Gervinus | "Deutsche Zeitung"

Zur Charakteristik Heidelbergs I
Zur Charakteristik Heidelbergs II

Zur Charakteristik Heidelbergs I

Ein zeitgenössischer Bericht (Die Grenzboten. Zeitschrift für Politik und Literatur, redigirt von Gustav Freytag und Julian Schmidt. 8. Jahrgang, I. Semester. II. Band. Leipzig 1849, S. 117-123) gibt eine sehr persönlich gefärbte Darstellung der "Deutschen Zeitung" und ihrer führenden Mitarbeiter; insbesondere Gervinus und Häusser erfahren eingehende, positive Würdigung. Nachfolgend der erste Teil des Beitrags "Zur Charakteristik Heidelbergs" (gez. "X."):

Es ist eine eigenthümliche Erscheinung des deutschen Lebens, daß die kleinen Städte vermöge der innerhalb ihrer Mauern vereinigten Geisteskräfte einen bedeutenden Einfluß auf den Entwicklungsgang unserer Bildung ausgeübt haben. Berlin nennt sich zwar Metropole der Wissenschaft, allein wie es im vorigen Jarhhunderte Weimar, so dürfte es gegenwärtig Heidelberg um die Bedeutung zu beneiden haben, welche dieser kleine Ort durch seine während der Revolutionszeit gespielte Rolle für die Geschichte des Gesammtvaterlandes gewonnen hat. Daß der Grund dieser Erscheinung ursprünglich in dem mehr oder weniger zufälligen Aufenthalte einer oder einiger mächtiger Persönlichkeiten liegt, versteht sich von selbst; von vorneherein sollte man aber weit mehr berechtigt sein, anzunehmen, daß entweder eine solche Individualität viel zu hoch über die engere Ringmauer emporragte, viel zu sehr der Gesammtheit angehörte, um noch ihrer unmittelbaren Umgebung ein besonderes Gepräge aufzudrücken, oder eher in dem Zusammenstoße eines von allen Seiten hervorragenden geistigen wie materiellen Gebietes anzutreffen sei, wo zur Ausmeißelung ihres Selbst wie zum gestaltenden Eingreifen in die äußeren Verhältnisse die Gelegenheiten näher an sie herangerückt sind. Aber wie das Talent sich in der Stille bildet, so scheint gleichfalls wenigstens beim Deutschen der Charakter zu einer vollendeten Entfaltung der persönlichen Zurückgezogenheit zu bedürfen. Vielleicht auch, daß ihm jene mehr ländliche Existenz Noth thut, wie sie sich in einem kleinen schön gelegenen Orte von selbst ergibt, verbunden mit dem innigeren rückhaltloseren Austausch der verschiedenen Wesenheiten, welcher in seiner widrigsten Form mit Recht als Kleinstädterei verspottet wird, vom Geiste getragen aber zu einem alle Kräfte anregenden Ineinanderleben, zum genußreichsten Dasein führt. Der Deutsche muß nicht nur in seinem Hause die Familie, sondern auch um dasselbe als erweiterte Familie einen Kreis von Freunden haben, als feste Lebensburg, von welcher aus er erst auf die Heerstraße der Oeffentlichkeit zu treten wagt und in die er sich jeden Augenblick zurückzuziehen vermag, sobald er sich von den Mühseligkeiten da draußen ausruhen will.

