Manfred Seitz: Predigt über Ex 20,14 („Du sollst nicht ehebrechen")

I.

Liebe Gemeinde! Das 6. Gebot ist eindeutig. Es enthält den Willen Gottes über die Beziehungen von Mann und Frau. Es schützt nicht nur die Ehe vor dem zerstörenden Zugriff, sondern sichert auch der Sexualität ihre menschenwürdige Entfaltung. Es bewahrt, was Gott geschaffen hat: das volle Einander-Zugeordnet-Sein der Geschlechter.

Wie im alten Israel wird es auch heute in einem Gottesdienst der Gemeinde verkündigt. Es ist also ein Angebot, das von dem, der diese Stunde durchwaltet, kommt. Es tritt nicht im Gewande einer allgemeinen Bestimmung, wie die Gesetze es tun, vor uns hin. Es ergeht in persönlicher Anrede, das Du Gottes, den Menschen meinend, an jeden von uns:

„Das Gebot, das ich dir heute gebe, ist für dich nicht zu schwer und nicht zu fern ... Ganz nahe ist dir vielmehr das Wort in deinem Munde und in deinem Herzen, daß du danach tun kannst.” Es trägt nichts Einengendes und Drohendes an uns heran. Es eröffnet einen Weg, den man mit Lust und Freude gehen kann.

 

II.

Bisher war das 6. Gebot, von Ausnahmen abgesehen, anerkannt. Die Ausnahmen erfanden die Menschen meistens für sich und nur selten für andere. Aber keine Ausnahme war so barmherzig wie das einfache Gebot. Gott hat um Geschlechtlichkeit und Ehe einen Schutz gelegt, und diesen Schutz zu respektieren, war für die drinnen und für die draußen immer noch die beste Sicherung gegen ein Unglück.

Heute arbeiten einzelne und ein Teil der Öffentlichkeit an der Niederlegung dieses Schutzes. Die längere Lebenserwartung mache es unzumutbar, sich 40 Jahre an einen Menschen zu binden. Die Ausschließlichkeit dieser Bindung schränke die Sexualität in freiheitsberaubender Weise ein. Sie führe auch zu einer rein negativen Beurteilung jeder geschlechtlichen Betätigung außerhalb der Ehe. Die Ehe biete sich daher dem herrschenden System als Stütze an, verhindere die Chancengleichheit der Frau und beute im Dienste der Gesellschaft die Menschen aus. So argumentiert vor allem ein Wald von Blättern, der durch die Zusammenfügung von Sexualität und Politik seine Leser auf den Weg zur glücklichen Gesellschaft führt. Ihren Anbruch und das formelle Ende der Ehe hat der Kolumnist Sebastian Haffner für das Jahr 2200 angekündigt, wenn die vollkommene Privatisierung und Kultivierung des Liebeslebens erreicht ist.

Würde Paulus noch leben, würde er schreiben: „Was sollen wir nun hierzu sagen?" Die Antwort wurde uns von Teilnehmern des Ökumenischen Pfingsttreffens in Augsburg abgenommen: „Nichts!“ Die Kirche solle aufhören, über diese Dinge zu reden. Sie habe nämlich nichts mehr dazu zu sagen. Alle ihre Warnungen, selbst ihre Denkschriften kämen zu spät. Die Wirklichkeit habe sie längst überrollt, und frei von religiöser Bevormundung entfalte sich jetzt die menschliche Sexualität.

Hier tritt die Macht des Faktischen und Tatsächlichen, die Macht der Statistik und Zahlen, die Macht dessen, was `man` tut, in einen Gegensatz zu Gottes Gebot. Die Christen werden zur Minderheit, die an etwas festhält, was der Fortschritt überholt. Dies ist in der Tat bestürzend und geeignet, uns ins Verstummen zu drängen. Aber über diesem Abgrund des Verstummens und Brummens, in dem wir sitzen, erhebt sich umso unabweislicher Gottes Wort: „Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst nicht andere Götter haben neben mir." Auch nicht die Götter des Tatsächlichen und der Faszination vor dem, was alle tun. Werden denn wirklich Irrwege dadurch zur Wahrheit, daß Millionen sie gehen? Unter dieser Gewalt der Selbstvorstellung Gottes wandelt sich unser Verstummen in neue Verantwortung, und in die Auseinandersetzung, in die wir uns gestellt sehen, treten neue Möglichkeiten ein: Christen können ihre Schuld bekennen. Christen können neu beginnen. Christen können das Gebot bewahren.

