Bericht zum digitalen DWI-Institutsabend am 16. November 2020 mit Prof. Dr. Thorsten Moos

Diakonie als schwierige Kirche

Referent

Unbenannt

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Prof. Dr. Thorsten Moos vom Institut für Diakoniewissenschaft und DiakonieManagement der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel war Gastredner beim ersten digitalen Institutsabend des DWI. Er referierte zum Thema „Diakonie als schwierige Kirche“. 

Pointiert stellte er eingangs verschiedene Problemebenen des Kirche-Seins von Diakonie dar, die sowohl die Binnen- als auch die Außenperspektive betreffen: Inwieweit ist Diakonie im organisationalen Selbstverständnis Kirche? Inwieweit sehen Mitarbeitende Diakonie als Kirche und sich als Teil von ihr? Welche Rolle spielen „kirchliche“ Führungskräfte in der Diakonie? Inwieweit erkennt verfasste Kirche Diakonie als Teil ihrer selbst? Inwieweit erkennen Nutzer/-innen Diakonie als Kirche? Inwieweit erkennen Recht und Politik Diakonie als Kirche?

Die Diakonie als schwierige Kirche steht vor besonderen Problemen, insbesondere durch die Pluralisierung: Es gibt vielfältige diakonische Zugehörigkeitsmodi (Mitgliedschaft, Job, Nutzung diakonischer Angebote) und plurale Überzeugungen (christliche Religionszugehörigkeit kann oftmals nicht mehr vorausgesetzt werden). 

Bewusst überpointiert stellte Prof. Moos verschiedene theologische Vorurteile vor, die eine Hermeneutik der Diakonie erschweren: Besonders wehrte sich Prof. Moos gegen das Verständnis von  Diakonie als Verkündigung: Für den Referenten ist der Kern von Diakonie keinesfalls die Kommunikation des Evangeliums, sondern das helfende Handeln. Ähnlich kritisch bewertet er auch die Deutung der Diakonie als aus dem Glauben motivierte Praxis: Dem widerspricht Prof. Moos mit Verweis auf die plurale Mitarbeiterschaft. 

Wie aber kann Diakonie im gegenwärtigen Diskurs als Kirche verstanden werden? Prof. Moos verwies auf vier Schritte einer theologischen Hermeneutik von Diakonie als Kirche: 1. Differenzierung: Es gilt die humane Allgemeinheit des Helfens anzuerkennen. 2. Praxistheoretischer Hinweg: Auch biblische Zeugnisse (Jakobusbrief) kennen die Rechtfertigung aus den Werken. Praktiken des Helfens können für Menschen religiöse Qualität haben, dies untermauerte Prof. Moos mit eigenen Erfahrungen aus seiner Zivildienstzeit. 3. Rationalitätstheoretischer Rückweg: Am Ort des Helfens können sich christliche Denkmuster bewähren. 4. Ekklesiologische Zusammenfassung: Diakonie kann als Kirche bei Bedarf verstanden werden; sie widmet sich vorrangig dem Helfen, aber bei Bedarf wird sie Kirche, nämlich dann, wenn in ihr christlich kommuniziert wird. Auch umgekehrt ließe sich von Kirche als Diakonie bei Bedarf sprechen. 

Bezüglich der Thematik „Diakonie mit Nichtchristen/-innen“ stellte Prof. Moos verschiedene Denkmodelle als Idealtypen vor, die jeweils theologische Wahrheitsmomente enthalten, aber zugleich auch Herausforderungen mit sich bringen. Der Referent stellte auch sein eigenes Modell der „Diakonizität“ vor. Demnach ist das, was die Diakonie ausmacht, im historischen Wandel begriffen und wird beständig neu verhandelt. Das Modell fordert eine reflexive Loyalität der Mitarbeitenden und betont die Zentralstellung religiöser Subjektivität und religiöser Kommunikation. Es nimmt daher die jeweilige personale Haltung ernst; allerdings sind ein gewisser Ressourcenaufwand und bestimmte Voraussetzungen (u.a. Bildung) damit verbunden. 

Im abschließenden Fazit seines Vortrags entwarf Prof. Moos eine Perspektive, wie sich Diakonie als Ort gehaltvoller christlicher und interreligiöser Kommunikation profilieren kann: Es bedarf der vollen Legitimierung der Nichtchristen/-innen in der Diakonie, zugleich müssen christlich-religiöse Formen gepflegt und innere Konflikte trainiert werden. Letztlich sind die Herausforderungen, vor der die Diakonie aktuell steht, auch die Konflikte der verfassten Kirche, weshalb eine theologische Einholung dieser Herausforderungen geboten ist.

In der anschließenden lebhaften Diskussion griffen die Teilnehmenden aus Diakonie und Kirche verschiedene Aspekte auf:  
Kirche und Diakonie können anhand ihrer Kernvollzüge unterschieden werden, auch wenn sie jeweils darüber hinaus gehen: Kirche ist im Kern der Ort christlicher Kommunikation, Diakonie der Ort helfenden Handelns. In vielen Bereichen zeigt sich, dass Kirche und Diakonie vor ähnlichen Herausforderungen stehen, z.B. Verteilungsdebatten in der Kirche. Die Teilnehmenden waren sich einig, dass Kirche und Diakonie beide einer sehr lebendigen Verbindung bedürfen.

Rückfragen gab es auch zur Ausdifferenzierung von Helfen und Glauben: Einerseits kann helfendes Handeln über den Akt des Helfens hinausgehen etwa durch die Grundhaltung der Akzeptanz und Annahme des Anderen und andererseits kann religiöse Kommunikation schon selbst helfendes Handeln sein (z.B. Hilfe für Jugendliche, die Interesse an okkulten Praktiken haben).

Die Symmetrie der Probleme von Kirche und Diakonie wurde in diesem DWI-Institutsabend besonders deutlich, sodass sich nicht nur die „Diakonie als schwierige Kirche“ thematisieren ließe, sondern auch die „Kirche als schwierige Kirche“ und die „Kirche als schwierige Diakonie“.

Dorothea Schweizer

 

Anmerkung für künftige DWI-Institutsabende: Wir haben uns sehr gefreut, dass die digitale Durchführung die Teilnahme von lokal weiter entfernten Personen ermöglicht hat. Sobald wieder persönliche Institutsabende vor Ort möglich sein werden, planen wir daher eine hybride Gestaltung, sodass Sie – ob persönlich oder digital – an unserer Veranstaltung teilnehmen können. 

Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 23.11.2020
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