Zu verkennen ist freilich keinen Augenblick, daß zu der politischen Rolle, welche Heidelberg während der zwei letzten Jahre gespielt hat, das constitutionelle Leben Badens die erste Grundlage bildet. In diesem äußersten Winkel Deutschlands hatte sich ein Rest politischer Freiheit erhalten und nur in dem Liberalismus eines Sonderstaates vermochte der Keim der deutschen Einheitsbewegung seine ersten nachhaltigen Wurzeln zu treiben. Das noch aus den dreißiger Jahren herstammende badische Preßgesetz war die concition sine qua non der "Deutschen Zeitung", ihre Entstehung aber und ihr ganz individueller Charakter ist allein aus dem glücklichen Zusammentreffen einiger eng befreundeter Männer herzuleiten. Den äußeren Thatsachen nach ist zwar dieses Blatt auf einer im Herbst 1846 stattfindenden Besprechung einer Anzahl Ständemitglieder aus den verschiedenen Ländern über die Lage des Gesammtvaterlandes, welcher sich verschiedene andere angesehene Publicisten anschlossen, zuerst "erdacht" worden, d. h. das Bedürfniß nach einem unabhängigen, in's Gewicht fallenden Organe stellte sich als zu dringend heraus, als daß man nicht auf seine Befriedigung hätte hinarbeiten müssen, und dem Anscheine nach fanden sich auch dazu eine hinreichende Menge geeigneter Kräfte. Allein während Gervinus ernstlich zur Verwirklichung des gefaßten Gedankens schritt, zeigte es sich nur zu bald, wie er in seinem ersten leitenden Artikel schreibt, "daß der wirklich tüchtigen activen Kräfte in Deutschland noch viel zu wenige sind, daß die vielen Passiven weder den Begriff noch die Neigung einer Parteistellung haben, daß die meisten auch der Gleichgesinnten und Fähigen sich wohl ein Blatt in ihrem Sinne gefallen lassen, aber Nichts dazu thun wollen." Obgleich es bei den immer drohender heranziehenden Gewitterwolken so dringend Noth that, sich zu einer festgeschlossenen Partei zu organisiren, obgleich es die höchst Zeit war, fortan "nicht mehr die Schicksale des Vaterlandes dem blinden Zufalle und der blinden Leidenschaft preiszugeben", fehlte doch so Mancherder beschlossenen That.

So wurde denn die "Deutsche Zeitung" recht eigentlich ein Heidelberger Kind. Mit wenigen Ausnahmen waren es Gervinus nächste Freunde aus seiner unmittelbarsten Umgebung, ein Vangerow, ein Herle [= Henle], ein Pfeuffer, welche durch ihre Geldmittel den Anfang des Unternehmens möglich machten. Da ihm dieser Freundeskreis das Blatt ohne alle weitere Bedingung übergab, konnte er demselben jenes individuelle Gepräge aufdrücken, jene unerschütterliche Consequenz erhalten, welche es nach kurzer Zeit seines Bestandes zum ersten Journal Deutschlands emporhob. Gervinus ist eine freie, edle Natur, ein harmonisch in sich vollendeter Mensch, wie es auf dieserStufe geistiger Ausbildung wohl schwerlich in Deutschland zum zweiten Male angetroffen wird. Er gehört zu den wenigen Sterblicchen, denen es der erste Blick ansieht, daß sie nie einer niederen Leidenschaft gefrönt haben und daß selbst die gewöhnlichen kleinen Genüsse - los vitios menores wie sie der feine Castilianer nennt - ihnen als nicht der Beachtung werth fremd geblieben sind. Man kann ein äußerst tüchtiges geistvolles Mitglied der menschlichen Gesellschaft sein und doch lieber besser als gut essen oder eine Upman, als eine Cumanacoa rauchen, man kann der beste Gatte, der liebenswürdigste Familienvater sein und dessenungeachtet "unter uns" hie und da in aller Breite ein Gespräch führen, dem weder Gattin noch Tochter beiwohnen dürfte; einen durchweg edlen Menschen legt aber ein unmittelbares Gefühl in uns, keine solche Liebhabereien bei. Gervinus mit einer Cigarre im Munde oer was ihmsein etwas materieller Arzt zur Erheiterung oft angerathen[haben] soll, mit Behagen hinter der Flasche, würde aufhören, Gervinus zu sein. Jene Lebensjungfräulichkeit, wie sie dem Weibe nicht selten eigen ist, welche selbst ohne mit höheren Eigenschaften gepaart zu sein, schon an und für sich jeder fremden Rohheit Achtung einflößt, verschmilzt bei ihm mit der Fülle des männlichen Geistes und dem sittlichen Ernste des Willens zu einer Erscheinung, an welcher seine in der Wissenschaft kaum weniger berühmten Freunde in Verehrung hinaufsehen und vor der selbst die specifisch Heidelbergische unübertreffliche geistvolle Frivolität der Unterhaltung verstummt. Seine äußere Gestelt entspricht dabei seiner Wesenheit vollständig. Gervinus ist groß, wohlgebaut, aber mit einer etwas weichen, schüchternen Haltung, sein Schritt tritt nicht fest den Boden, es liegt kein besonderes Mark in diesem Körper; imponirend an ihm ist nur der in schönen Formen fein ausgemeißelte Kopf, aus dessen Physiognomie sogleich die ganze Mannigfaltigkeit des hinter ihm wohnenden Gedankenreichthums heraustritt, wenn schon man in demselben vergebens nach einem hervorstehenden Charakterzug späht. Die Wucht der Stirn drückt zwar um die Mundwinkel ein leichtes Lächeln; dasselbe deutet aber weder auf Spott noch auf verbitterte Schärfe. Innere Kämpfe, wilde Gedankenschlachten sind nicht über das Gesicht hingezogen, seine Harmonie scheint angeboren, nicht errungen, wie überhaupt von Künstlichen, Gemachten, oder gar Ostentativen bei ihm keine Rede ist. Vielmehr will es dem unbekannten Beobachter zuweilen bedünken, als sähe Gervinus dem Leben nur zu, als lebe er selbst nicht mit, so abgeschlossen und fremd steht er dem gewöhnlichen Treiben derandern Menschen gegenüber. Wenn ihn die Umstände nicht zum Sprechen zwingen, so läßt er gewiß auch kein Wort fallen. Dieses Ansichhalten ist aber in keiner Weise mit Camphausens abstoßendem Zugeknöpftsein oder der lauernden, jede Blöße verdeckenden Glätte des Herrn von Rdowitz zu vergleichen; es entspringt aus einem feinen ästhetischen Wesen, das, um nicht von Außen verletzt zu werden, sich lieberselbst zurückzieht, als mit einer irritabilen Kraft den Andringling abweist.