 

III.

Christen können ihre Schuld bekennen. In einer Beratungsstelle erschien eine etwa 30jährige verheiratete Frau. Sie entstammte einer Beamtenfamilie, in der man ebenso wie in den einfachen Verhältnissen, aus denen ihr Mann kam, über bestimmte Dinge nicht sprach. In der Hochzeitsnacht überfiel der ruhige Mann in ungeahntem Ausbruch die zwar nicht uneingeweihte, aber doch der Behutsamkeit ihres Verlobten gewisse Frau. Seitdem erhob sich in ihrer Seele das Gefühl einer wachsenden Abneigung gegen ihn.

Beide wurden in streng christlichen Familien erzogen. Sie übernahmen eine irregeleitete Einstellung zur Sexualität, die die Unterdrückung der Geschlechtlichkeit mit dem Willen Gottes gleichsetzte. Während der Verlobungszeit unterschlugen sie das langsame leibliche Miteinander-Vertraut-Machen, aus dem die Bereitschaft, einander ganz zu gehören, entsteht. Sie entzogen diesen Bezirk seiner Bestimmung und stellten, ohne darüber zu sprechen, das Geistig-Seelische in den Vordergrund. So kam es zur Katastrophe, zum elementaren, ungezügelten Durchbruch des Unterdrückten.

Der gleiche Vorgang tritt uns heute auf der überpersönlichen Ebene entgegen. Wir haben keinen Grund zu verschweigen, daß das Christentum auch mit unheiligen Spuren durch die Geschichte zog. Es leistete, im Gegensatz zu beiden Testamenten, seinen Beitrag zur Verleugnung der Triebe. Die Folge, die wir heute erleben, ist eine Verabsolutierung der Lust. Eine unerhörte Überbewertung, ja Vergötzung des Sexuellen, die ihm geradezu lebenserfüllende, erlösende Kraft beimisst, ist eingetreten. In diesem Klima enträtselter Leiber entsteht dann die Gruppensexualität. Im Blick auf diese Unheils-Geschichte bekennen Kirche und Christen ihre Schuld.

 

IV.

Christen können neu beginnen. Diesmal war es ein Mann, der um Seelsorge bat. Seine Frau verliebte sich bald nach der Eheschließung in einen anderen Mann. Als aus diesem Verhältnis ein Kind entstand, schlug der Liebhaber vor, es abtreiben zu lassen. Ernüchtert über diese Kühle kehrte sie heim und gestand. Der Ehemann verzieh ihr, nach seinem eigenen Versagen fragend, und nahm das Kind als das seine an. Dennoch – und deswegen holte er Rat – konnte sich seine Frau innerlich nicht von dem anderen lösen.

Ich weiß nicht, ob er ein Christ war. Auf jeden Fall hat er, wie es Christen tun sollten, gehandelt. Er ließ sich nicht erbittern. Er rechnete das Böse nicht zu, und daß er nach seinem eigenen Versagen fragte, machte ihn nicht schwach. Er sagte, daß ihm die Ehe und die innere Bindung wichtiger seien als der Fehltritt seiner Frau. Und er fragte, was er tun könne, um sie auch innerlich wiederzugewinnen. Wir erfahren hier etwas von der Kraft der Ehe, die größer ist als die Menschen, die in ihr leben: Sie nimmt den Gefährten in seiner Armseligkeit an.

So hat Gott das Volk Israel und Christus die Gemeinde unter dem Bilde der Ehe an sich gebunden. An ihm lernen wir, was Treu-Sein unter uns Menschen bedeutet: eine Bejahung, die auf Dauer den Partner als den einzigen mit seinen Vorzügen und Nachteilen annimmt und ihm einen Raum gerechten und getrosten Lebens verleiht. Wenn Christen darauf und nicht auf das Ungute starren, können sie neu beginnen.

 

V.

Christen können das Gebot bewahren. Wieder war es eine Frau, die als Ratsuchende kam. Sie hatte eine zweijährige Tochter, die aber bei den Schwiegereltern lebte. Mit ihrem Mann verstand sie sich schon lange nicht mehr. Sie lebte in einem Verhältnis mit einem anderen Mann, der sich allerdings mit der Existenz ihrer Tochter nicht abfinden konnte. Im Verlauf der Unterredung sagte sie: „Ich bin es leid, verheiratet zu sein, und möchte endlich einmal tun, was mir Spaß macht.“ Sie fragte, ob sie sich von ihrem Mann trennen sollte.

