Herbert Krimm: Predigt über Röm 12,1-6 am 7. Januar 1968

Liebe Universitätsgemeinde,

Am Weihnachtstag war in unserer Peterskirche zum letzten Mal Gottesdienst gewesen. In den 12 Tagen, die seitdem vergangen sind, hat sie stumm und einsam dagelegen. Aber was wäre in diesen 12 Tagen alles zu feiern gewesen! Ich meine nicht den Jahreswechsel mit seinem Lärm. Die Jahre sind ein Tropfen am Eimer, und in den Lärm der Neujahrsnacht werden sich auch 1968 wieder Sorgen und Tränen genug mischen. Aber sonst, wieviel und wie Großes hat sich seitdem ereignet und ist in dem Gottes-dienst der Christenheit zu neuem Leben erweckt worden! Ihr wißt es ja, die Ihr die Ferien daheim verbracht und auch dort an dem Leben und Lo-ben, dem Singen und Beten der Christenheit teilgenommen habt. Seit der Geburt des Erlösers – was ist da alles wieder auf uns eingestürzt! Was ist an Ereignissen der Heilsgeschichte vor unsere Augen getreten, worauf wir in keinem einzigen Jahr verzichten wollen: 

 

Die Verbreitung der frohen Botschaft durch die Hirten,

Die Flucht nach Ägypten,

Der Kindermord in Bethlehem.

Die Namensgebung des Herrn im Tempel

 

Und dann, erst gestern, die Anbetung der Weisen, die von fernher gekommen waren, ge-führt nicht durch prophetische oder politische, sondern durch kosmische Kräfte, dem Kinde ihre Reverenz zu erweisen. Alles lauter Variationen zu dem einzigen Thema: „Was Gott an uns gewendet hat und seine süße Wundertat.“

Wir spüren, wenn wir heute nach so vielen stummen Tagen die Peterskirche wieder mit Liedern und Gebeten beleben, so etwas wie ei-nen Nachholbedarf: doch noch ein Lied vom neuen Jahr, doch noch eines vom Erscheinungs-fest und wenn möglich noch ein Gebet aus dem Weihnachtskreis --- unsere alte Kirche soll doch nicht denken, dass wir, während sie stumm und dunkel da lag, die großen Taten Gottes verges-sen hätten!

Was nun unseren Predigttext betrifft, so spricht er nicht mehr von Gottes Handeln an uns, sondern er zieht die Folgerungen daraus für unser eigenes Handeln. Und das ist eine harte Nuss, namentlich für uns Protestanten, die wir auf diesem Gebiet wesentlich weniger sicher sind als unsere katholischen Nachbarn.

Margaret Mead hat schon recht, als sie im Sommer des letzten Jahres in Genf vor der Kon-ferenz über Kirche und Gesellschaft von ihrem Aufenthalt in Neuguinea berichtete und dabei sagte, sie hätte erlebt, wie in drei oder vier Jahr-zehnten ein Volk aus der Steinzeit unmittelbar in die industrielle Gegenwart überführt worden sei. Einer der eingeborenen Christen hätte ihr zum Abschluss gesagt: Die Wahrheit habt Ihr uns wohl gebracht, aber den Weg habt Ihr uns nicht gezeigt. Den Weg des Christen zeigen – da sollte niemand der Kirche ein Versäumnis vor-werfen müssen! Eben deshalb gibt es nichts, was uns nötiger wäre, nichts auch, was uns einen besseren Auftakt geben könnte, wenn morgen unsere regelmäßige Arbeit wieder beginnen soll. Darum bitte ich Euch: wendet Euch nicht ab von den Mahnungen und Ratschlägen, die uns heute mitgegeben werden und die so wenig danach aussehen, als könnten sie uns zu heller Begeis-terung mitreißen. Ich bitte Euch: Überbrüllt sie nicht durch fanatische Parolen; erniedrigt sie nicht durch eine saloppe Handbewegung; ent-leert sie nicht durch rasche und halbwahre Bin-senwahrheiten, sondern hört, hört, wie ihr kei-nem Mann auf dem Katheder zuhört, so rück-haltlos offen, so ernst und so gesammelt. Und damit gleich laut ausgesprochen wird, was uns die Annahme hier so schwer macht, will ich es sagen: es sind die vielen Ausdrücke, die nicht nach einem mitreissenden Glaubensschwung, sondern einfach nach spießiger Durchschnitts-moral klingen, wenigstens nach ihrer deutschen Fassung. Schon das Wort „ermahnen“ erweckt ja höchstens ein Hohngelächter, und das Wort „vernünftig“ erweckt gähnende Langeweile. Und dann kommt noch, dazu in der sächlichen Form, „Das Gute, das Wohlgefällige und das Vollkom-mene“, als wären wir heute noch immer ästheti-sche Idealisten, wie zur Zeit der napoleonischen Kriege. Schließlich folgt gar die Mahnung zur Mäßigung, die man schon dem zweiten Kanzler unseres Staates so übelgenommen hat, und die man sich wahrscheinlich von einem Apostel auch nicht so ohne weiteres gefallen lässt. Zu-letzt lesen wir, dass niemand zu viel von sich halte – als ob ein neuer Beweis geliefert werden sollte für die Behauptung der Soziologen, dass der Nachwuchs der evangelischen Kirche immer mehr aus dem kleinen Mittelstand kommt, dass Bauern und Arbeiter sich längst nicht mehr dran beteiligen und dass hier alles eben von vornhe-rein auf das Mittelmaß und den Durchschnitt abgestellt sei.