Daß eine solche Natur, im steten Kampfe mit einem nevösen, fast schwindsüchtigen Körper, nicht zu einer gewaltigen That geschaffen ist, versteht sich von selbst. Parteiführer im eigentlichsten Sinne des Wortes auf der Tribüne, wie auf der Gasse, wenn auch nur nach Art englischer Staatsmänner, zu sein, muß ihr schon an und für sich unmöglich fallen, abgesehen davon, daß Gervinus auch während seiner Docentenlaufbahn kaum das kleinst Auditorium zu beherrschen im Stande war. Die Stube ist allein ihr Reich, allein die Feder ihre Waffe; in einem Parlamente mußte sie verstummen. Aber trotzdem, daß Rosenkranz Gervinus neben Schlosser, "dem Superlativ der Belesenheit," den meisten belesenen Gelehrten Deutschlands nennt, hat er von dem specifisch deutschen Professorenwesen keinen Pulsschlag in sich. Der Mann, der die Geschichte der gesammten deutschen Literatur geschrieben, hat in seinem einfachen, nur durch den bekannten wunderschönen Blick in das Neckarthal ausgezeichneten Zimmer [im Fallensteinschen Hause] keinen Bücherschrank, ja im eigentlichen Sinne des Wortes kein Buch, geschweige einen Folianten um sich her, jener "Apparat" ist bei ihm nirgends zu entdecken. In solchen großen luftigen Rümen kann keine staubige "Schreiberseele" wohnen, von welcher der berühmte Rheincorrespondent der Frankfurter "Deutschen Zeitung" spricht; kehrt auch Deutschlands alte staubige Zeit zurück, und wühlen unsere Gelehrten wieder mit Wollust in Sanscrit und Keilschrift umher - hier kehrt keine Schreiberseele ein.

Ob jedoch Gervinus, nachdem seine Pläne für Deutschlands Neugestaltung gescheitert sind, festhalten wird an der deutschen Sache, ist eine Frage, die sich nicht so schnell mit ja! beantworten läßt. Seine jetzige politische Periode ist wie seine literaturhistorische, ein Stufengang seiner eigenen inneren Vollendung. Auf seinem Wege zum Ziele, dem hamonischen höchsten Ausbau seines Selbst, mußte er, nachdem er die critische ästhetische Zeit des deutschen Bildungsganges in sich mit seinem großen Werke beantwortet hatte, auch seinerseits auf die Staatsfragen hingewiesen werden, sobald sich die Ansätze zu einer besseren Gestaltung unseres öffentlichen Lebens nachhaltig wieder zu zeigen begannen. Sein unmittelbares Eingreifen in dieselben ist nichts als ein Act der Reflexion, daß der Mann seinem Vaterlande nicht fehlen dürfe, selbstbewußt ausgesprochen in dem Programme der "Deutschen Zeitung". Persönlichen staatsmännischen Ehrgeiz darf man nicht dahinter suchen; pro virili parte wollte er wirken; in der richtigen Abschätzung seiner Kräfte würde er abereben so gewiß ein Reichsportefeuille abgelehnt haben, wie er sich weigerte, Gagerns Nachfolger in Darmstadt zu werden. Ob Gervinus fortan sich noch die Mühe geben wird, am Stein des Sisyphus zu wälzen.....der oben erwähnte Rheicorresondent, - sein jetziges Journalistenzeichen - meinte zwar vorigen Winter einmal, daß dem Anscheine nach nur eine Republik die Hindernisse einer deutschen Einheit beseitigen könne; aber Gervinus als praktischer Republikaner, Wühler von Profession auf Volksversammlungen und Wahlbesprechungen! Das so eben in ziemlich unausgefüllten Kontouren umrissene Charakterbild von Gervinus ist zum innern Verständniß der zwei ersten Jahrgänge der "Deutschen Zeitung" durchaus nöthig. Ob dasselbe überall ähnlich ist, kann nur von den nächsten Freunden des Betheiligten entschieden werden; dem ferner Stehenden ist nach und nach dieser Eindruck aus einem leidenschaftlichen Hasse erwachsen, den zuerst die hohe, vornehm ruhige abgeschlossene Natur in ihm hervorgerufen hatte.

