Assur - Eine altorientalische Großstadt in Mesopotamien

Lokalisation und Forschungsgeschichte

StadtplanDie antike Metropole Assur (modern Qal'at Scherqat), die über ein halbes Jahrtausend lang die Hauptstadt des assyrischen Reiches und bis zu dessen Untergangang Kultzentrum und Grablege der assyrischen Könige war, liegt am westlichen Ufer des Tigris im Norden des heutigen Irak. Die Siedlung erhebt sich auf einem gewaltigen, über 40m hohen Kalksteinfelsen, der auf zwei Seiten durch den Tigris begrenzt wird und als weithin sichtbare Landmarke in die Landschaft ragt.

LuftbildErste "archäologische" Untersuchungen der Ruine fanden im 19. Jahrhundert durch den englischen Diplomaten Austen Henry Layard und seinen Mitarbeiter Hormuzd Rassam statt. Das Ergebnis dieser eher oberflächlichen Sondagen waren eine Sitzstatue aus der Zeit des assyrischen Königs Salmanassar III. (854-824 v. Chr.) sowie mehrere Fragmente und Duplikate eines mit Keilschrift beschrifteten Tonprismas Tiglat-Pilesars I. (1115-1077 v.Chr.), das eine relativ detaillierte Beschreibung der Stadt und ihrer Bauwerke in mittelassyrischer Zeit lieferte.

StadtansichtDie ersten systematischen und nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten durchgeführten Grabungen begannen im Jahre 1903. Zunächst unter Leitung des deutschen Architekten und Bauforschers R. Koldewey, der bereits Babylon ausgegraben hatte, dann von seinem Schüler und Assistenten W. Andrae. Durch eine speziell entwickelte Grabungstechnik ist es seinerzeit gelungen, nahezu 25 Prozent der ca. 1,2 Quadratkilometer großen Stadtfläche freizulegen, eine noch für heutige Verhältnisse äußerst beachtliche Leistung. Nach elfjähriger, fast ununterbrochener Grabungstätigkeit unter schwierigsten klimatischen und organisatorischen Bedingungen, beendeten W. Andrae und sein Mitarbeiterstab im Jahre 1914, unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, die Ausgrabungen in Assur. Nach einer langen, durch die Wirren des Krieges bedingten Odyssee erreichten die über 23.000 Fundstücke erst im Jahre 1926 die Berliner Museumsinsel, wo sie heute im Vorderasiatischen Museum bewundert werden können.

ZikkuratKleinere Untersuchungen wurden in Assur 1988 und 1990 durch die Freie Universität Berlin und die Universität München zwar wieder aufgenommen, mussten aber durch den Golfkrieg und dessen Folgen abgebrochen werden. Seither hat der irakische Antikendienst begrenzte Arbeiten durchgeführt, über deren Verlauf und Ergebnisse jedoch kaum etwas bekannt geworden ist. So bleibt für die archäologische und philologische Forschung das von W. Andrae ermittelte Bild der Stadt bis heute maßgebend und bestimmend.


Geschichte der Stadt

PalastSpätestens seit der Mitte des 3. Jahrtausends v. Chr. begann die koninuierliche Besiedlung Assurs. Die ältesteten Tempelanlagen aus der sog. frühdynastischen Zeit sind der Göttin Ischtar geweiht, die für die Bereiche Liebe und Krieg zuständig war. Funde und Befunde vom Ende des 3. Jtsd.s v. Chr. und dem Beginn des 2. Jtsd.s v. Chr. sind in Assur dagegen sehr spärlich, was jedoch auch den begrenzten Ausgrabungen in den Schichten dieser Zeitstufen anzulasten ist. Allerdings beweisen die zahlreichen Texte aus der assyrischen Handelskolonie Karum Kanesch (modern Kültepe) in Anatolien (Türkei), dass Assur bereits in der frühen altassyrischen Zeit das Zentrum eines weitverzweigten Fernhandelsnetzes war. Im 18. Jahrhundert v. Chr. erlebte die Stadt unter dem dynamischen Herrscher Schamschi-Addu I. (1815-1782 v. Chr.) einen Höhepunkt, der sich archäologisch vor allem in einer regen Bautätigkeit dokumentiert. So erhielt das Heiligtum des Stadt- und Nationalgottes Assur und der zugehörige Stufenturm, die Ziqqurrat, in dieser Zeit die bestimmende Grundrissstruktur. Monumentale Ausmaße erreichte auch der sog. "Alte Palast" des Königs.

