Auf der Suche nach Meistern

Ein kunsthistorisches Methodenproblem am Beispiel der Frühen Niederländer (7.-9. Mai 2004)
Leitung: Prof. Dr. Lieselotte E. Saurma, Dr. Dominique Vanwijnsberghe

 

Symposionsbericht

Um auch die Geschichte der Kunst entfernterer und schlechter dokumentierter Jahrhunderte schreiben zu können, bedient sich die Kunstwissenschaft erfundener oder zufällig überlieferter Namen, etwa für Künstler, die nur in den Schriftquellen genannt werden oder denen man eines oder mehrere Werke zuschreiben zu können glaubt. Als berühmtes Beispiel wäre Jan van Eyck zu nennen. Es lassen sich aber auch Gruppen von Werken bilden, deren Schöpfer dann ein "Notname" verliehen werden muß. So wurde etwa eine jüngst zusammengestellte Gruppe Brügger Malereien einem "Meister der pausbäckigen Madonnen" zugewiesen.

Das besondere Interesse an namhaftigen Akteuren, insbesondere eben an solchen mit einem 'großen' Namen oder Meisternamen, begleitet die Kunstgeschichtsschreibung seit ihren Anfängen und prägt sie noch heute. Dies kann natürlich schon mit dem Ansehen von Künstlern zu ihren Lebzeiten zusammenhängen, aber auch der im 18. und 19. Jahrhundert so beliebte Geniekult spielt hier eine große Rolle. Heute sind es vor allem die Vermarktung von Kunst und der Kulturtourismus, die das vereinfachende Wissen einer Kunstgeschichte der großen Namen zu schätzen wissen.

Allerdings scheint die spektakuläre Wiederentdeckung eines Michelangelo oder Van Gogh derzeit kaum mehr denkbar, und auch die liebgewonnene Vorstellung von Kreativität hat stark gelitten unter dem Eindruck sowohl der neueren Kunsttheorie wie auch künstlerischer Selbstinterpretationen. Fragt sich nur, wieso damit nicht auch die Namensgebung als ordnendes Prinzip der Kunstgeschichtsschreibung entwertet wurde? Händescheidungen und Zuschreibungsfragen sind nach wie vor zentrale Themen der Kunstgeschichte, wobei sich das Interesse an Meistern zunehmend von den 'großen' auf die 'kleinen' und anonymen verlagert hat.

Zur wissenschaftlichen Debatte bietet sich also die Entwicklung des Meisterbegriffs an, sein Ort in der älteren und neueren kunsthistorischen Forschung, die Voraussetzungen, auf denen die Praxis einer Meister-Kunstgeschichte basiert, und das - bewußt oder unbewußt - eingesetzte methodische Rüstzeug all derer, die eine solche Kunstgeschichte betreiben. Dieser Aufgabe stellte sich vom 7. bis 9. Mai dieses Jahres das Symposion Auf der Suche nach Meistern, das vom Lehrstuhl für mittelalterliche Kunstgeschichte in Verbindung mit dem Internationalen Wissenschaftsforum veranstaltet und von der Gerda Henkel Stiftung und der Stiftung Universität Heidelberg großzügig unterstützt wurde.

Welker

Eröffnung des Symposions durch Prof. Dr. Dr. Michael Welker, Direktor des Internationalen Wissenschaftsforums

Saurma

Begrüßung der Teilnehmer und Gäste durch Prof. Dr. Lieselotte E. Saurma, Kunsthistorisches Institut

Um die Diskussion anzuregen und zugleich zu strukturieren, sollte im Zentrum ein Gebiet der Kunstgeschichte stehen, das durch zahlreiche Studien unterschiedlicher methodischer Ausrichtung gut erschlossen ist. Hier bot sich die Kunst in den Niederlanden des 15. Jahrhunderts als ideales Untersuchungsfeld an, kommt doch mit der ars nova eine neue, realistische Kunst auf, die mit den überkommenen Traditionen der Gotik bricht. Der Ursprung dieser sich in wenigen Jahren in einem eng begrenzten Territorium ausbreitenden Erneuerung wird gemeinhin mit der Tätigkeit zweier 'Meister' verbunden, mit Jan Van Eyck und Robert Campin, alias Meister von Flémalle.

Zu dem drei Tage währenden Erfahrungsaustausch fanden sich Experten aus Europa und Amerika zusammen, die auf ihren jeweiligen Arbeitsgebieten mit unterschiedlichen Anforderungen konfrontiert sind und mit entsprechend mannigfaltigen methodischen Ansätzen arbeiten: Kunsthistoriker, Bildwissenschaftler, Denkmalschützer und Restauratoren, Konservatoren musealer Sammlungen, Literaturwissenschaftler und Historiker. Dank dieser Verschiedenheit ergab sich rasch ein sehr lebhafter interdisziplinärer Dialog, der den Blick öffnete für den Wandel des Meisterbegriffs und seinen Stellenwert in der aktuellen kunsthistorischen Forschung.