Aber noch eine zweite Persönlichkeit muß hier berührt werden, welche in jenes Blatt auch einen Theil ihrer Wesenheit abgelagert hat. Während Höfken, Mathy und hie und da auch Mittermayer an der Zeitung gleich jedem andern Correspondenten arbeiteten, erhielt sie nämlich durch Häusser eine zweite scharf ausgeprägte Richtung, gleichsam die Ergänzung der Gervinus'schen Individualität, das Irritabile wenn man es recht verstehen will, die Polemik. Häusser ist in vieler Beziehung das gerade Gegentheil seines älteren Freundes. Hat dieser den particularistischen Stammtypus bis auf das weiche hessische K. in der Aussprache gänzlich abgestreift, so ist an Häusser jeder Zoll "Pfälzer"; er lebt nach Außen," wie Gervinus nach Innen, "doch sein Aeußeres", um den Heinischen Vers fortzusetzen, "ist entzückend, ist bezaubernd." Was Geist, unerschöpflicher Witz, Lebenslust dem Umgange an Reiz nur irgend zu bieten vermag, findet sich in ihm vereint; es ist das die leichte Decke einer in bewunderungswürdigem Gedächtniß gründenden Tiefe historischer Bildung und politischer Anschauung, aber zugleich das Erkennungszeichen, daß ein solches Naturell zum aus sich hinaus Gehen, zur That hingewiesen ist. Häusser ist bei einem großen orgaanisatorischen Talente, einer beneidenswerthen Arbeitskraft und Schnelle zum parlamentarischen Leben wie geschaffen; dabei besitzt er nicht die weichliche Sensibilität von Gervinus und wird son in seinem noch reich vor ihm liegenden Leben weit mehr unmittelbar Wirkungen hervorbringen, als jener; wenn er auch vielleicht nicht die ruhige Höhe der Innerlichkeit erreicht. Denn sein Element ist der Kampf, Körper und Geist sind bei ihm dazu gerüstet. Verkennen läßt sich jedoch keineswegs, daß der nahe tägliche Verkehr mit Gervinus Häusser's rasches leidenschaftlicheres Wesen eher, als es sich vielleicht sonst im selbstständigen Entwickelungsgange in die für das staatsmännische Gleichgewicht nothwendigen Schranken geleitet hätte, von der Negation zur Position übergeführt, die schöpferische Seite in ihn geweckt hat. Seine Stellung an der "Deutschen Zeitung" ist für ihn eine Abklärungsperiode seiner historischen Anschauungen gewesen, dem seine jetzige Mitgliedschaft der zweiten badischen Kammer als treffliche practische Schule nachfolgt. Zu seinem vielseitigen Talente und Wissen wird sich die Erfahrung der täglichen Wirklichkeit gesellen, und Deutschland an ihm in seiner Reife einen ganzen Mann finden. Wie hoch eine solche Persönlichkeit für ein Blatt zu schätzen sein mußte, das mit allen nur möglichen Hindernissen bis zu den jämmerlichen technischen Schwierigkeiten hinunter zu kämpfen hatte, bedarf keiner weiteren Auseinandersetzung. Jene feine schneidende Malice der "Deutschen Zeitung", ihr scharfer Blick für unangenehme persönliche Blößen aus der Gegenwart und Vergangenheit, ihre stete Schlagfertigkeit ist Häusser's Werk. Blittersdorf und Radowitz haben mit so vielen Andern für die richtige Würdigung ihres moralischen Werthes sich bei ihm zu bedanken.

