Gervinus | Haus Felseck

Haus Felseck
Zeitgenössische SChilderungen

  • Das "Felseck" an der Chaussee (Adresse 1880: Neuenheimer Landstraße 48; heute Neuenheimer Landstraße 38); Neuenheim bei Heidelberg / Heidelberg-Neuenheim
  • 15.9.1622: hier war eine, das Neckartal sperrende, große Schanze, das Felseck genannt, die General Tillys Truppen bei dem Generalsturm der Kaiserlichen auf Heidelberg mit Leitern erstiegen.
  • 12.11.1839 Kauf der früheren "Wirthschaft zum Steinbruch" durch den berühmten Geschichtsschreiber und Literaturhistoriker Georg Friedrich [hier so] Gervinus zum Preis von 4.556 Gulden.
  • 1.6.1844 Nach Umbau des Hauses und Erwerb von Weinbergen für 17.600 Gulden verkauft Gervinus den Besitz an den Hofrat Professor Karl Theodor Welcker (vgl. ADB Bd. 41, S. 660-665; NDB Bd. 4, S. 304), 1848 Führer der Liberalen. (Zurück zu Gervinus, 1844). - Zu Welcker s. a. Daniel Schulz-Retzow: Kieler Rechtswissenschaftler - Zur Geschichte der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zwischen 1798 und 1945: Karl Theodor Welcker (1790-1869). Rechtshistorisches Seminar der Universität Kiel (SS 2001). - Sowohl Welcker als auch Gervinus gehörten dem Hallgartener Kreise an, der zwischen 1832 und 1847 auf dem Gut von Adam von Itzstein in Hallgarten zusammenkam und als Keimzelle der Frankfurter Nationalversammlung gilt. Unter den übrigen befanden sich Friedrich Daniel Bassermann, Robert Blum und August Heinrich Hoffmann von Fallersleben. - Weiteres über Welcker als Besitzer von Felseck
  • 29.4.1863 Professor Wilhelm Ihne (vgl. NDB Bd. 10, S. 128) und sein Sohn Ernst (vgl. NDB Bd. 10, S. 128 f.), kaiserlicher Hofrat, erwerben von Welcker "2 zweistöckig massiv erbaute Wohnhäuser mit Garthen und Weinbergen am Rothen Bühl, das Felseck, um 23.000 Gulden".
  • [1904-1905 Durch einen großen Umbau (Bauherr: Ernst v. Ihne) erhält das Haus seine heutige Gestalt (in der Werke-Datenbank der Internet-Präsentation Ernst v. Ihne, von Oliver Sander, die Leben und Werk des 1906 in den Adelsstand erhobenen Wirklichen Geheimen Oberhofbaurats, Dr. h.c. Ernst Eberhard von Ihne umfassend darstellt). - Ernst v. Ihne (geadelt 1906) war der Hofarchitekt des letzten Deutschen Kaisers Wilhelm II. und einer der erfolgreichsten Architekten seiner Zeit.
  • [Quelle zur Chronologie 1622-1863: Otto Jaeger: Die Flurnamen von Neuenheim, 765-1891; mit einem Beitr. von Horst Eichler, Naturausstattung und landschaftliche Gliederung der Neuenheimer Flur. Heidelberg 1988, S. 46, Nr. 220. - Die Angaben beruhen auf verschiedenen Bänden des Grundbuchs Neuenheim.]

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Zeitgenössische Schilderungen

Georg Weber: Heidelberger Erinnerungen. Am Vorabend der Fünften Säkularfeier der Universität. Stuttgart 1886 (S. 196 ff., 216-219, 221 f.)

 

"Als die alte Burschenschaft aufgelöst und mit Acht und Bann belegt war, hatten einige Mitglieder, die im stillen den Grundsätzen des Bundes treu blieben, auf der rechten Neckarseite nahe dem Dorfe Neuenheim sich ein verfallenes Wirtshaus zu ihren Zusammenkünften gemietet, neben welchem ein verlassener Steinbruch einen geeigneten Turnplatz darbot. Kein anderer Raum gewährte eine so reizende Aussicht auf Schloß, Berge und Fluß als die Fläche, die sich vor demselben über altem Mauerwerk ausdehnte. Schon während seiner Studienzeit hatte Gervinus großes Wohlgefallen an diesem Orte gefunden. Jetzt brachte er die Besitzung käuflich an sich, ließ das baufällige Haus niederreißen und entwarf mit seinem Frankfurter Freund Hessemer, einem kunstsinnigen Architekten, den Plan zu einer kleinen reizenden Villa, die sich auf der alten Turnstätte erhob und mit dem ihm eigenen edlen Geschmack eingerichtet ward. Das war ein schöner Sommerabend, als ein kleiner Kreis befreundeter Männer und Frauen den Einzug des jungen Ehepaares mit einem Picknick auf der Terrasse feierte. Zu den Teilnehmern, die sich zu einem regelmäßigen Samstagskränzchen vereinigt hatten, gehörten außer dem Schreiber dieser Zeilen und seiner Frau und Schwiegermutter Professor Karl Röder, ein Darmstädter Schulgenosse von Gervinus, und seine liebenswürdige, lebensheitere Frau, Graf Rantzau, der einige Jahre lang ein schönes Tusculum gegenüber der Neckarbrücke bewohnte, der Dichtkunst seine Muße widmend, und seine stattliche Gemahlin, eine blondgelockte norddeutsche Dame, deren Vorname Amalasunta an die edle Tochter des großen Gotenkönigs Theoderich erinnerte, Freiherr von Rutenberg aus Kurland, der sich in der Folge als Verfasser einer Geschichte der Ostseeprovinzen einen Namen gemacht hat, und Professor Jolly, der Physiker, mit seiner jungen Frau aus einer der angesehensten Altheidelberger Bürgerfamilien.