Buri

Prof. Philippe Lorentz (Straßburg) und Dr. Anna Rapp Buri (Basel)

Serck

Myriam Serck-Dewaide, Direktorin des Institut Royal du Patrimoine Artistique (Brüssel)

Schudel

Prof. Anna Bergmans (Gent) und Dr. Walter Schudel (Brüssel), vertieft in Fragen der niederländischen Wandmalerei, so daß keine Kamera zu stören vermag




Kemperdick

Dr. Stephan Kemperdick (Berlin) und PD Dr. Dagmar Eichberger (Heidelberg) - von der Kamera gestört

Thuerlemann

Prof. Felix Thürlemann (Konstanz), vor seinem Abendvortrag posierend...

Rosenberg

...und die "Händescheidung ohne Köpfe" debattierend, hier mit PD Dr. Raphael Rosenberg (Freiburg / Heidelberg)

Eben durch die Beschäftigung mit vormals oft vernachlässigten Gattungen wie der Textilkunst, der Buch- und Wandmalerei ist die veränderte Bedeutung der früher üblichen Suche nach Meistern greifbar geworden. Denn gerade Werke dieser gerne als 'nieder' oder minderwertig eingestuften Kunstformen werden heute in erster Linie als das Ergebnis einer Zusammenarbeit mehrerer Künstler verstanden, bei der ein Kaufmann, Buchhändler oder Schreiber als Unternehmer die Koordination übernimmt. Hier nun wird die Unterscheidung zwischen der Person des Concepteurs - als dem planenden Kopf einer Unternehmung - und den ausführenden Händen immer wichtiger. Diese Sichtweise bleibt dann auch für die 'hohe' Kunst nicht ohne Folgen: beim Umgang mit Werken der Skulptur oder gar mit der Tafelmalerei, dem Inbegriff der Kunst, rücken zunehmend Fragen der Kooperation und Arbeitsverteilung in einer Werkstatt oder unter spezialisierten Zulieferern in den Vordergrund, zu deren Klärung die schriftlichen Quellen ja zahlreiche Anhaltspunkte liefern. Technische Untersuchungsmethoden bestätigen zudem die Vielfalt der bei der Herstellung nötigen Arbeitsschritte, die früher vorzugsweise nur einem Künstler alleine zugeschrieben wurden. Gerade die ausgeprägte Vielseitigkeit der verschiedenen Techniken verstärkt die Zweifel an der Vorstellung vom genialischen Künstler so sehr, daß sie nun gänzlich unglaubwürdig wirkt. Meisterwerke werden nunmehr weniger isoliert gesehen und erscheinen eingebettet in ein Netz unterschiedlicher Entstehungskräfte, zu denen natürlich auch ein mehr oder weniger prägendes sozioökonomisches Umfeld und eine bestimmte Tradition gehören.

Martens

Birgit Münch, der wir die erholsame Unterbrechung am Buffet verdanken, mit Prof. Didier Martens (Brüssel)

Zwar wird es wohl auch weiterhin nützlich sein, zumindest aus didaktischen Gründen Gegenstände der Kunstgeschichte um Namen zu gruppieren und damit zu klassifizieren, aber naiv und ohne ein Bewußtsein für die hinter den Namensetiketten verborgenen, komplexen Kooperationsformen, wird man nicht mehr vorgehen können. So gesehen hat das Heidelberger Symposion zwar unser Verständnis eines vielschichtigen Phänomens gefördert, zugleich aber die Teilnehmer unversehens um einen guten Teil ihrer zuvor gehegten, unschuldigen Betrachtungsweisen gebracht. Glücklicherweise geschah all dies in der anregenden Atmosphäre des Wissenschaftsforums, so daß der freundschaftliche Umgang zwischen den Kollegen den Verlust liebgewonnener Illusionen, denen anzuhängen sich kaum jemand eingestehen möchte, mehr als wett macht.

Dominique Vanwijnsberghe

 

Weitere Symposionsberichte:

  • Bettina Erche: Kopf oder Hand. Ein Symposion weckt Zweifel an der Idee des Meisterwerks. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 126 (2. Juni 2004), N3.
  • Gerda Henkel Stiftung, Jahresbericht 2004 (März 2005), S. 72f.
Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 31.07.2009
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