WRITING MATTERS: Presenting and perceiving monumental texts in ancient Mediterranean cultures

Hunderttausende von beschrifteten Steinen, die Volksbeschlüsse, Gesetze, Verträge, Ehren-, Votiv-, Grabinschriften und andere Texte überliefern, sind aus antiken Städten erhalten. Inschriften befanden sich auf Mauern und Wänden von Häusern oder Tempeln, in Innenräumen von Kirchen, auf der Agora oder dem Forum, auf oder an öffentlich aufgestellten Bildwerken wie Statuen, Reliefs, Gemälden und Mosaiken. Wer sich in einer antiken Stadt bewegte, sah sich unentwegt und unwillkürlich beschrifteten und beschriebenen Monumenten gegenüber. Diese waren bereits durch ihre spezifische Materialität sowie ihre schiere Präsenz Teil der gesellschaftlichen Gegenwart und sind daher sowohl als vom Menschen geschaffene Artefakte als auch als Aktanten im sozialen Gefüge zu denken. Durch die Einbettung dieser Artefakte in ihr originäres soziales wie räumliches Umfeld (Rekontextualisierung) eröffnen sich neue und ganz unterschiedliche Deutungsperspektiven, die die eigentliche inhaltliche Dimension der Texte zwar einschließen, aber auch weit über diese hinaus führen und neue Zusammenhänge und Interpretationen erschließen: Neben Aspekten der konkreten Gestaltung des einzelnen Schriftzeugnisses (sowohl des Schriftträgers wie der Schrift als auch des Schrift-Bild-Verhältnisses) gewinnen Fragen nach dem ursprünglichen Kontext, nach der räumlichen Beziehung zu benachbarten Monumenten, der Platzierung im öffentlichen Raum und der damit sich wandelnden Rezeptionsbedingungen an Bedeutung.

Im Mittelpunkt der geplanten Tagung soll die Frage stehen, warum der schriftlichen Fixierung öffentlicher Botschaften wie privater Mitteilungen in der Antike derartig große Bedeutung zukam. Welche Fähigkeiten wurden der Schrift im Unterschied zu anderen Medien wie Bildern (Statuen, Reliefs, Fresken usw.) oder der Architektur beigemessen? Nicht zuletzt weil die Textzeugnisse stets absichtsvoll gestaltet und ihre Aufstellungsorte bewusst gewählt worden sind, muss die jeweilige Wechselwirkung zwischen dem schrifttragenden Artefakt oder einer Gruppe von Objekten und ihrem unmittelbaren sowie weiteren Umfeld untersucht werden: Inwiefern prägen Schrift und der beschriftete Gegenstand das Erscheinungsbild und
die Wahrnehmung eines Raumes und in welcher Weise bedingt wiederum die Spezifik des Raumes die Gestaltung und Wahrnehmung der schriftlichen Artefakte, etwa im Falle der Aufstellung von Gesetzestexten in Form hoher steinerner Stelen auf öffentlichen Plätzen? Sowohl bei solchen, oft unbeweglichen Textmonumenten als auch bei beweglichen beschrifteten Artefakten, stellt sich die Frage, wie Menschen mit ihnen interagierten und wie sie z.B. im Rahmen eines rituellen Kontextes rezipiert wurden.

