Manfred Oeming: "Alles Ringen mit Gott mündet in die Entdeckung der Liebe Gottes"

Carolin Ziethe | Adobe Den Beitrag als PDF downloaden

 

 

Manfred OemingManfred Oeming

Manfred Oeming:

Geboren am 11. Oktober 1955 in Kröpelin.

Professor für Altes Testament; von 1998-2003 Universitätsprediger in Heidelberg

 

Biografie

 

Geboren wurde Manfred Oeming am 11. Oktober 1955 in Kröpelin (Landkreis Rostock). Drei Jahre später floh er mit seiner Familie aus der DDR und lebte seit 1959 im Saarland. Zum christlichen Glauben kam er als junger Erwachsener und entschied sich daraufhin für das Studium der Theologie sowie der Philosophie und Pädagogik, zunächst in Saarbrücken, dann in Wuppertal und Bonn (1975-1980). Seine Promotion schrieb er bei Prof. Antonius Gunneweg im Fach Altes Testament, die er 1984 abschloss. Darin untersuchte er das Verhältnis von Altem und Neuem Testament in Entwürfen zur gesamtbiblischen Theologie. Im Jahr 1989 habilitierte er sich mit einer Studie zur genealogischen Vorhalle der Chronik. Von1988 bis 1991 arbeitete Manfred Oeming als Pfarrer der Rheinischen Landeskirche an der Kreuzkirche in Bonn. Diese drei Jahre waren von einer intensiven Predigttätigkeit geprägt, da es jede Woche nicht nur im Hauptgottesdienst, sondern auch im Kindergottesdienst, im Seniorenkreis, im Krankenhaus, im Schulgottesdienst, bei Beerdigungen und Trauungen fünf bis sieben Predigten zu halten galt. Auch auf die ökumenischen Bibelgesprächskreise, die er regelmäßig mit seinem katholischen Kollegen Kaplan Wolf in Bonn organisierte, legte er großen Wert. Diese schon hier deutlich werdende Tendenz, Glauben im Gespräch zu erfahren und zu vertiefen, prägte später auch die Heidelberger Zeit.

1991 führte ihn der Weg zurück an die Universität: zunächst als Hochschulassistent (1991-1992) und DFG Stipendiat (1992-1993) und zwei Jahre später (1993) als Professor für Altes Testament an der Universität Osnabrück. Schließlich erfolgte 1996 der Ruf an die Universität Heidelberg. Schwerpunkte seiner Forschung sind die Geschichtsschreibung in Israel; Psalmen; Hiob; zwischentestamentliche Literatur sowie der jüdisch-christliche Dialog. Neben der Theologie ist Manfred Oeming auch in der Archäologie tätig; seit 2004 arbeitet er 3-6 Wochen pro Jahr als Ausgräber, insgesamt sind es schon 53 Wochen im Feld. In Kooperation mit Archäologen und Historikern der Universität Tel Aviv sind bereits verschiedene Grabungsprojekte in Ramat Rahel, Tell Aseka und Jerusalem durchgeführt worden.

 

Impulse im Amt

 

Das Amt des Universitätspredigers in der Peterskirche Heidelberg bekleidete er von 19982003 sechs Jahre lang. Die Wahl zum Universitätsprediger kam für ihn, wie er selbst beschreibt, überraschend. Eigentlich ging er davon aus, lediglich an der turnusmäßigen Sitzung des Predigerkonventes teilzunehmen und sich für den einen oder anderen Predigtdienst zu verpflichten. Doch sollte in dieser Sitzung auch der Amtsnachfolger von Universitätsprediger Adolf Martin Ritter gewählt werden. Der designierte Nachfolger sprang jedoch kurzfristig ab, woraufhin Prof. Christian Möller und Prof. Gottfried Seebass den neuen Kollegen Oeming vorschlugen, der daraufhin mit großer Mehrheit zum Universitätsprediger gewählt wurde.