Es kann hier nicht in unserer Absicht liegen, wenn auch nur oberflächlich eine Geschichte der "Deutschen Zeitung" während ihrer Heidelberger Periode zu geben. Ihre Redactionsgeheimnisse sind niemals laut geworden und ihre äußere Politik ist Jedermann bekannt, der sich die Mühe gegeben hat, sie zu lesen. Nur auf ihre unterschiedlichen Eigenschaften in der deutschen Journalistik und auf ihr Verhältniß zur Kaiserfrage soll ein kurzer Blick geworfen werden.

Die "Deutsche Zeitung" war durch und durch ein staatsmännisches Blatt. Es lag ihr Nichts daran, eine Neuigkeit ein paar Stunden oder einen Tag ihrem Publicum eher, aber Alles, sie im rechten Lichte zu bringen. Die Grenzboten haben einst in einer leider nicht fortgestzten Rundschau des deutschen Zeitungswesen von ihr gesagt, daß die von ihr gegebenen Thatsachen nur gleichsam die Musterstücke der im leitenden Artikel enthaltenen politischen Regeln gewesen seien. Der Gedanke ist sehr glücklich ausgedrückt. Ein zufällig im Texte stehen gebliebener principieller Widerspruch, über den "the general reader" seifenglatt hinwegschlüpfte, verursachte der Redaction peinliche Gefühle, ein Correspondent, der desavouirt werden mußte, galt ihr für eine Blöße. Sie hat daher auch mit jenem gewöhnlichen Correspondentenschwarm nie etwas zu thun gehabt. Die aristokratische "Hofrathszeitung" wollte Nichts mit den Schreibern von Profession zu schaffen haben, welche sich mit derselben Geläufigkeit über jedweden Gegenstand verbreiten, weil sie von keinem etwas Ordentliches wissen, die mit derselben Leichtigkeit von der Beurtheilung literarischer und ästhetischer Leistungen zur Beantwortung der schwierigsten Fragen auswärtiger Dynasten- wie Handelspolitik übergehen, und von denen nicht Wenige jeglicher staatsmännischer Bildung baar im Frankfurter Parlament - Alles durch die bloße Geschwindigkeit - den kläglichen Ausgang der deutschen Widergeburt verschuldet haben. Daher der in andern Blättern sich Luft machende Neid abgewiesener Tagesschwätzer, die Rache der vom Liberalismus lebenden Federn; denn unsere gewöhnliche Presse wird von einer Sorte Menschen versehen, daß man den Diplomaten ihre gewöhnlkiche Verachtung derselben nicht verargen kann. -

Allein dieser große Vortheil, welcher der "Deutschen Zeitung" durch ihre fast nur in den höheren politischen Kreisen sich bewegenden Mitarbeiter erwuchs, schloß auf der andern Seite eine nicht unbedeutende Gefahr in sich, an welcher sie denn zum Theil, d. h. in ihrer Heidelberger Gestalt zu Grunde gegangen ist. Ihr Anhang war nämlich noch nicht scharf genug gesichtet gewesen, oder was vielleicht eben so richtig sein dürfte, der Deutsche ist nicht fähig, eine Sache, einem Plane des Verstandes gegenüber seine Individualität, sein Gefühl unterzuordnen. Daher, als nach den Märztagen die Partei der "Deutschen Zeitung" recht eigentlich zur Herrschaft kam, als, wie man hört, nicht weniger denn zehn von ihren bisherigen Correspondenten deutsche Minister, beziehungsweise Reichsminister geworden waren, zersplitterte sie theils, theils brachte sie in ihren einzelnen Gliedern dies Blatt in eine gänzlich schiefe Stellung zu der Revolution. Man hat nich mit Unrecht den süddeutschen Constitutionellen den Vorwurf gemacht, daß sie, aus Furcht vor den demoralisirten Republikanern ihrer Staaten, der Reaction viel zu früh Vorschub geleistet, viel zu wenig die sittliche Kraft des demokratischen Nordens gekannt hätten. Die "Deutsche Zeitung" trägt einen nicht geringen Theil dieser Schuld, aber weniger in ihrer Redaction, als in einzelnen ihrer selbstsüchtigen Correspondenten. Gervinus ästhetischer Natur war zwar auch das wahnsinnige Treiben der Rothen in der tiefsten Seele zuwider, aber sein Charakter war nach der Revolution derselbe geblieben. Er stieß nur deswegen jenen politischen Cancan mit dem Fuße von sich, weil in demselben eben so gar kein Ansatzpunkt für seine großartigen Pläne lag, ohne zu bedenken, und darin liegt sein staatsmännischer Fehler, daß eine solche Kraft benutzt werden mußte. Er desavouirte die Revolution, die Barrikadenkämpfe, weil sie so gar nicht in sein Bild von einem großen in sich geschlossenen, nach Außen mächtigen Deutschland hineinpaßten, und doch hätte er nicht übersehen dürfen, daß bis zu dessen Verwirklichung noch viele Gassen gründlich gereinigt werden mußten, wenn nicht alsbald wieder der alte Schmutz sie verstopfen sollte. Die "Deutsche Zeitung" war nicht nur zu nobel, um selbst noch zu fegen, nachdem der erste Koth weggeräumt war, sondern auch, um überhaupt das schmutzige Handwerk von Andern betreiben zu lassen und sie traute zu viel ohne allen Grund plötzlich den - Fürsten. Daß eine derartige Disposition derselben von den Diplomaten schlau benutzt wurde, ließ sich erwarten. Der ganze alte Klunker der frühern Zeit hing sich ihr nach und nach an die Ferse, suchte sich mit dem Handschuh ihres guten Namens die Kastanien aus dme Feuer zu holen, und als sie diesen Pöbel mit der Aristokratie der Ehrlichkeit abschüttelte, als Gervinus der Frankfurter Rechten eine bittere Wahrheit über die andere sagte - fiel sie ein Opfer der Intrigue. Ohne Wissen und Willen ihres Redacteur en chef, der sich in Italien befand, verkaufte der Buchhändler Friedrich Bassermann, ihr eben nicht sehr betriebsamer Verleger, aus Rücksicht für "die leidenden Actionäre," die sich nie beschwert hatten, das Blatt an die Weidmann'sche Buchhandlung. Ja, der Unterstaatssecretär vergaß sich so weit, an Gervinus zu schreiben, "daß es ihn reue, jemals einen Kreuzer an die "Deutsche Zeitung" gesetzt zu haben."

