Christian Möller: Von der Sorge um die eigene Seele – seelsorglich Predigen

Sibylle Rolf | Adobe Den Beitrag als PDF downloaden

 

 

Christian MöllerChristian Möller (Quelle: privat)

Christian Möller:

Geboren am 29. April 1940 in Görlitz an der Neiße

1988 - 2005 Professor für Praktische Theologie und Hymnologie an der Theologischen Fakultät Heidelberg und seit dieser Zeit Prediger im Universitätsgottesdienst

 

 

Biographische Skizze

 

Christian Möller wurde am 29. April 1940 in Görlitz an der Neiße geboren. Nachdem er dort von 1946 bis 1950 die Grundschule absolviert hatte, wurde er nach Westberlin in ein Schülerheim der Evangelischen Kirche geschickt, um der zunehmenden Politisierung der DDR-Schule zu entkommen. Er besuchte von 1950 bis 1959 das Evangelische Gymnasium zum Grauen Kloster Berlin und legte hier 1959 sein Abitur ab. Von 1959 bis 1965 studierte er Theologie in Berlin (vor allem neutestamentliche Exegese und Hermeneutik bei Ernst Fuchs), in Zürich (vor allem reformatorische Theologie bei Gerhard Ebeling) und in Marburg (vor allem Hermeneutik bei Ernst Fuchs und Praktische Theologie bei Alfred Niebergall). 1965 legte er das 1. kirchliche Examen bei der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck in Marburg ab und wurde als Vikar nach Rauschenberg bei Marburg gesandt. 1966 bis 1968 unterbrach er das Vikariat, um eine Dissertation bei Ernst Fuchs und Alfred Niebergall (1909–1978) zu schreiben: „Von der Predigt zum Text. Hermeneutische Vorgaben der Predigt zur Auslegung von biblischen Texten“, München 1970. Anschließend setzte er das Vikariat in Wolfhagen bei Kassel fort und legte 1968 sein 2. Kirchliches Examen ab.

Von 1968 bis 1972 war Möller Pfarrer in Wolfhagen und Bründersen. 1972 wurde er als Nachfolger von Rudolf Bohren auf den Lehrstuhl für Praktische Theologie an die Kirchliche Hochschule Wuppertal berufen. Die Schwerpunkte seiner Tätigkeit waren Predigtlehre, Seelsorge und Gemeindeaufbau. 1988 wurde er als Nachfolger von Theodor Strohm auf den Lehrstuhl für Praktische Theologie an die Universität Heidelberg berufen. Zu den gleichen Schwerpunkten seiner Lehre wie in Wuppertal kam noch die Hymnologie hinzu. Außerdem lehrte er am Predigerseminar der Badischen Kirche in Heidelberg Pastoraltheologie. Von 1995 bis 1997 war Möller Dekan der Theologischen Fakultät und von 1996 bis 2006 Schriftleiter der Göttinger Predigtmeditationen. 2005 wurde er emeritiert. Seitdem ist er weiter mit Vorlesungen und Seminaren an der Universität Heidelberg, mit Vorträgen und Predigten in verschiedensten Zusammenhängen tätig und publiziert wissenschaftliche Literatur.

Christian Möller ist verheiratet und hat drei Söhne.

 

Christian Möller als Prediger

 

In der Praktischen Theologie versteht Christian Möller sich als einen Grenzgänger, der Wege des Verstehens zwischen unterschiedlichen theologischen Bereichen zu entdecken versucht: sowohl interdisziplinär zwischen der Praktischen Theologie, der Exegese, Kirchengeschichte und Systematik, als auch innerhalb der Praktischen Theologie. In seiner Dissertation zeigt er auf, wie die Predigt zu einem hermeneutischen Weg für die Auslegung biblischer Texte werden kann. In „seelsorglich predigen“ (1983) sucht er nach Wegen, wie eine Predigt zur hermeneutischen Chance für die Seelsorge werden kann. Seine fünf Bücher zum Gemeindeaufbau (1997–2009) sind in einem Dialog zwischen Hochschul- und Gemeindetheologie vom Gottesdienst her und auf den Gottesdienst hin entstanden. Dabei ist Gerhard Ebelings These wegweisend für Möllers Kirchentheorie: „Genau genommen veranstaltet die Kirche nicht Gottesdienst. Sie ist vielmehr Gottesdienst.“ (Dogmatik des christlichen Glaubens Band III, Tübingen 4. Auflage 2012, 361.)

In der gottesdienstlichen Predigt sollen Menschen einen Raum zum Aufatmen finden, um zur Ruhe zu kommen und ihre eigene Lebenserfahrung mit der in den biblischen Texten begegnenden Erfahrung „versprechen“ lassen. Dafür knüpft Möller in seinen Texten und Predigten an konkrete Erfahrungen der Hörenden an und reflektiert Erfahrungen, die er selbst in seinem Dienst als Pfarrer und Prediger gemacht hat. Besonders eindrücklich ist mir aus dem Homiletischen Seminar Möllers Bericht von dem Totengräber in seiner Gemeinde geworden, der seine Gräber noch mit der Schippe aushob, nicht mit dem Bagger und sich nach getaner Arbeit auf dem Boden des Grabes oft gefragt haben soll, welchen Grund er habe, vom offenen Grab ins Leben zurückzukehren. Das war, wie Christian Möller erzählte, für ihn ein wichtiger Anstoß – im Dialog mit dem Totengräber – Wege vom Grab ins Leben der Menschen zu suchen und dabei eine Sprache zu sprechen, mit der die Erfahrungen des Hörers aufgenommen und zugleich in das Licht des Evangeliums gestellt werden können.