Als wichtiger Impuls aus der Amtszeit von Manfred Oeming als Universitätsprediger ist die Einführung der neuen Gottesdienstform „Inspiration am Abend“ zu nennen. Diese wurde von ihm selbst zusammen mit Hans-Joachim Eckstein ins Leben gerufen. „Am Anfang stand ein Wunsch: Wenn viele moderne Menschen mit den klassischen Gottesdienstformen Probleme haben, dann müsste man versuchen, neue Gottesdienstformen zu entwickeln, welche die Bedürfnisse von Zeitgenossen besser aufnehmen und ihrem Denken und Fühlen gerecht werden.“ (Oeming: Der etwas andere Gottesdienst, S. 38) Es ging also darum, neben dem sonntäglichen Hauptgottesdienst und dem Mittwochmorgen-Gottesdienst, der sich an der Liturgie der lutherischen Messe orientierte, einen zusätzlichen Gottesdienst zu etablieren, der gezielt junge Erwachsene ansprach. Passend dazu wurden die Termine auf Sonntagabend um jeweils 20 Uhr festgelegt. Eine Band aus Studierenden sorgte für die musikalische Gestaltung und auch die Liturgie entsprach keiner fest gefügten Form, sondern enthielt interaktive Elemente wie Salbung, Beichte und Symbolhandlungen. Kreative Elemente, wie zum Beispiel eine überdimensionale Leinwand im Chorraum, die während des Gottesdienstes bemalt wurde, gehörten ebenso dazu, wie ungewöhnliche Perspektivwechsel, zum Beispiel durch den Umzug während des Gottesdienstes vom Altarraum auf die Empore. Anlässlich der WM 2006 wurde ein gesamter Gottesdienst als Fußballspiel gestaltet.

Besonders in den Anfangszeiten war die Resonanz auf diese neue Gottesdienstform überwältigend, besuchten doch geschätzte 500 Menschen den ersten „Inspiration am Abend“ Gottesdienst, in dem Anne-Ruth Pregla die Predigt hielt. Mit vorbereitet wurden die Gottesdienste durch ein Team aus Studierenden, die im Vorfeld das Thema des anstehenden Gottesdienstes theologisch reflektierten und diskutierten. Dieses Vorbereitungsteam bezeichnete Manfred Oeming gerne als „seinen Hauskreis“, worin auch seine Verbindung von spirituellem Glaubensleben und Lehre deutlich wird. „Es war eine Art gottesdienstliches ‚Labor‘, in dem man ganz unterschiedliche Gedankenexperimente durchführte.“ (Oeming: Der etwas andere Gottesdienst, S. 38)

Allerdings, so M. Oeming, stellte sich die Arbeit nicht immer nur als inspirierend, sondern auch als aufwändig dar, da es gerade durch die starke Fluktuation unter den Studierenden, besonders bei den musikalischen Studierenden, nicht einfach war, für Kontinuität zu sorgen. Hinzu kam, dass schließlich auch andere Gemeinden ähnliche Konzepte umsetzten, sodass auch die hohe Anzahl an Gottesdienstbesuchern über die Jahre nachließ. Nichtsdestotrotz stellte Inspiration am Abend für viele Studierende ein bedeutendes und bereicherndes Gottesdienstangebot dar. „Manche haben Inspirationen kritisiert – zu modern, ein ‚Wohlfühlgottedienst‘, zu fromm – viele aber haben dieses Experimentierfeld sehr gerne besucht und haben sich von der unorthodoxen, abwechslungsreichen und häufig überraschenden Spiritualität dieses Gottesdienstes aufbauen lassen. Man kann Gottesdienste, die von der Präsenz, von der Musik und von der Aktion leben, schwer schildern; eigentlich muss man live dabei sein.“ (Oeming, Manfred: Der etwas andere Gottesdienst, 41.)