Zur Charakteristik Heidelbergs II

Der zweite Teil des Beitrags, schwerpunktmäßig der Stellung der "Deutschen Zeitung" zur "Kaiseridee" und wirtschaftspolitischen Fragen gewidmet, wird nachfolgend leicht gekürzt wiedergegeben.
Zur Charakteristik Heidelbergs. II (Die Grenzboten. Zeitschrift für Politik und Literatur, 8. Jahrgang, I. Semester. II. Band. Leipzig 1849, S. 223-228).

Dem Ursprung der deutschen Kaiseridee etwas näher nachzuspüren, dürfte, selbst auf die Gefahr hin. oft Gesagtes dabei noch einmal wiederholen zu müsen, doch wohl in der Gegenwart von so vielem Interesse sein, daß der Leser es übersehen wird, wie dafaür der Titel des Aufsatzes nicht so ganz paßt - obschon in Heidelberg das Brautbett stand, in welchem dieses schwergeborne Kind in ehrlicher, selbstsuchtsloser Liebe zum Vaterland gezeugt ward. Wir möchten gern fürden kommenden Geschichtsschreiber unserer Tage einigeNotizen, Andeutungen und Anschauungen festhalten, welche bei den leise eingedrückten, nur von Wenigen bemerkten Figuren, um die sie sich drehen, fast wohl bald von dem Strom der neueindringenden Begebenheiten zugleich mit jenen verwaschen werden. Denn eben so populär wie heute die preußische Kaiserkrone überall ist, eben so jung ist auch diese Popularität; für die Menge ist sie seit vorigen Herbst allmächtig, eine durch die Wucht der Thatsachen trotz allen Widerstrebens herangerückte Nothwendigkeit geworden; nur Einzelne dürfen sich dieselbe als eine ursprüngliche staatsmännische Idee aneignen; und selbst unter diesen Einzelnen sind es wiederum nur Wenige, welche ihr mit unerschütterlichem Muthe durch alle Wetter des Revolutionsjahres bis zu ihrer Verwirklichung durch das Parlament unausgesetzt angehangen haben. Selbst für Dahlmann war die Frage nach der endgiltigen Form der deutschen Reichsverfassung noch sehr lange eine offene. Selbst im Anfange October, als er bei der Uebersiedlung der "deutschen Zeitung" nach Frankfurt von dem jungen interimistischen Redacteur über die Abfassung des neuen Programms zu Rathe gezogen wurde, strich er noch einen Satz in dem ihm vorgelegten Entwurfe, welcher mit klaren Worten, getreu der Vergangenheit des Blattes, die alte Fahne auch am neuen Orte aufsteckte, mit der Bemerkung: "das kann man jetzt noch gar nicht wissen." Das Hansemann'sch Direktorium hatte damals unter den in Betracht kommenden Mitgliedern des Parlamentes noch viele Chancen für sich.- Herr von Usedom sagte in seinen kürzlich erschienenen "politischen Briefen und Charakteristiken der Gegenwart", die heutige deutsche Bewegung sei nichts als eine Intrigue einiger Süddeutschen, welche ihre kleinen Länder ein zu unansehnliches Piedestal gewesen wären, als daß sie nicht hätten wünschen sollen, dasselbe gegen ein mehr umfassendes Reich einzutauschen; in den größeren Staaten, d. h. in Preußen, spüre man daher auch nichts von jenem Zuge (Anm. d. Red.: Ist nicht ganz so schlimm.). Der ehemalige Berliner Gesandte in Rom ist um die Naivetät zu beneiden, mit welcher er sich dieses Armuthszeugniß ausstellt. Von einem Manne, der doch über die Scholle seines Junkerhofes hinausgehen, der an den verschiedensten Orten der Erde das Weltmeer erblickt hat, und sich als Mitglied einer auswärtigen Diplomatie wenigstens eine Ahnung von dem hätte verschaffen sollen, was man die äußere politische Stellung einer Nation nennt, um von ihrer ökonomischen ganz zu schweigen, muß eine solche Aeußerung mehr wie auffallen. [...] Aber ein solcher Mensch ist glücklich; er fühlt nichts von dem brennenden Schmerze in der Brust, der auflodert, wenn das Auge täglich mit ansehen muß, wie es sich im Vaterlande statt um Baumwolle zur Lösung der sogenannten socialen Frage nur um russische Hermelinfelle handelt. Denn sein Blick ist für dergleichen "Kaufmannsangelegenheiten" zu vornehm blind; Handelsconsuln zu sein, wie Talleyrand sagte, davon sind unsere Diplomaten noch himmelweit entfernt, sie wissen noch nichts von ökonomischer Politik, sie kennen nur Könige, Prinzen und Prinzessinnen. -