Die stark interdisziplinäre Ausrichtung der Tagung ist bereits in der wissenschaftlichen Konzeption des veranstaltenden Teilprojektes begründet, in dem die Fächer Alte Geschichte, Epigraphik, Klassische Archäologie sowie Byzantinische Archäologie und Kunstgeschichte eng zusammenarbeiten. Darüber hinaus sind WissenschaftlerInnen aus den Bereichen der Mediävistik, der Kunstgeschichte, der modernen Literaturwissenschaft (Amerikanistik) und der Wahrnehmungspsychologie eingeladen. Insbesondere durch einen Vergleich mit der Wahrnehmung des Phänomens „Schrift“ in anderen Epochen (etwa im Medium des Buches oder bei Schriftzeugnissen im öffentlichen Bereich wie auf Werbeplakaten oder auf Gebäuden) erwarten wir uns einen konstruktiven Impuls für die altertumswissenschaftliche Forschung – denn anders als es bei modernen Zeugnissen der Fall ist, können antike Textmonumente häufig nur hypothetisch rekontextualisiert werden. Ferner bietet der Austausch mit z. B. der Kunstgeschichte und der Mediävistik vielversprechenden Erkenntnisgewinn im Hinblick auf die Art und Beschaffenheit von Schriftträgern: Welche Materialien wurden im Gegensatz zur Antike etwa im hohen Mittelalter verwendet? Wo sind Kontinuitäten, wo Brüche im Umgang mit Schrift zu beobachten und wie sind diese zu erklären? So hoffen wir, in einen kritischen Austausch über die oben genannten Fragestellungen zu treten und von neuen Forschungsperspektiven aus anderen Disziplinen zu profitieren.

Während sich die Forschung schon seit längerem mit der Anfertigung und öffentlichen Präsentation beschrifteter Artefakte auseinandersetzte, fragte sie erst in jüngerer Zeit gezielt nach der Rezeption solcher Zeugnisse durch den zeitgenössischen Betrachter oder nach ihren sozial-kulturellen Bedeutungen. In dieser Hinsicht wurden vor allem ihre Rolle als Medien der sozialen Kommunikation und des politischen Diskurses umfassender untersucht, so z.B. in den Arbeiten von Eck 1998, Hedrick 1999 und 2000, Alföldy – Panciera 2001, Chaniotis 2003 sowie Alföldy 1991 und 2003 und Haensch 2009 – meist jedoch mit Fokus auf der inhaltlichen Aussagekraft und politischen Botschaft der Texte. Studien zur originalen Multifunktionalität der beschrifteten Artefakte, zu ihrer Rolle in der Raumgestaltung und zur realen Wahrnehmung durch antike Beobachter sind noch immer selten; Ausnahmen bilden etwa Krumeich – Witschel 2009 oder Untersuchungen aus dem angelsächsischen Raum, z. B. Shear 2011 und Lambert 2012. Ähnliches gilt für das Verhältnis zwischen Text und Bild oder von Text und Monument: Zwar existieren einige Einzelstudien zu bestimmten Inschriften-Gattungen oder Monument-Typen (etwa Lawton 1995, Scholl 1996, Hedrick 2000, Hölkeskamp 2000 und Horster 2001), es fehlen jedoch Versuche, die Teilergebnisse innerhalb des hier skizzierten größeren Zusammenhangs aufeinander zu beziehen und zu interpretieren.

Mittlerweile stehen Materialität und Präsenz von Schrift und Schriftträgern immer häufiger im Mittelpunkt neuerer und neuester Forschungsliteratur aus unterschiedlichsten Fachbereichen. Als Standardwerk für die theoretische Fragestellung der Tagung können die Beiträge von Hans Ulrich Gumbrecht gewertet werden (z. B. Gumbrecht 2004). Nicht minder bedeutend sind Beiträge zu den Chancen und Möglichkeiten der Altertumswissenschaften, zeitgemäße Textforschung zu betreiben (Reckwitz 2006, Hilgert 2010). Die Wechselwirkungen von Diskursivem und Ikonischem werden vor allem in den Arbeiten von Susanne Strätling und Georg Witte (Strätling – Witte 2006) sowie Sybille Krämer u.a. (Krämer 2006, Krämer – Cancik-Kirschbaum – Totzke 2012) thematisiert. Somit wird eine Bezugnahme auf ähnliche Phänomene der Sprach- und Kulturwissenschaften ermöglicht. Zuletzt hat sich das ansteigende Interesse am Textträger als immanenter Teil von Kommunikationsprozessen auch in der althistorischen Forschung, insbesondere in der byzantinischen Archäologie und Kunstgeschichte niedergeschlagen. Hier sind Texte von Linda M. Hurcombe (Hurcombe 2007), Liz James (James 2007) und Amy Papalexandrou (Papalexandrou 2007) zu nennen, die neue Wege bei der Untersuchung und Interpretation von Inschriften beschreiten und ein logozentrisches Schriftverständnis überwinden. 