Möller kommt es mit Ernst Fuchs, Gerhard Ebeling, Eberhard Jüngel und Walter Mostert in der Praktischen Theologie auf eine „Erfahrung mit der Erfahrung“ an, d. h. weder empirische Daten oder Theorien noch Energien oder energetische Wirkungen an sich machen die Praktische Theologie schon „erfahren“. Erst derjenige Glaube, der kritisch zur verstehenden Erfahrung mit der Erfahrung anleitet, ermöglicht „Kommunikation des Evangeliums“ und führt zu einer „Theorie der Praxis“, aus der auch praktische Schritte zum Handeln hervorgehen.

Eine Predigt über Mk 4,24-29, die Christian Möller am 7. Februar 1999 in der Heidelberger Peterskirche gehalten hat, spiegelt dieses reflektierte Erfahrungsverständnis wider. Anknüpfend an die Erfahrung von Studierenden und Dozierenden am Semesterende, bringt die Predigt die Erfahrung des Messens und Gemessen-Werdens mit dem Evangelium von der selbstwachsenden Saat in ein Verhältnis. Der Erfahrung des Beurteilens und Beurteilt-Werdens nach dem Kriterium von Leistung oder „Performance“ stellt Möller die Kraft des göttlichen Wortes und Sakraments gegenüber, das ohne menschliches Zutun wirkt und Frucht bringt und vom Menschen allein das Hören, die Gelassenheit und das Zutrauen erfordert. Im Vertrauen auf das Wort von Gottes unbedingter Zusage kann es sich, so Möller, ergeben, dass die eigenen Maßstäbe zurecht gerückt werden und dass das Messen und Beurteilen an die zweite Stelle nach der Erfahrung des unbedingten Geliebt-Werdens rückt. Damit steht die Predigt bewusst in der Predigttradition Martin Luthers, der die Selbstwirksamkeit des Evangeliums sowohl Freunden als auch Kritikern deutlich und eindringlich vor Augen und vor Ohren stellte.

Die lebendige Sprache Möllers zeigt, wie er das Amt des Evangeliums so gebraucht, dass die Verkündigung der Gemeinde gegenüber unverfügbar bleibt und dabei – in seiner Wirkung von Gesetz und Evangelium – dem hörenden Menschen gibt, was er oder sie braucht. In seiner Heidelberger Predigt über Mk 4 nimmt Möller darüber hinaus Dietrich Bonhoeffers Unterscheidung vom Letztem und Vorletztem auf, indem er seine Hörer*innen ermutigt, vom Letzten, der Zusage der Liebe Gottes her, das Vorletzte, menschliches Arbeiten und Leisten, zu verstehen – und damit die eigene Erfahrung als Vorletztes mit der sich im Wort Gottes mitteilenden Erfahrung des Evangeliums als Letztes verbinden zu lassen.

In homiletischen Seminaren hat Möller sein Konzept der „Predigtwoche“ entwickelt und an Generationen von Studierenden weitergegeben. Danach beginnt die Ausarbeitung einer Predigt schon an dem der Predigt vorhergehenden Sonntag und wächst Schritt für Schritt mit jedem Tag der Woche weiter, wobei jeder Tag einen besonderen Fokus der Predigtvorbereitung erhält: die Betrachtung der Hörenden und der Gemeinde, die Exegese, die Dogmatik, die sprachliche Gestalt der Predigt bekommen so ihr je eigenes Gewicht. Mit dem Konzept der Predigtwoche wird es möglich, den Text für den kommenden Sonntag nicht nur für den konkreten Predigtanlass zu meditieren, sondern ihn in alle Bereiche des Lebens mitzunehmen und auf diese Weise die Erfahrung, von der im Text gesprochen wird, mit der Erfahrung der Menschen zu verbinden, die der predigenden Person im Laufe der Woche begegnen.

 

Predigtbeispiel: Predigt über Mk 4,24-29 im Universitätsgottesdienst in der Heidelberger Peterskirche am 7. Februar 1999.


 

LITERATUR

Hermeneutik

•    Von der Predigt zum Text. Hermeneutische Vorgaben der Predigt zur Auslegung von biblischen Texten, München 1970.

Predigtlehre

•    Seelsorglich predigen, Göttingen/Waltrop 1983 (3. Aufl.).
•    Die homiletische Hintertreppe, Göttingen 2007.
•    gemeinsam mit Michael Heymel: Sternstunden der Predigt, Stuttgart 2010.
 

 

 

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Letzte Änderung: 24.06.2019
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