TebiraNach einer Phase des wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Niedergangs erlangte das assyrische Reich mit seiner Hauptstadt Assur im 14. Jh. v. Chr. eine führende Rolle unter den altorientalischen Staaten. König Assur-uballit (1365-1330 v. Chr.) und seine Nachfolger konnten den Zusammenbruch des Mittani-Reiches und das dadurch entstandene Machtvakuum in Nordmesopotamien nutzen und Assyrien in der mittelassyrischen Zeit zur führenden Militärmacht aufbauen. Das Stadtbild von Assur erhielt in dieser Zeit seine entscheidende Prägung durch die zahlreichen Tempel, Paläste und Befestigungsanlagen; der Bevölkerungszuwachs wird in der Erweiterung durch die sog. "Neustadt", ein großflächiges Wohngebiet im Süden Assurs, evident. Tukulti-Ninurta I. (1233-1197 v. Chr.), eine zentrale Herrschergestalt dieser Epoche, ließ sich in einer sehr aufwendigen Baumaßnahme einen neuen Palast errichten. Trotzdem verließ er Assur kurze Zeit später, vermutlich aufgrund innenpolitischer Querelen, und gründete nur unweit entfernt eine völlig neue Residenz, die er mit "Kar Tukulti-Ninurta" nach seinem eigenen Namen benannte.

NeustadtIn der zweiten Hälfte des 10. Jh. v. Chr. begann mit dem Sieg über die aramäischen Fürstentümer in Syrien und Nordmesopotamien sowie der Erlangung eines direkten Zugangs zum Mittelmeer der Aufstieg Assyriens zur Weltmacht. Nach einer kurzen Schwächeperiode konnten im 9. Jh. v. Chr. die Könige Assurnasirpal II. (884-858 v. Chr.) und Salmanassar III. (858-824 v. Chr.) das assyrische Reich wieder als führende Macht in Vorderasien etablieren. Assur war fortan nicht mehr die Hauptstadt des Reiches, blieb aber weiterhin das kultische Zentrum, bis es 614 v. Chr. von einer Koalition aus Medern und Babyloniern völlig zerstört wurde. Dies bildete gleichsam das Fanal für den endgültigen Untergang des gesamten assyrischen Reiches nach 612 v. Chr.

TigrisVom 1. bis zum 3. Jh. n. Chr. ließen die Parther, die bedeutendsten Kontrahenten des Römischen Imperiums in Mesopotamien, Assur erneut aufleben, indem sie die Stadt noch einmal zu einem bedeutenden Verwaltungs- und Kultzentrum ausbauten. Zahlreiche imposante Bauwerke und Funde, darunter die typische grün glasierte Keramik, zeugen von dieser letzten Blütezeit der altorientalischen Metropole.
(Text: Jürgen Bär / Ulrike Lorenz)

Abbildungen:

links von oben nach unten:
Stadtplan von Assur (aus: W. Andrae, Das wiedererstandene Assur, Leipzig 1938); Assur 2000: Stadtansicht vom Fluss (Foto: J. Bär); Assur 2000: Stadtansicht nach Westen mit Altem Palast im Vordergrund (Foto: J. Bär); Assur 2000: Die Neustadt (Foto: J. Bär)

rechts von oben nach unten:
Luftbildaufnahme Assur (aus: B. Hrouda, Der Alte Orient, München 1991); Assur 2000: Die Ziqqurat (Foto: J. Bär); Assur 2000: Rekonstruktion des Tabira-Tores (Foto: J. Bär); Assur 2000: Der Tigris vom Ostufer der Stadt (Foto: J. Bär)
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Letzte Änderung: 08.12.2008
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