Machtpolitik und Regierungsführung im Indischen Ozean
Der indische Ozean umfasst den gesamten Bogen der Islamischen Länder, von der Wüste Sahara bis zum Indonesischen Archipel. Arabische Händler haben dort ihren Glauben durch ausgedehnte, auf Seefahrt basierende Handels-Netzwerke verbreitet. Heutzutage umfassen die westlichen Gegenden des Indischen Ozeans Pulverfässer wie Somalia, Yemen, Iran und Pakistan. Länder, die in einem globalen und dynamischen System von Terrorismus, Piraterie und Drogen-Schmuggel vernetzt sind. Mit einer Vielzahl von Staaten, die an mangelnder Regierbarkeit, unterentwickelten Wirtschaftssystemen und unzulänglicher Infrastruktur leiden, beherbergt der Indische Ozean zugleich einige der wichtigsten Handelsrouten der Welt. An seinem westlichen Ausläufer, werden 40 Prozent des auf dem Seeweg transportierten Rohöls durch das Nadelöhr der Straße von Hormus, zwischen dem Persischen Golf und dem Arabischen Meer, transportiert. Am anderen Ende des Ozeans ankern 50 Prozent der Welthandelsflotte in der Straße von Malakka, dem Tor zum Pazifischen Ozean. Der Indische Ozean, der den Nahen Osten mit Südost-Asien verbindet, stellt die verkehrsreichste und wichtigste Verkehrsader der Welt dar.
Mit dem Ende des Kalten Krieges und einer Verschiebung der Verortung der Macht von der westlichen Hemisphäre nach Osten, haben einige Bücher den „Niedergang des Westens“ (Fareed Zakaria’s The Post-American World, 2008, Niall Ferguson’s Civilization: the West and the Rest, 2011, Ian Morris’ Why The West Rules – For Now: The Patterns of History and what they reveal about the Future, 2010) und die Rolle des Indischen Ozeans als Austragungsort zukünftiger Konflikte zwischen den Großmächten vorhergesagt (Robert D. Kaplan’s Monsoon: The Indian Ocean and the Future of American Power, 2010). Diese Konferenz zielt darauf ab, sich kritisch mit der vorherrschenden neo-realistischen und neo-konservativen Wahrnehmung auseinander zu setzen, die insbesondere die amerikanischen strategischen Analysen charakterisiert und die dazu neigt, düstere Prognosen hervorzubringen. Um konkurrierende Sichtweisen zu erkunden, werden sich einige Präsentationen auf die Perspektive angrenzender Staaten konzentrieren (nach jetzigem Stand der Planung: Indien, Südafrika und Indonesien), mit der Zielsetzung zu ergründen, inwiefern in unterschiedlichen historischen und kulturellen Kontexten maritimes Strategisches Denken innovative Ideen und Mechanismen für Sicherheits- und Konfliktmanagement hervorgebracht hat. Zugleich kann man die sich entwickelnde Konstellation von neuen Macht-Dynamiken nicht ignorieren, insbesondere in Hinblick auf den „eleganten Niedergang der Vereinigten Staaten“ (Kaplan, 2010), den unvermeidlichen Aufstieg Chinas sowie den ungewissen Weg Indiens. Die Herausforderungen und Chancen mit denen sich diese drei Länder konfrontiert sehen, werden von Experten beleuchtet, die einen Schwerpunkt sowohl in Internationalen Beziehungen als auch in den jeweiligen Ländern haben.
Um das Missverständnis zu vermeiden, dass internationale Politik nur oder vorwiegend bei Nationalstaaten gemacht wird, werden die Interessen und die zunehmende Präsenz der Europäischen Union im Indischen Ozean analysiert. Hierbei werden sowohl die eher traditionelle Rolle der EU als Normen prägender Akteur erkundet, als auch jüngere Beispiele für die Zielsetzung militärische Macht in die Region zu projizieren, wie etwa im Rahmen der 2008 EU Naval Force Operation Atalanta. Dieser erste Marine-Einsatz im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zur Absicherung humanitärer Hilfslieferungen für Somalia wurde in Übereinstimmung mit den Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen 1814 (2008), 1816 (2008) und 1838 (2008) etabliert. Um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen, wird sich eine Präsentation im Bereich des Internationalen Rechts mit Piraterie, humanitären Einsätzen sowie maritimer Sicherheit auseinander setzen. Schließlich, um der Tatsache gerecht zu werden, dass sich zahlreiche internationale Initiativen im Indischen Ozean mit Armutsbekämpfung und der Etablierung von Institutionen beschäftigen, wird exemplarisch die Schwerpunktsetzung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit auf die Entwicklung von institutionellen Kompetenzen (capacity building) untersucht.
Insgesamt werden daher vier thematische Bereiche abgedeckt: (1) Strategische Traditionen in den Anrainer-Staaten, geprägt durch deren historische und kulturelle Kontexte; (2) entstehende Ambitionen der aufstrebenden Staaten und ihre Beziehungen zu den USA; (3) multi-nationale Beteiligung bei der Gewährleistung von Sicherheit im Indischen Ozean und deren juristischer Implikationen; (4) „(sozio-ökonomische) Entwicklung zur Erlangung von Stabilität und Sicherheit“, insbesondere in einer Region mit einer Vielzahl von Regierungsformen, grenzen-übergreifender ethnischer Zugehörigkeit, einem Spektrum schwacher und starker Institutionen und sehr unterschiedlicher Aussichten auf wirtschaftliches Wachstum.