[...] Daß die Menschheit vonJäger- zum Nomadenleben und von da zum Gründen fester Wohnsitze, zum Landbau fortschreitet, ist eine allbekannte Sache; daß aber nach dem Landbau der Manufacturzustand kommt, der über die Grenzen des Staates hinaus die Existenz einer Nation mit in das kosmische Güterleben verwebt, dasselbe jedoch nur dann in sich einen festen Halt trägt, wenn in der Concntration seiner heimischen Kräfte ein einheitlicher Wille lebt, davon scheint Herr von Usedom eben so viel zu verstehen, als Her Thadden Trieglaff oder Herr von Bismarck-Schönhausen.

Das ist der Standpunkt, von welchem aus Gervinus in der "Deutschen Zeitung" seine Linien durch den anscheinend so verworrenen Knäuel unserer Geschichte gezogen hat; er wollte durch die Erhebung des Königs von Preußen zum deutschen Kaiser nicht nur das feudale Königttum zum Bürgerkönigthum umwandeln, sondern auch mit demselben Wurfe jene ökonomische Einheit herstellen, ohne deren Grundlage alle übrigen Vereinigungen nur Phrasen bleiben. Schon lange vor den Märztagen des vorigen Jahres lag in diesem Puncte sein Ziel; darum sein scharfer Kampf gegen den "vereinigten Landtag," sobald sich in demselben nicht mehr entwickelte als eine romantische Rococofeudalität, darum sein unermüdliches Ringen für die preußische Hegemonie. Daß Friedrich Wilhelm es gegenwärtig vorzieht, der König eines Bauernadels zu sein, statt über eine mit ihren einzelnen Bestandtheilen harmonisch ineinander greifende Nation zu herrschen, ist ein Geschick Deutschlands, nicht ein Fehler in Gervinus Combination. Er wollte den ökonomischen Zustand fixiren und befriedigen und dadurch den über demselben entstandenen Kampf der Menschen rasch beendigen, welcher auch in seinen Nachschwingungen bald auf gehört haben würde, wenn ihm das ursprüngliche Movens entzogen war; das Auge der Nation sollte dann nach Außen hin beschäftigt werden, denn sein letztes politische Ziel, vor welchem alle anderen Stufen dahin zum Mittel werden, ist, Deutschland, als der geographische Mittelpunkt Europa's auch zum ökonomisch politischen Schwerpunkt dieses Erdtheils emporzuheben; und er muß auf dem Wege dahin, wenn er seine Hebel überschaut, eben so nothgedrungen zu einem Zollkriege des Continents gegen England kommen, wie im Anfange unseres Jahrhunderts der Herzog von Gaeta. Der offen ausgesprochene Plan, das Parlament an die Nordküste zu verlegen, um so den politischen und ökonomischen Angelpunkt auch physisch in einander fallen zu lassen, die Nation auf solche Weise durch ihren steten Blick auf die See auch in ihrem Bewußtsein auf die Höhe zu erheben, wo man über den Dorfkirchthurm hinaus von seinem Vaterlande aus auf den gesammten Globus schaut, und von allen Theilen desselben die Linien auf sich zurückzieht, läßt sein politische Glaubensbekenntnis nicht verkennen. Nur hat er sich in der Verfolgung desselben überstüürzt; er bedachte nicht, daß man die immobilis massa nur langsam nachzuziehen vermag; was in ihm klar und bestimmt ausgedacht lag, sollte auch sogleich von der Nation begriffen sein; in der Ausfsührung seiner Gedanken war er für einen Staatsmann viel zu hastig zu - nervös, weil er trotzdem die Revolution nicht zum vollkommenen Ausbruch gedeihen lassen wollte. Und in diesem Sinne gehört er zu den Girondisten unserer Zeit! Er stumpfte zu früh seine Waffe ab, an der unempfindlichen Menge, welche, wenn er sie erst durch den Zug der Zustände hätte für seine Idee empfänglich und reif werden lassen, das Rettende in derselben weit mehr gefühlt haben würde, und, wie gesagt, er traute dabei zu viel dem gesunden, ehrlichen Sinn der - Fürsten!