Gervinus hatte bei seiner Berufung nach Göttingen die fünfzehnjährige Viktoria Schelver, die er schon im Institut Dapping kennen gelernt und unterrichtet hatte, als seine Gattin heimgeführt. Sie war ein reizendes Geschöpf von hoher Begabung und kindlicher Naivität, die ihren Mann ihr ganzes Leben lang wie ein höheres Wesen verehrte und sich an ihn anchloß wie ein Moos um einen Eichenstamm. Jetzt zog er mit der jungen Frau, die noch immer den Eindruck einer Jungfrau machte, in die neue Villa. In guten Vermögensverhältnissen, umstrahlt von dem Ruhme und der Volksgunst, die den "Sieben Göttingern" in so reichem Maße gespendet wurden, gefeiert und ausgezeichnet von den einheimischen und fremden Gesinnungsgenossen und den Verehrern der deutschen Litteraturgeschichte, führte das Ehepaar ein glückliches Dasein, dem nichts fehlte als Kinder, die sich wie Weinranken um den Tisch gereiht hätten. Gervinus hat das Haus nur drei Jahre bewohnt. Seinem unruhigen, beweglichen Geiste, der stets der Abwechselung und neuer Eindrücke bedurfte, war der Gedanke, daß er gefesselt und in seiner freien Bewegung gehemmt sei, auf die Dauer unerträglich. Er verkaufte das Besitztum an Karl Th. Welcker, der nach seiner und Rottecks Suspendierung von seinem Freiburger Lehramt nach Heidelberg übergesiedelt war und viele Jahre lang mit seiner Familie die Villa bewohnte. Aber für Gervinus und seine Frau waren die Jahre im "Steibruch" die glücklichste Zeit. Wie oft wünschten sie sich dahin zurück, und als ob sie nicht lassen könnten von den "Überflüssigen", wie man in Heidelberg scherzend die Bewohner des rechten Neckarufers nennt, mieteten sie sich bald darauf in dem stattlichen Hause ein, das die befreundete Familie Fallenstein oberhalb der Brücke erbaut hatte [das Fallensteinsche Haus], und hielten dort aus, bis nach dem Tode des Hausherrn das Band sich löste. Dann erst kaufte Gervinus das Haus in den Anlagen, das noch jetzt die Witwe bewohnt und das durch eine Gedenktafel den späteren Geschlechtern verkündigt, daß hier einer der berühmtesten deutschen Schriftsteller seine letzten Lebensjahre verbracht hat.