Als übergreifende, die vier thematischen Bereiche verbindende Fragestellung dient die Analyse der machtpolitischen Akteure, die im Zentrum künftiger Konflikte stehen werden sowie die Analyse möglicher Ansatzpunkte für weitergehende Kooperationen und eine Annährung der unterschiedlichen Interessen. Dazu werden Theorien der Regierungsführung (aus dem Bereich der Politikwissenschaft) angewendet; insbesondere bezüglich der Frage ob Sicherheit als öffentliches Gut konzeptualisiert werden kann, das weder auf Konkurrenz beruht, noch auf Ausschließlichkeit angelegt ist und auch kein Null-Summen-Spiel darstellt. Anti-Piraterie und Anti-Terrorismus-Einsätze können entlang dieses Modell erfasst werden, wenngleich geopolitische sowie spezifische nationale Interessen und innerstaatliche Erwägungen eine zentrale Rolle bei der Entscheidungsfindung spielen. Aufgrund der hohen Interdependenz im Indischen Ozean, bedingt durch Handelsrouten und Öl-Pipelines, besteht gleichwohl ein großes Interesse an einer Aufrechterhaltung und Verbesserung der regionalen Stabilität.
Um diesem scheinbar weitläufigem, jedoch in hoher Wechselbeziehung stehendem Themenspektrum gerecht zu werden, ist es unabdingbar, dass sich diese Konferenz auf eine Reihe von Disziplinen stützt, insbesondere auf die relevanten Regionalwissenschaften, Internationale Beziehungen, Politikwissenschaft, Internationales Recht sowie Geschichte. Dies spiegelt den Trend im Bereich der Internationalen Beziehungen wider, die klassische Trias von Realismus, Liberalismus und Konstruktivismus nicht zuletzt durch Kritische Theorie zu erweitern. Sicherheitsstudien beispielsweise, die lange durch ihren Fokus auf militärische und geopolitische Analysen geprägt waren, haben sich zunehmend Diskussionen über unterschiedliche strategische und organisatorische Kulturen geöffnet. Von da war es ein vergleichsweise kleiner Schritt auch Erkenntnisse aus der Kritischen Theorie von Autoren wie Habermas, Adorno, Foucault, Bourdieu oder Derrida zu integrieren, um die Aufmerksamkeit auch auf die Konstruktion von Normen, Identitäten und Geschichte durch Diskursanalyse zu richten. Diese Entwicklung hat die Theorie der Internationalen Beziehungen entscheidend geprägt und um wichtige Diskussionen bereichert, wie etwa der Frage warum bestimmte Politikströmungen zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten zur Norm wurden, oder etwa die Rolle der öffentlichen Meinung und der Wahrnehmung der Bevölkerung von Sicherheitsthemen, wie sie in populärer Kultur und in Medien zum Ausdruck gebracht wird. Jüngste Studien zum „Krieg gegen den Terrorismus“ beleuchten beispielsweise wie „erlebte“ oder „alltägliche“ Erfahrungen von Individuen und Gruppen zu deren Wahrnehmung der Welt beitragen. (Stuart Croft’s Culture, Crisis and America ’s War, 2006; Martin & Perro’s Rethinking Global Security: Media, Popular Culture and the ‘War on Terror’, 2006).
Bis heute wurde der Indische Ozean vorwiegend in geopolitischen Begrifflichkeiten diskutiert (dies entspricht der Gewichtung, die Alfred Thayer Mahan in seinem bedeutenden Buch „The Influence of Sea Power Upon History” im Jahr 1890, der Bedeutung der Seemacht zuschrieb, in dem er zu dem Schluss kam, dass die Vormachtstellung beim Seehandel der Schlüssel zum Gewinnen von Kriegen sei). Heutzutage berufen sich wieder Strategen aus den Vereinigten Staaten, Großbritannien, der Volksrepublik China und Indien auf Mahan. Für Chinas strategische Planer wurde die Absicherung von Seewegen gegen feindlich gesinnte Akteure zu einer ihrer Hauptbeschäftigungen. In Indien ist es die zunehmende Präsenz Chinas in der Region des Indischen Ozeans, die ernsthafte Sorgen hervorruft. Die Bedeutung, die China und Indien dem Indischen Ozean beimessen ist verständlich, nicht nur aufgrund der globalisierten Netzwerke von Angebot und Nachfrage, sondern auch aufgrund ihrer maritimen Geschichte. Durch die Verknüpfung des Themenkomplexes von Kooperation und Konflikt im Indischen Ozean mit neueren Entwicklungen im Bereich der Theorie der Internationalen Beziehungen, zielt diese Konferenz darauf ab, unterschiedliche Interpretationen, Szenarien und daraus abzuleitende Implikationen für politische Entscheidungen zu analysieren, die sich durch die Einbeziehung von Geschichte, Identität, strategischen Traditionen, internationalen Normen sowie internationalen Institutionen ergeben.
Pressemitteilung 28. Juni 2012 – Nr. 158/2012
Machtpolitik und Regierungsführung im Indischen Ozean
Hengstberger-Symposium mit Wissenschaftlern aus Asien, Europa, Australien und den USA
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Dr. Jivanta Schöttli
Südasien-Institut der Universität Heidelberg
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