Schlosser hat im Laufe des Sommers einmal geäußert: "Gervinus geht jetzt viel zu viel mit den Diplomaten um und wird in seiner Ehrlichkeit gewiß von Ihnen betrogen. Denn um den Leuten die Stange zu halten, muß man gerade so niederträchtig sein, wie sie." Und so war es auch. Seinen Plänen zuliebe vergaß er, daß das dieselben Preußen waren, denen er noch vor dem März als rother Republikaner erschienen; dieselben, die sein Blatt noch im Februar hatten von Bundestagswegen unterdrückne wollen. Die "Deutsche Zeitung" war einige Male nahe daran, im besten Glauben, die Rolle der Oberpostamtszeitung zu spielen, wenn freilich Herr von Blittersddorf auch vergebens um Einlaß bei ihr bettelte, um seine Bundestagspolitik rein zu waschen.

Die obige Episode wird in der folgenden Entwickelung dem Leser zu Gute kommen. Wir haben sie nicht etwa deswegen eingeschaltet, um den albernen Verdacht zu entkräften, der während des Sommers hie und da in der Presse auftauchte, als sei die "Deutsche Zeitung" von Preußen aus bestochen worden; sondern einmal um Gervinus gegen den ihm oft gemachten Vorwurf des Doctrinärismus zu vertheidigen, und andererseits seine gesammte Anschauungsweise festzustellen, in welcher er kürzlich an die Heidelberger Universität kritisch herangetreten ist. Von diesem nationalen Boden aus beurtheilt er, wie es uns wenigstens scheint, Menschen und Zustände. Wir Deutschen sind jedoch gar zu sehr Familienhocker, um uns über dieselbe hinaus auf einen solchen allgemeinen Standpunkt zu stellen. Weil bisher unser Blick auf das Haus beschränkt war, rücken wir nun auch in einer großen Zeit das Haus mit Allem, was darin hängt in die Politik hinein, und bilden uns ein, wenn Jemand ein guter Hausvater sei, so müsse er auch nothgedrungen in der Politik ein achtbarer Mensch sein. Die Weiber mit ihrem "Herzen" machen bei uns zu viel mit in Politik; sie können es nicht begreifen, daß man zum Wohle des Vaterlands im sittlichsten, edelsten Willen oft ein hartes, schneidendes Verdammungsurtheil aussprechen muß. Sobald ja etwas aus Deutschland werden soll, kann man das häusliche Pantoffelregiment nicht grob genug aus der Politik hinauswerfen. Wir werden in diesem Sinne in der Fortsetzung an die "berüchtigten" Artikel der "Deutschen Zeitung" über die Heidelberger Universitätszustände hervortreten. Uns kümmert nicht der Mann in seinen häuslichen Beziehungen, uns kümmert nur der Mann auf dem öffentlichen Gebiete; hier allein haben wir das Recht, ihn zu beurtheilen.

 

Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 27.09.2010