Ein weiteres wichtiges Anliegen von Manfred Oeming, das die Aktivität in der Peterskirche mitprägte, war die Verbindung von Glaube und Ästhetik. Diese sollte nicht allein in der Verbindung von Kirche und Orgelmusik zum Ausdruck kommen, weshalb Manfred Oeming in seiner Zeit als Universitätsprediger zwei größere Kunstausstellungen im Kirchraum organisierte. Eine erste mit dem Heidelberger Künstler Karl Heinz Treiber, dessen riesige Kreuzesinstallation auf dem Altar der Peterskirche für einige Kontroverse um den Altar als Ausstellungsraum sorgte. Eine zweite Ausstellung fand mit Werken eines jüdischen Glasmalers aus Jerusalem, den Manfred Oeming bei einem seiner Israelaufenthalte kennengelernt hatte, statt. In dieser Ausstellung ging es um jüdische Lebensgefühle, z.B. um die in der Shoa zerbrochene Schönheit. So gab es z.B. das Bild einer attraktiven jüdischen Frau zu sehen, der die Haare geschoren werden. Eine dritte Ausstellung mit Werken von Eva Hülsberg war geplant, kam aber letztlich nicht zustande.

Aber nicht nur Künstler holte M. Oeming in die Kirche, sondern auch prominente Prediger auf die Kanzel. So gelang es ihm, neben den aktiven Professoren unserer Fakultät, auch Prediger aus anderen Fakultäten, wie z.B. den Ägyptologen Jan Assmann oder den Juristen Eberhardt Schmidt-Aßmann, oder Prediger aus dem Oberkrichenrat wie Bischof Ulrich Fischer zu gewinnen.

Ebenfalls in seine Zeit als Universitätsprediger fielen die Diskussionen um die Renovierung des Kirchraumes. Manfred Oeming brachte in diese Debatte die Idee eines mobilen Altars ein, doch stieß dieser Vorschlag insgesamt auf großen Widerstand. Auch wenn diese Idee am Ende nicht umgesetzt wurde, so wird auch daran deutlich, dass die Verbindung von Spiritualität und Ästhetik für ihn ein umfassendes Anliegen darstellte.

 

Hermeneutik – Exegese – Predigt

 

Wer einen Predigtband mit gesammelten Predigten von Manfred Oeming sucht, sucht bisher vergebens. Dies mag durchaus mit seinem Predigtstil zusammenhängen, der geprägt ist vom Mut zur freien Predigt. Bereits im Studium wurde ihm im homiletischen Hauptseminar bei Prof. Gerhard Krause nahe gelegt, allein mit der Bibel in der Hand und der der auswendig gelernten Struktur im Kopf auf die Kanzel zu gehen.

Seine Predigten zeichnen sich durch emotionale und bildreiche Sprache aus: „Liebe Gemeinde, wie oft habe ich schon Babylon verflucht.“ (Oeming: Predigt über Apg 2,1-24 am 08.06.2014 in der Peterskirche Heidelberg) Oder auch: „Jeder ist gleichsam Radiosprecher, der die himmlischen Nachrichten in seinem persönlichen Lebensumfeld verlesen soll.“ (Oeming, Manfred, Predigt über Jes 40,1-11 am 16.12.2012 in der Peterskirche Heidelberg) Dabei schreckt Manfred Oeming auch vor schwierigen Texten nicht zurück, die Prediger wie Hörer herausfordern. Dies wird auch in der hier abgedruckten Beispielpredigt über Gen 32,23–33 deutlich. Über diesen Predigttext sagt er „Ein Wort, das nicht nur in der Nacht und im Dunkeln spielt, sondern irgendwie auch im Dunkeln bleibt.“

Dabei stellt die Bibel für Manfred Oeming das unumstößliche Fundament des Christentums dar. Und wohlgemerkt die ganze Bibel. Tendenzen und Argumentationsmustern, die sich von der Predigt alttestamentlicher Texte abwenden, tritt er entschieden entgegen: „Dass zum Verständnis der Person und Lehre Jesu sowie zur Explikation der kosmischen Bedeutung seines Lebens, Sterbens und Auferstehens notwendigerweise über die Texte des Alten Testaments zu predigen ist, dies ist ein Urdatum christlicher Theologie.“ (Oeming: Exegetische Forschung und keine kirchliche Praxis? S. 85) Dieses Denken von der Bibel her, geschieht in einer großen Wertschätzung der Pluralität der biblischen Stimmen im Kanon und der Pluralität der theologischen Denkstile. So schreibt er in seiner biblischen Hermeneutik: „Bibelexegese kann und darf nicht eindimensional sein, sie muß sich vielmehr öffnen für die faktisch gegebene Fülle der Interpretationskategorien.“ (Oeming: Biblische Hermeneutik, S. 177; Hervorhebung im Original) Wie die beschriebene hermeneutische Pluralität der Zugänge zur Bibel auch für die Predigt fruchtbar gemacht werden kann, wird wiederum in der hier abgedruckten Beispielpredigt deutlich. Denn dort verbindet Manfred Oeming psychoanalytische Lektüreansätze mit historischkritischer Exegese und existentialer Interpretation.