Eine Ehe hält unglaublich viel aus, mehr als irgendeine andere Gemeinschaft: Vernachlässigung, Beleidigung, bis hin zu Ohrfeigen, die es auch in den sogenannten besten Kreisen gibt. Das alles kann eine Ehe überwinden und vergessen, als wäre es nie gewesen. Das kann sie aber nur, wenn sie durchgestanden wird. Jener jungen Frau, die sich nach zwei Ehejahren Trennungsgedanken machte, gleichen heute viele Männer und Frauen. Wenn neben die Vorteile der Ehe ihre Verpflichtungen treten, wenn ein Kind Liebe und ein im Beruf überlasteter Mann und eine von der Arbeit gezeichnete Frau Verständnis brauchen, wenn das Gespräch verödet und die Laune regiert, dann erscheinen ihnen ihre Ehen wie Entwürfe ohne Ergebnis. Sie geben sie auf.

Ehen müssen durchstanden werden. Diesen Weg weist Gottes Gebot. Die Ehe ist das Grundmodell menschlicher Begegnung in dieser Welt. Sie kostet Schmerzen. Aber wenn aus uns in diesem Fall und sonst etwas werden soll, dann geschieht das weit häufiger durch Schmerzen als durch angebliche Erfüllungen. Das Gebot bewahren bedeutet Reifwerden. Es fördert das Maß des Menschlichen in der Welt.

 

VI.

Aber nun gibt es auch unmenschliche Ehen auf dieser Erde. Es gibt sie offenbar immer mehr. Was an Unglück durch einen Unfall oder durch eine Krankheit schicksalhaft über die Menschen kommt, wird weit überboten durch die Unfähigkeit zu lieben, durch Brutalität, Selbstsucht und Verrat in der Ehe. Es ist nicht auszusagen, was hier gelitten wird, auch in dieser Stadt.

Er hat 5 Jahre lang das Kind, das sich die Frau sehnlich wünschte, verhindert. Er wollte kein Kindergeschrei. Tagsüber Betriebsleiter, ein feiner Mann, mit Tüchlein im Anzug; abends, in Hemdsärmeln, brüllte er, wenn die Frau ihn beim Fernsehen unterbrach, weil sie auch einmal etwas reden wollte. Als dann das Kind kam, wurde er unausstehlich. Er hasste das Kind und die Frau, weil sie jetzt zu dritt waren, und erniedrigte sie durch Schreien, Schläge und weniger Geld. Sie ließ sich scheiden, damit das Kind keinen Schaden nehme.

Gottes Gebot bleibt auch hier in Kraft. Aber wir müssen jetzt ganz Ernst damit machen, daß es Gebot ist und nicht Gesetz. Es will das Leben des Menschen und nicht das Leid. Es will ihn bewahren und nicht verletzen. Das Gebot gibt infolgedessen im Blick auf die Not des Menschen unter der Sünde – und hier muss von Sünde als Vergehen gegen die Schöpfungsordnung geredet werden – der Ehescheidung in gewissen Fällen Raum. Gott will seine Geschöpfe bewahren und retten und nicht in menschenunwürdigen Ehen verderben lassen. Darum gibt es als äußerste Möglichkeit die Scheidung, und wo sie erfolgt, wird Sünde geordnet. Aber das Gebot bleibt in Kraft.

Ein gültiges Zeugnis dafür ist der Entscheid des Paulus. Er hält das Gebot Jesu über die Unscheidbarkeit der Ehe fest. Er gibt dann die Lösung der Ehe in bestimmtem Falle frei. Er begründet das in einzigartiger Vollmacht mit dem Hinweis auf die in Christus erschienene Absicht Gottes: „Zum Frieden hat euch Gott berufen." Frieden – das ist der Raum gerechten und getrosten Lebens, Zeit und Raum vor Gott und durch ihn, auf dieser Erde. Immer ist dieser Friede, der Gotteswille in Jesus Gestalt geworden vor uns. Man kann also aus einer zerrütteten Ehe – es ist die äußerste Möglichkeit – herausgehen und auf Jesus zugehen und bei voller Gültigkeit des Gebotes doch zum Frieden, eben zu-Recht kommen.

Es ist ja der Herr, dein Gott! Amen.

 

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Manfred Seitz. Bibelwort und Lebenswirklichkeit
 

 

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Letzte Änderung: 04.03.2019
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