Wenn man diesen rationalistischen Klang mit der deutschen Übersetzung in Zusammen-hang bringt, so klingt das, als wolle man Martin Luther am Zeuge flicken. Aber das wäre mehr als schulmeisterlich. Wenn jemals seine Bibel von unseren Altären und Kanzeln verschwinden müßte, so wäre das, als hätte unsere Mutter-sprache ihren Ursprungsort verleugnet. Gewiß sind manche neuen Übersetzungen genauerem aber keine hat denselben Fluß und vollen Klang. Und des moralischen Beigeschmacks in unserem Text wären auch sie hier nicht Herr geworden. Da muss man sich dann doch dankbar zurück-wenden zur Sprache des Paulus und sich von unseren Exegeten daran erinnern lassen, dass schon das Wort „ermahnen“ im Griechischen einen Klang hat, der gar nicht nach dem erhobe-nen Zeigefinger des Spießbürgers aussieht, son-dern in dem der freundliche Ton der Einladung, ja der Ermutigung und Ermunterung mit-schwingt. Nicht minder aber kann man dann erfahren, dass der Leib, von dem hier die Rede ist, nicht viel mit unserem Körper zu tun hat, sondern dass es sich dabei um die Ganzheit und Einheit des Menschenwesens handelt, dass die Vernunft auch nicht zu sehr nach dem Philoso-phen von Königsberg geformt ist, sondern nach dem griechischen Wort ‚logos‘, in dem ja viel mehr mitschwingt als in unserm Begriff der bloßen Vernünftigkeit, und dass schließlich auch das Maß nicht so sehr mit der Mäßigung zusammenhängt, die manche Leute im Kampf gegen die Suchtgefahren für ausreichend halten, sondern dass es mit dem Maßstab zusammen-hängt, den wir im Leben brauchen und ohne den wir verloren sind. 

Was aber das Wichtigste ist: neben dieser Gruppe der trockenen Begriffe steht eine andere und hier zeigt sich nicht nur Luthers Sprachge-walt, auch nicht nur das Herz des Apostels Pau-lus und sein leidenschaftliches Christuserlebnis, sondern das Evangelium selbst in seiner ganzen Gewalt und Hoheit. Diese Gewalt fasst sich zu-sammen in einem einzigen Satz, der zwar auch nach einer Mahnung klingt, deren Befolgung aber von vornherein gar nicht in unserer eige-nen Macht steht: „Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern verändert euch durch Erneue-rung eures Sinnes“. Wollte man das wörtlich übersetzen, dann müßte es heißen: gestaltet eure Lebensführung nicht nach dem Schema der jetzigen Welt, sondern lasst um der Erneuerung eures Sinnes willen eine Metamorphose an euch geschehen. Klingt das nicht fürchterlich? D a s wäre erst der moralisch-spießige Klang, den wir so fürchten und vor dem schleunigst zu Luther und zum Evangelium zurückzukehren unsere einzige Rettung ist. Denn da ist es, das heilige Evangelium von der Herrlichkeit und der Gnade Gottes, und da ist auch seine ganze Folge und Abspiegelung in unserem eigenen Leben. Sollen wir es wagen, für dieses Nicht-gleich-stellen, dieses Anderssein des Christen zum letzten Mal eine Notzuflucht zu einem hässlichen Wort zu nehmen? Sollen wir sagen, hier sei die Rede vom Nonkonformismus des Christen? Uns schüttelt gewiss alle eine Gänsehaut, so unpassend er-scheint uns dieser Ausdruck hier, wo es sich nicht um eine Mode, nicht um einen politischen Zweck, sondern erst einmal um einen tief im innersten Herzen wurzelnden Vorgang handelt. Eben diesen so abstoßend hässlichen Begriff, der so gar nicht erbaulich ist, habe ich auszu-sprechen gewagt, weil er zugleich das beste Beispiel dafür sein kann, dass dieses Anderssein sich auch auf ein Gebiet erstreckt, auf dem wir die Mahnung sträflich unbeachtet lassen: den Geist unserer Sprache und unseres Sprachge-brauchs. 

