Das Buch „Nos Sanges Mêlés“: Westlich-chinesische Ehegeschichten mit Streamingdienst-Potential

Jüngst entflammte in der Medienwelt durch den Streamingdienst Netflix ein Medienecho, indem die sogenannte „farbenblinde Rollenbesetzung“ der Drama-Serie „Bridgerton“ gelobt, aber auch kritisiert wird. In mehr als 63 Millionen Haushalten soll die Serie gestreamt worden sein. Das Besondere? Der gleichnamige Roman der Autorin Julia Quinns spielt eigentlich in der Zeit der englischen Regency-Epoche (1811-1820). Neu ist nun, dass die Hautfarbe und Herkunft der Hauptdarsteller für die Besetzung keine Rolle spielen. „Vielfalt Baby!“ titelt ein kritischer Journalist der F.A.Z und wettert in seiner Rezension über „umgekehrten Rassismus“ und „Cancel Culture“, da „weiße Rollen“ von People of Color gespielt werden.

Nos Sangs Meles Cover

Dabei muss diese Debatte um Rassismus und erzwungener Vielfalt doch gar nicht sein. „Vielfalt“, ein Schlagwort, das mit Vorliebe von reputationsbewussten Unternehmen und Medienhäusern genutzt wird, lässt sich viel einfacher finden. So zum Beispiel in einem französischen Buch mit dem Titel Nos Sanges Mêlés (übers: Unser vermischtes Blut), das von einer europäischen Autorin unter dem Namen Horose 1957 in Paris veröffentlicht wurde. In elf Geschichten werden westlich-chinesische Liebesbeziehungen am Anfang des 20. Jahrhunderts in Europa und China beschrieben.

Alles soll auf wahren Begebenheiten basieren, doch die komplizierte Umschrift vieler Namen und ausgelassener Details macht eine Nachforschung zu den erwähnten Personen fast unmöglich. Vielleicht geschah das aber auch zum Schutz der Personen, denn viele der Geschichten haben es in sich: Von Liebe, Affären, polygamen Mischehen und „illegitimen“ Kindern bis zu tödlichen Unfällen, Rassismus und Selbstmord, wird einem das ganze thematische Spektrum ausgefallenster Drama-Serien geboten.

„Nüchterner“ Idealismus

Was Nos Sanges Mêlés allerdings von vielen Drama-Serien der heutigen Zeit unterscheidet, ist eine etwas abgedroschene, aber durchaus ehrlich gemeinte Botschaft: Ungeachtet der Nationalität, sind wir am Ende alle nur Menschen aus Fleisch und Blut. Doch wer nun mit den Augen rollt, dem soll versichert werden, dass die Message in den einzelnen Geschichten weniger trocken serviert wird. Es ist sogar recht beeindruckend, wie die Autorin schwierige Motive und Themenkomplexe, wie Rassismus, Neokolonialismus und die Emanzipation der Frau, wie selbstverständlich in recht banale, aber dennoch unterhaltsame Drama- und Alltagsgeschichten einfließen lässt.

Liebe überwindet Grenzen?

Erst durch die gegensätzlichen Sichtweisen der Europäerinnen, die Horose herausarbeitet und problematisiert, kommen zum Teil bizarre Widersprüche im Leben der Ausländerinnen zum Vorschein. Keineswegs beschönigen die Geschichten grenzüberschreitende Ehen. Obwohl es ab und an ein Happy End gibt und „Liebe Grenzen überwindet“, werden gleichzeitig auch die Grenzen dieser Liebe aufgezeigt. Frau Li sagt zum Beispiel offen, dass sie Chinesen, erst recht nach ihrem neuen Leben in der Republik China, hasst. Ihr Mann sei da eine Ausnahme. Tatsächlich wünscht sie sich nichts sehnlicher, als dass er eine andere Nationalität annimmt – egal welche. Die Engländerin Frau Yang fühlt sich dagegen so von der chinesischen Erbfolgefrage innerhalb der Familie unter Druck gesetzt, dass sie ihr Kindermädchen bittet eine Leihmutter zu werden. Frau Yang kann keine Kinder mehr bekommen, nachdem ihr kleiner Sohn verstoben ist. Es ist aber überraschenderweise Frau Yang selbst, die obsessiv über die Erbfolge für die chinesische Familie nachdenkt.

Eine frühe Form der Emanzipation

Auffällig in den Geschichten ist auch, dass die europäischen Frauen selbstbestimmt handeln. Fast jede Geschichte beschreibt, wie sich die Frauen gegen den Willen der Familie für eine Ehe mit einem chinesischen Mann entscheiden. Die spätere „Prinzessin Yo Ting“, welche ihren chinesischen Mann während einer Diplomatenreise in Deutschland kennenlernt, weiß um dessen anderen Frauen in China. Ihr Mann soll aus der kaiserlichen Familie der Qing-Dynastie abstammen. Es ist nicht genau bekannt, wann die Geschichte sich zugetragen hat. Dafür aber, dass die Prinzessin den deutschen Außenminister wütend zurechtgewiesen haben soll, als dieser sich in ihre „privaten Angelegenheiten“ mischen wollte. Dabei hat der Minister nur versucht, sie über die polygame Natur ihrer zukünftigen Ehe zu warnen. Generell kann in den Geschichten beobachtet werden, wie die ausländischen Frauen vor allem innerhalb der Ehe und der Migration nach China die patriarchalischen Beziehungsstruktur zwischen Männern und Frauen im frühen 19. Jahrhundert auf verschiedenste Weisen in Frage stellen.

Das Buch Nos Sanges Mêlés bietet interessante Einblicke in das Leben von Ausländerinnen in China. Es ist etwas frustrierend, das interessante Details zum Leben der Ausländerinnen, bewusst oder unbewusst, ausgelassen werden. Es ist aber auch das einzige Buch, indem überhaupt westlich-chinesische Ehebeziehungen eine zentrale Rolle spielen. Als Vorlage für aktuelle Verfilmungen und Drama-Serien könnte unter dem Schlagwort „Vielfalt“ ein kulturelles Miteinander dargestellt werden, ohne dieses unrealistisch zu idealisieren.

 

Patricia Slawek

Zuletzt bearbeitet von: Stanley Setiawan
Letzte Änderung: 25.05.2021
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