Das Programm der Tagung orientiert sich an den eingangs dargelegten Fragestellungen, die im Rahmen von fünf aufeinander aufbauenden Sektionen behandelt werden. Am Anfang steht eine kritische Auseinandersetzung mit theoretischen Grundlagen und Methoden der Materialanalyse mit dem Ziel, eine gemeinsame Diskussionsgrundlage zu schaffen und Impulse für einen transdisziplinären Diskurs zu geben. Daran anschließend wird der Aspekt der Materialität in den Blick genommen: Was kann die Analyse der spezifischen Gestaltung inschriftlicher Artefakte leisten? – so die übergreifende Frage dieser zweiten Sektion.

Der umfangreiche Komplex der raumkonstituierenden Funktion von Schrift in der antiken Stadt soll Thema der dritten  Diskussionseinheit mit der Überschrift „Textlandschaften“ sein. Darunter verstehen wir verschiedenste Arten von „beschrifteten Räumen“, wie z. B. eine mit Graffiti versehene Wand eines Wohnhauses, ein mit Ehrendekreten ausgestattetes römisches Forum oder einen griechischen Tempel als Aufstellungsort zahlreicher Weihinschriften. Der zuvor behandelte Aspekt der Materialität muss hierbei im Zusammenspiel mit der Präsenz der Schrift als zentraler Faktor verstanden werden.

Mit Fokus auf der Gestaltung des einzelnen Artefaktes wird daraufhin untersucht werden, inwiefern Schrift auch andere Funktionen übernehmen konnte als primär Informationen zu übermitteln. Insbesondere monumentale Inschriften an repräsentativen Gebäuden gewannen neben ihrer inhaltlichen auch eine stark ästhetische Dimension. So konnten sie durch ihre spezifische künstlerische Gestaltung, die Wahl einer bestimmten Schrifttype, eine absichtsvolle Differenzierung von Buchstabengrößen, die Einfügung von ornamentalen Zeichen oder aber ihre farbliche oder metallene Fassung entscheidend zur visuellen Wirkkraft eines Baus – und damit auch zum Prestige des Bauherrn oder Auftraggebers – beitragen.

Die fünfte Sektion wird sich schließlich verstärkt der Rezeption durch den menschlichen Betrachter zuwenden und der Frage nachgehen, welche Assoziationen und Handlungen beschriftete Artefakte bei diesem evozierten. Die jeweiligen Zeugnisse werden hier in erster Linie als Aktanten in menschlichen Handlungszusammenhängen betrachtet und somit der zeitgenössische Rezipient bzw. unterschiedliche Rezipientengruppen noch einmal in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt werden.

 

Kontakt:
Institut für Byzantinische Archäologie und Kunstgeschichte
der Universität Heidelberg
Dr. Irene Berti
E-Mail: ireneberti1@yahoo.it

Prof. Dr. Stephan Westphalen
Marstallhof 4
69117 Heidelberg

Tel.: +49 (0) 6221 / 54 - 2229

E-Mail: Stephan.Westphalen@zaw.uni-heidelberg.de

 

Seminar für Alte Geschichte und Epigraphik
der Universität Heidelberg
Prof. Dr. Kai Trampedach
Prof. Dr. Christian Witschel
Marstallhof 4
69117 Heidelberg

Tel.: +49 (0) 6221 / 54 - 2233

E-Mail: kai.trampedach@zaw.uni-heidelberg.de
             christian.witschel@zaw.uni-heidelberg.de

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Letzte Änderung: 21.07.2012
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