Durch die Christenheit aller Konfessionen geht heute das Bestreben, den Glauben nur ja als zeitgemäß, nur ja als eine moderne Sache erscheinen zu lassen. Diesem Bestreben müssen auch de Ausdrücke dienen, deren man sich be-dient, um das Geheimnis der Menschwerdung Gottes den außenstehenden Zeitgenossen ver-ständlich zu machen. Wir wählen Worte, die unsern Zuhörern von anderswo geläufig sind. Die Frage aber steht auf, ob unter dieser Ein-kleidung der Inhalt noch derselbe bleibt und ob nicht, unbemerkt von der Mehrzahl, mit solchem Gleichstellen, solcher Anpassung an die Denk- und Ausdrucksformen unserer Zeitgenossen eine unheimliche Sinnentleerung lautlos vor sich geht. Wir rufen nach Diskussion; sollten wir nicht einfacher, aber klarer sagen, dass es für Christenmenschen eine wunderbare Stär-kung auf dem Lebensweg ist, wenn sie ihre Glaubenserfahrungen und –nöte, ihre Erfah-rungen mit Christus, ihre Nöte beim Gebet un-tereinander austauschen und sich dabei ein Stück weiterhelfen können? Wir fordern Demo-kratie in der Kirche und zerren damit wiederum ein Wort aus dem politischen Leben, noch dazu ein arg missbrauchtes und endlos dehnbares Wort in den geistlichen Bereich hinein; kämen wir nicht weiter, wenn wir uns in das Bild vom Leib Christi vertiefen und erkennen, wie in der Christenheit jedes Glied seine besondere Art und Aufgabe hat und alle Glieder doch ein orga-nisches Ganzes bilden? Wir sprechen von Kritik und üben sie auch aus, hoffentlich vor allem uns selbst gegenüber; aber der Herr hat uns längst gesagt, dass wir alles prüfen, aber das Beste behalten sollen und damit unsere kritische Fä-higkeit ihrem eigentlichen Ziel und Zweck ein-geordnet. Und neuerdings sprechen wir auch nicht mehr von Erneuerung oder Wandlung oder gar Wiedergeburt, sondern wir greifen nach dem Begriff Revolution – Revolution von unten, wenn es sich um gesellschaftliche Vorgänge handelt, Revolution von oben, wenn es um die Wiederkunft Christi oder um das kommende Gottesreich gehen soll. Revolution und Reich Gottes: stellt die beiden Worte hart und klar nebeneinander und sprecht es hart und klar aus, dass das eine von ihnen dabei über Gebühr er-höht, das andere tief erniedrigt wird. 

Es gäbe noch viele Beispiele aus der Gegen-wart dafür, dass wir schlecht beraten sind, wenn wir uns als Christen allzu beflissen darum be-mühen, den Beifall, das Verständnis, mindes-tens die vielgerühmte Toleranz dieser Welt zu finden. Es bröckelt zu viel dabei ab, der große Aufwand an Modernität lohnt den spärlichen Erfolg nicht. Auch wären diese anderen Beispie-le noch weniger erbaulich und deshalb wenig hilfreich. Es geht eben nicht ohne die große Metamorphose, die große Änderung des Sinnes, zu der uns der Herr ruft und zu der er uns zu-gleich befähigt. Mit ihr aber klingt alles wieder richtig, auch was zuerst allzu trocken, moralisch und rationalistisch in unsere Ohren gedrungen ist: der vernünftige Gottesdienst, die Prüfung des Guten und Gefälligen und sogar das vielbe-lächelte Maß, das eben auch seinen Platz hat im Leben des Christen. Denn was könnte einen Menschen höher stellen als dies, daß ihm an Fähigkeiten und Möglichkeiten zugesprochen wird, was unser Text ihm zuspricht? 

Lasst es uns noch einmal vor unsere Augen stel-len und in unser Gedächtnis prägen: 

Es ist das Opfer, das wir selbst mit Geist, Leib und Seele darbringen; 

es ist die Erneuerung, die an uns vor sich geht; 

es ist die Fähigkeit der Prüfung des Guten und damit auch die Fähigkeit der Unterscheidung von seinem Gegenteil; 

und es ist schließlich der feste Maßstab, nach dem wir unser Leben einrichten können. 

Amen

 

 

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Herbert Krimm: Liturgie und Diakonie

 

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Letzte Änderung: 26.04.2017
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