Durch die Wertschätzung existentialer Bibellektüre erhalten der Gegenwartsbezug und die Lebensrealität der Predigthörer einen gleichwertigen Sitz neben den Stimmen der Biblischen Autoren. „Tröstet, tröstet mein Volk! spricht euer Gott. Das ist die kürzest mögliche Zusammenfassung des Verkündigungsauftrags, eine Kurzform des Evangeliums: Tröstet, d.h. nehmt den Menschen die Angst vor der Zukunft weg, zeigt ihnen auf, wo in der Gegenwart unentdeckte positive Möglichkeiten liegen, macht ihnen Mut und stimmt die Herzen hell und erwartungsfroh.“ (Oeming, Manfred, Predigt über Jes 40,1-11 am 16.12.2012 in der Peterskirche Heidelberg.) Die Liebe bezeichnet Manfred Oeming dabei als Leitmotiv. „Alles Ringen mit Gott mündet in diese Entdeckung der Liebe Gottes.“ (Oeming, Manfred, Predigt über Gen 32,23-33 im Januar 1999 in der Peterskirche Heidelberg.)

Insgesamt wird also deutlich, dass sich bei Manfred Oeming Kirche und Universität, Glaube und Wissenschaft, Lehre und Seelsorge, Exegese und Predigt lebendig verbinden.

 

Predigtbeispiel: Predigt über Gen 32,23-33 im Januar 1999 in der Peterskirche Heidelberg (Inspiration am Abend)

 

LITERATUR

OEMING, Manfred: Gesamtbiblische Theologie der Gegenwart. Das Verhältnis von AT und NT in der hermeneutischen Diskussion seit Gerhard von Rad, in der 3. Aufl. zusammen mit weiteren Aufsätzen unter dem Titel: Das Alte Testament als Teil des christlichen Kanons? Zürich 32001.

OEMING, Manfred: Das wahre Israel. Die genealogische Vorhalle 1 Chr 1 9 (BWANT 128), Stuttgart 1990.

OEMING, Manfred: Der etwas andere Gottesdienst: Inspiration am Abend, in: SCHWIER, Helmut (Hg.): Gottesdienstformen in der Peterkirche und ihrem Umfeld, Jahresheft der Theologischen Fakultät Sonderheft, Heidelberg 2012, 38-47, hier 38.

OEMING, Manfred, Predigt über Apg 2,1-24 am 08.06.2014 in der Peterskirche Heidelberg.

OEMING, Manfred, Predigt über Jes 40,1-11 am 16.12.2012 in der Peterskirche Heidelberg.

OEMING, Manfred, Predigt über Gen 32,23-33 im Januar 1999 in der Peterskirche Heidelberg.

OEMING, Manfred: Exegetische Forschung und keine kirchliche Praxis? Gedanken zur Krise der Predigt alttestamentlicher Texte, in: OEMING, Manfred/BÖES, Walter (Hg.): Alttestamentliche Wissenschaft und kirchliche Praxis, FS Jürgen Kegler, BVB 18, Berlin 2009, 85-98.

OEMING, Manfred, Biblische Hermeneutik. Eine Einführung, Darmstadt 42013, 177 (Hervorhebung im Original).

LIPSCHITS, Oded/GADOT, Yuval/ARUBAS, Benjamin/OEMING, Manfred, What the stones are whispering. Ramat Rahel: 3000 years of forgotten history, Winona Lake 2017.

 

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Letzte Änderung: 22.11.2018
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