Teilvorhaben A | Architektur und Gesellschaft

Das von archäologischer Seite initiierte Teilvorhaben A umfaßt eine kultursoziologische Untersuchung, deren Hauptgegenstand Großarchitektur einschließlich der mit ihr verbundenen Bildwerke von der Urgeschichte bis in die Moderne sein wird. Wie in keiner anderen Quellengattung spiegeln sich in Architektur und Großkunst soziale Strukturen und Konzepte der Visualisierung von Herrschaft wider. So werden in der Arbeit der Projektorganisatoren einerseits die Visualisierung von Herrschaft im frühgeschichtlichen Griechenland und andererseits die modernen Zeichen der Hierarchie in globalen Agglomeraten in Asien, Afrika und Amerika einen besonderen Schwerpunkt bilden. Neben solch zeichenhaften, repräsentativen Qualitäten dürfen aber auch menschliche Begnungen ordnende, konfigurative Aspekte von Architektur nicht vernachlässigt werden. So ergibt sich eine grundlegende Dualität in dem akademischen Verständis der gebauten Umwelt.

Denn in Palästen, Burgen, Tempeln, Kirchen und monumentalen Grabbauten wurde weltliche und/oder religiöse Macht nicht nur gleichsam zu Stein, sondern diese gebauten Strukturen boten ihrerseits der jeweiligen Gesellschaft einen Gestaltungsrahmen, in dem sie sich immer von Neuem konstituieren und ihre Vorstellung über die "richtige" Ordnung der Dinge affirmieren oder transformieren konnte. In diesem Sinne sind öffentliche, staatliche und herrscherliche Bauten und Raumordnungen sowohl als Dokument als auch als Gestaltungsrahmen gesellschaftlicher Realitäten zu verstehen, als Kulisse der Selbstdarstellung der Mächtigen und Arena einer ständigen Neuverhandlung der Macht, als Medium kodierter Botschaften und Mittel einer räumlichen Ordnung.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Herausforderung, zu rekonstruieren, wie Architektur, Bilder und bewegliche Objekte zusammenwirkten, um die Legitimität von Herrschaft zu versinnbildlichen und Inszenierungen von Ritualen zu ermöglichen. Sinnvoll ist hierbei eine Konzentration auf architektonische Entwürfe, die in kurzer Zeit umgesetzt ihre Leitidee(n) konzentriert darbieten und deren kultureller Hintergrund zugleich durch Schriftquellen erhellt wird, die Hinweise auf politische Strukturen, Religion und Herrscherideologien enthalten.

Beide genannten Voraussetzungen sind für die Zitadellen und Paläste der spätbronzezeitlichen mykenischen Kultur Griechenlands gegeben, weshalb die Analyse dieser Architekturkomplexe einen von archäologischer Seite zu bearbeitenden Schwerpunkt im Rahmen des Teilvorhabens bildet. Spannende Aspekte bilden hier u.a. die Einbindung älterer Monumente in neu geschaffene, auf die Paläste ausgerichtete Topographien der Herrschaft, aber auch die Analyse der architektonischen Kontinuitätsstränge zwischen der Zeit der Paläste und der in die sogenannten "Dunklen Jahrhunderte" überleitenden Nachpalastzeit. Dabei soll nachvollzogen werden, wie die Ruinen der palastzeitlichen Orte zu Kristallisationspunkten der Legitimation neuer Eliten wurden, indem bestimmte, besonders symbolträchtige Teile der ehemaligen Paläste wiederaufgebaut und in veränderte Konzepte von Herrschaft integriert wurden.

Der soziologische Schwerpunkt innerhalb des Teilvorhabens gilt der Aufhebung der europäischen und amerikanischen Stadt in globalen Konglomeraten, in denen am ehesten die "Großkunst" sozialer Strukturen und Konzepte der Visualisierung von Herrschaft zum Ausdruck kommen. So stehen den mykenischen Herrschersitzen Mykene, Tiryns und Pylos des archäologischen Schwerpunkts hier die Metropolen Schanghai, Bangalore, Johannesburg und Sao Paolo gegenüber. An die Stelle der Großarchitektur tritt in vielerlei Hinsicht die Stadtentwicklung, die Migration anzieht oder abstößt, innere Vitalität entfaltet oder die Leere organisiert, globales Wissen und lokale Bindung vermittelt oder das Leben polarisiert, jedenfalls aber den Vergleich erzwingt zwischen verschiedenen Modellen globaler Entwicklung und städtischer Gesellschaften.

Neben diesen durch die Projektorganisatoren betreuten Schwerpunkten sollen laufende Forschungsvorhaben von Dozenten und Nachwuchswissenschaftler der beteiligten Universitäten integriert werden, um so den Kreis der kultursoziologisch zu betrachtenden Fallbeispiele räumlich und zeitlich zu erweitern. So bildet die Auseinandersetzung mit Architektur als Manifestation weltanschaulicher Konzepte und als Gestaltungsrahmen für Rituale eines der zentralen Themen der Heidelberger und Freiburger Vertreter der Fächer Ägyptologie, Klassische Archäologie, Assyriologie, Vorderasiatische Archäologie sowie Ostasiatische Kunstgeschichte. Auch zu bestehenden Projekten wie denen des Heidelberg SFB "Ritualdynamik" schlägt das Forschungsthema eine Brücke.

Im Rahmen des Teilvorhabens A findet im Sommer 2005 das internationale Symposion "Konstruktion der Macht" statt.

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Letzte Änderung: 23.05.2018