Mit Welckers Einzug bekam das Haus im Steinbruch, dem der jetzige Besitzer, Professor Ihne, den romantischen Namen Felseck gegeben hat, einen anderen Charakter. Wohl waren beide als Kämpfer für Recht und Freiheit nach Heidelberg gekommen und hatten als Märtyrer ihrer Ueberzeugung Amt und Beruf eingebüßt; aber der Freiburger Professor war eine kühne, demagogische Natur und wurde von der Partei der Liberalen und Oppositionsmänner aller deutschen Lande als Haupt und Führer betrachtet. Gervinus war nicht zum Demagogen geschaffen; ihm fehlte die laute Stimme, die schlagfertige populäre Beredsamkeit, die Hingebung für das Volk, die Nachsicht mit dem Unverstand und den Leidenschaften der Menge. Wirtshaus und Tabaksdampf waren ihm zuwider. So verschieden Gervinus von seinem Lehrer Schlosser war, so hatte er doch manches mit dem selben gemein. Auch er mied das öffentliche Leben, wie es auf Straße und Markt oder in großen Versammlungen sich kundgibt; auch er war eine stolze, vornehme Erscheinung, der man das odi profanum vulgus et arceo auf der Stirn ansah; auch er konnte nicht leicht Widerspruch ertragen und verkehrte daher am liebsten mit gebildeten Frauen oder jüngeren Männern, die ihm Verehrung zollten. Während aber Schlosser in der gesellschaftlichen Unterhaltung fast allein das Wort führte, war Gervinus ein behaglicher Zuhörer[;] mit freundlichem, mitunter ironischem Lächeln, beobachtete er gern, wie eine Berliner Dame sich ausdrückte, ein "gemütliches Schweigen". Der Schreiber dieser Zeilen ging einst eine Strecke Wegs zwischen Neuenheim und Handschuhsheim neben ihm her, ohne daß ein Wort gesprochen ward. Da sagte endlich Gervinus: "Ja, ja, Weber, so geht's." Ein witziger Freund (Professor Pfeufer), der davon hörte, benutzte den Vorgang, um eine kleine theatralische Abendunterhaltung in seinem Hause mit der Ankündigung zu schließen: "Das nächste Mal wird aufgeführt 'die Beredsamkeit an der Bergstraße oder 'Ja, ja, Weber, so geht's'." Und während Schlosser über Musik dachte wie Percy Heißsporn bei Shakespeare, war Gervinus ein Nachfolger Thibauts in der Reinheit der Tonkunst und widmete sein Leben lang den Schöpfungen Händels Muße und Studium [vgl. Musik im Hause Gervinus]. Wie einst der große Jurist, hielt auch er jahrelang einen musikalischen Abend, wo Oratorien und andere Tonstücke des deutsch-englischen Meisters, den er "zurückzubürgern" sich zur Lebensaufgabe gesetzt hatte, zum Vortrag kamen. [...]

Seit dem Einzuge Welckers in den "Steinbruch" erhielt, wie schon früher erwähnt, die Villa Gervinus einen andern Typus. An die Stelle der feinen, ästhetisch-künstlerischen Ausgestaltung trat ein bürgerliches Hauswesen mit einer zahlreichen Familie, in dem bald andere Gäste ein und aus zogen. Zwar blieben die Besitzer selbst, dank der versöhnenden und vermittelnden Einwirkung von Frau und Tochter, stets in äußerem freundschaftlichen Verkehr miteinander; aber es fehlte die innere Sympathie, die Harmonie der Seelen. Wie Gervinus hatte auch Welcker in seinen Jugendjahren der Heidelberger Universität angehört und die Liebe für die Musenstadt am Neckar durch sein ganzes vielbewegtes Leben im Herzen getragen; wie Gervinus schied auch Welcker in Unzufriedenheit mit dem Gange der öffentlichen Dinge aus der Welt. Aber während Gervinus in den Jahren seines politischen Strebens seine Hoffnung auf Preußen gesetzt hatte, konnte Welcker nie einer gewissen Antipathie gegen die strammme Militärmonarchie des Nordens Herr wehren. Vielleicht daß diese Antipathie bei der Wahl seines Aufenthaltsortes mitwirkte, daß er nach seiner Amtsentsetzung nicht nach Bonn zog, wo er gleichfalls früher gelebt hatte und sein Bruder, der berühmte Philologe Fr. Gottl. Welcker, in Ehren und Ansehen stand, sondern die Zahl der Hessen vermehrte, die in alter und neuer Zeit Heidelberg mit Vorliebe zur Wohn- und Wirkungsstätte gewählt haben.

Als Welcker Anfang der vierziger Jahre das Besitztum auf dem rechten Neckarufer käuflich erwarb, stand er auf der Höhe seines Ruhmes. Er hatte jahrzehntelang in Schrift und Rede für den politischen Liberalismus, für den konstitutionellen Rechtsstaat, für Freiheit und Menschenrechte gekämpft; er war ein "alter Soldat der Freiheit", wie er sich einst selbst in einer Volksversammlung nannte, stets unter der Fahne des Fortschritts einhergezogen, um den Völkern die Güter zu erstreiten, die einer gebildeten, selbstbewußten Nation würdig seien, um die Handlungen der Willkür, der Ungerechtigkeit, der Gewalt abzuwehren, mochten sie sich im Gericht oder in der Verwaltung zeigen. Wie ein römischer Volkstribun war er als Hüter und Schirmer der Volksrechte gegen Tyrannei und Unterdrückung aufgetreten, hatte den Bürger und Bauer zu schützen gesucht gegen Adel und Beamtentum, gegen die Privilegierten der Staatsgesellschaft. Er war im Landtag wie in der Presse der Fahnenträger des Liberalismus, der laute Rufer in der kampferfüllten Zeit, der mit Rotteck und anderen Gesinnungsgenossen im "Freisinnigen", im "Staatslexikon", der liberalen Partei in Deutschland die Parole gegeben und die Strebziele gezeigt hatte, der in zahllosen Schriften und publizistischen Abhandlungen alle Erscheinungen des öffentlichen Lebens im Staats- und Gerichtswesen nach seiner Auffassung beleuchtet und beurteilt hatte. [...]

