der deutsch-deutschen Grenze. Ich hob auf die formelle Seite des Rechtsstaates ab und forderte die strikte Beachtung des verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbots, was jedenfalls für bestimmte Fälle auf Straflosigkeit hinauslief. Er war erregt, daß materielles Unrecht solchermaßen ungesühnt bleiben sollte. Später war er zufrieden, als das Bundesverfassungsgericht das Rückwirkungsverbot beiseite schob und den Weg zur strafrechtlichen Verurteilung öffnete. Ich akzeptiere dieses Ergebnis als eine Rechtslage, die auf verbindlicher gerichtlicher Entscheidung beruht, selbst wenn ich sie in der Sache nicht für richtig halte.

 

Gerechtigkeit ,,in menschlichen Ordnungen” ist nicht vollkommen. Das Bewußtsein um diese Tatsache drückt nicht selten schwer. Ich kenne Richter und Richterinnen, die solche harten Entscheidungen im Rahmen ihres Amtsauftrages treffen müssen, und ich kenne etwas von den inneren Auseinandersetzungen, die sie mit ihrem christlichen Glauben durchstehen müssen. Ich möchte für sie und für die Formstrenge des Rechts, die auch mit Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit zu tun hat, um Verständnis werben. Und ich tue es auf der Grundlage unseres Textes, der den Wert staatlicher Ordnung betont. ,,Unterordnung in Freiheit” meint im Verfassungsstaat daher vor allem Bemühen um Vertrauen und Verständnis für die Wirkungsbedingungen des Rechts und für seine Amtsträger, die unter uns sind, ja die wir auf unterschiedliche Weise selbst sind.

 

Das gilt auch für harte Entscheidungen, z.B. im Familien- oder im Ausländerrecht. Ich sehe wohl die Sorgen mancher Gemeinde, die mit einem konkreten Notfall konfrontiert ist. Der Schutz von Witwen, Waisen und Fremdlingen ist eine alte biblische Aufgabe (2. Mose 22, 20 und 21): ,,Denn auch ihr seid Fremdlinge gewesen im Ägyptenland!” Die staatliche Rechtsordnung ist davon ja keineswegs unberührt geblieben. Wenn aber eine Entscheidung nach Erschöpfung der verfügbaren Rechtsmittel rechtskräftig geworden ist, kann eine Verhinderung der gesetzlichen Konsequenzen, z.B. durch die Gewährung von Kirchenasyl, wohl als persönliche Glaubensüberzeugung verständlich gemacht, nicht aber als Bestandteil der rechtsstaatlichen Demokratie legitimiert werden.

 

 

V. Zu 3: Wo liegen neue Konfliktfelder? Die größten Herausforderungen - und das ist unser dritter Punkt - sind heute nicht so sehr durch staatliche Strenge, sondern eher durch staatliche Nachgiebigkeit verursacht. Werte und Institutionen, die christlichem Denken wichtig sind, werden relativiert oder aufgegeben. Man denke an den Schutz von Ehe und Familie, an den Rang des Religionsunterrichts in öffentlichen Schulen oder an den Schutz kirchlicher Symbole und Feiertage (das Beispiel des Bußtags). Die tieferen Ursachen für solche Entwicklungen liegen im gesellschaftlichen Bereich. Doch staatliches Handeln verstärkt sie. Die pluralistische Offenheit der Demokratie und der Individualrechtsschutz des Rechtsstaates - beides unbestreitbar positive Werte - können eine expansive Tendenz entwickeln, die sich gegen die eigenen Grundlagen richtet. Hierin scheint mir die für Kirche und Staat gleichermaßen gefährliche, wirklich neue Situation zu bestehen.

 

Recht wird dann nur noch zur eigenen Statussicherung genutzt. Schon heute macht es gelegentlich Schwierigkeiten, den prononcierten Individualismus unseres Rechtsdenkens Vertretern anderer Kulturkreise verständlich zu machen, die Recht immer im Zusammenhang mit Pflichten sehen und bei unserem Rechtsverständnis die Bereitschaft zum Teilen vermissen.

 

Gegen solche Fehlentwicklungen mag man in den Formen der Demokratie demonstrieren und mit den Mitteln des Rechts kämpfen, auch z.B. mit einer Verfassungsbeschwerde. Vieles davon wird dennoch letztlich ungehört verhallen oder unwirksam bleiben, weil die Formen gesellschaftlicher Auseinandersetzung, weil die Kommunikationskultur selbst ganz im Statusdenken verhaftet sind.

 

Müssen wir folglich nicht tiefer ansetzen, und kann unser Text uns dazu leiten? ,,Ordnet euch unter”, sagt er, in der Freiheit, die ihr aus dem Vertrauen auf Gott gewinnt. Unterordnung in Freiheit - das ist den Vorstellungen der Welt ein Paradox. Aber darin gerade liegt seine Kraft: Eine neue Form von Unterordnung, d.h. zum Verzicht auf feste Rechtspositionen bereit zu sein, nicht sogleich auf Selbstbehauptung zu setzen, im Gespräch mit anderen neu hinzuhören. Das ist ein risikoreicher Weg, dessen Erfolg unsicher ist, und der daher der persönlichen Entscheidung jedes Einzelnen überlassen bleiben muß; aber er zieht etwas vom Reich Gottes in diese Welt.

 

Vielleicht kann dazu der Gedanke, daß auch wir ebenso wie die frühen Adressaten des 1. Petrusbriefes ,,Fremdlinge und Pilger” sind, hilfreich sein. ,,Daß wir demnach dieses Leben nicht lassen unser Königreich und Hauptschatz sein”, kommentiert Luther den voraufgehenden Vers. 11. Wo ist das angesichts aller rechtlichen Absicherungen noch in unserem Bewußtsein präsent? Unterordnung in Freiheit als Abstehen von vorfixierten Interessenpositionen, um auch dem Gegenüber mehr Freiheit zu ermöglichen. Genau in diese Richtung weist unser Text: Überwindet das Unverständnis der Welt durch Guttaten! Das ist vielleicht die einzige Alternative, um aus der verhärteten Situation in Staat und Gesellschaft, aus einer Mischung von Recht und Rechthaberei, herauszukommen und zu neuen Formen der Verständigung zu finden. ,,Unterordnung in Freiheit” nicht als dumpfes Ducken, sondern offensiv vertreten und in die Gesellschaft hineingetragen! Mit einem Wort der 9. Synode der EKD vom November 1999 gesprochen: ,,Gott hat uns eine Botschaft anvertraut, die die Mühseligen und Beladenen erquickt und die Starken davor gewarnt, sich von Leistung und Erfolg ein erfülltes Leben zu versprechen. Diese Botschaft wollen wir weitersagen, mit dieser Botschaft werden wir gebraucht”.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne, in Christus Jesus. Amen!

Webmaster: E-Mail
Letzte Änderung: 22.03.2016
zum Seitenanfang/up