Die Früchte dieser Popularität gewahrte man sofort, wenn man in Welckers Arbeitszimmer trat, in welchem er auch die Nächte auf einem niedrigen Feldbett zuzubringen pflegte. Da sah man ein zierliches Gestell, beladen mit kunstvoll gearbeiteten Bürgerkronen und Kränzen aus den edelsten Metallen, die ihm bei verschiedenen Gelegenheiten von seinen Verehrern und Anhängern gespendet worden waren. Sie sollten einen Ersatz bieten für den Mangel an Orden und fürstlichen Auszeichnungen. Durch ihn erhielt der "Steinbruch" wieder einen ähnlichen Charakter wie zur Zeit der alten Burschenschaft. Wiederum sah man Leute ein- und ausgehen, welche die deutschen Regierungen als Gegner und Widersacher ihres Systems mit Mißtrauen und Argwohn betrachteten. Das hochgelegene Haus wurde die Herberge der Verfechter des Liberalismus, der sich noch nicht in eine Rechte und Linke geschieden hatte. Da verkehrten viele Gäste, die damals oder bald nachher als Volksführer gefeiert oder geschmäht wurden. Nicht bloß die liberalen Abgeordneten Badens, wie Hecker und Fickler, Matthy und Bassermann, besuchten den Veteranen der Partei auf seiner Hochwarte, aus ganz Deutschland fanden sich als Vorkämpfer oder Märtyrer der Freiheit ein.

Als Hoffmann von Fallersleben infolge seiner "Unpolitischen Lieder" seines Lehramtes an der Universität Breslau enthoben ward und als fahrender Ritter seine reckenhafte Gestalt bei den Gesinnungsgenossen in Süd- und Westdeutschland einlagerte, war er auch wochenlang der Gast Welckers und ergötzte die Abendgesellschaften durch Absingen seiner demagogischen Lieder. Da kam aus Nürnberg der Philosoph Ludwig Feuerbach [vgl.. Ludwig Feuerbach in Heidelberg], der auf dem Rathaus Vorträge über das Wesen des Christentums hielt; da kam aus Speyer Georg Fr. Kolb, der bis zu seinem im Frühjahr 1884 eingetretenen Tod mit starrer, unwandelbarer Konsequenz die Fahne des Demokratismus schwang; da kam aus Zürich Georg Herwegh als Dichter, als er seinen Triumphzug durch Deutschland hielt. In kleiner, geschlossener Gesellschaft hörte man ihn eines Abends ein noch ungedrucktes Gedicht vortragen, dessen Refrain lautete: "Die Fahne der Empörung trägt der Poet voran!" Den bundestägigen Regierungen war der demagogische Geist unheimlich und unbequem und sie arbeiteten ihm mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln entgegen. [...]

Es kann nicht unsere Aufgabe sein, die Vorgänge der Jahre 1848 und 1849 in Frankfurt und in den deutschen Bundesstaaten darzustellen. Sie gehören der allgemeinen Geschichte an [Linksammlung hierzu: Revolution 1848/49]. Auch für Welcker schlug die öffentliche Meinung um; der frühere Volksmann wurde nun als "Volksverräter" bezeichnet, weil er nicht in die revolutionären Bahnen Heckers und seiner Genossen einlenken wollte. Er wurde in den Straßen Heidelbergs verfolgt, sein Haus wurde beschädigt, sein Name gelästert. Wohl kehrte er wieder, als sich die Stürme gelegt hatten, in seine Villa zurück; aber die Tage des mutigen Strebens und Schaffens waren dahin. Vereinsamt lebte er mit seiner jüngsten Tochter noch einige Jahre auf der rechten Neckarseite. Dann verkaufte er das Haus und zog in die Stadt, wo er am 10. März 1869 starb, verbittert, wie Gervinus, über die Gestaltung der Dinge nach dem preußisch-österreichischen Kriege und aufs neue in Opposition gegen eine Staatsordnung, durch welche Oesterreich aus dem deutschen Staatskörper ausgeschieden und damit der Dualismus, der ärgste Feind der deutschen Nation, gebrochen ward. Seinem Wunsche gemäß wurde er in Neuenheim begraben, an der Seite seiner in den ersten Tagen der Uebersiedlung plötzlich am Schlagfluß verstorbenen Gattin, auf dem grünen, baumbepflanzten Platze, der sich idyllisch um die freundliche Dorfkirche herumzieht und schon längere Zeit nicht mehrals Begräbnisstätte gebraucht ward."

 

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Letzte Änderung: 28.09.2010