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Günther Dohmen»Es war ein aufregendes und aufreibendes Leben!«

Der Pädagogik-Professor Günther Dohmen nahm als Heidelberger Student an den Beratungen des Parlamentarischen Rats teil

Günther Dohmen

Günther Dohmen wurde 1926 in Heidelberg geboren und studierte nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft ab 1946 Germanistik, Geschichte, Anglistik und Philosophie an der Ruperto Carola. Er war AStA-Vorsitzender der Universität und Mitbegründer des Verbands deutscher Studentenschaften und nahm 1948/49 als studentischer Gast an den Beratungen des Parlamentarischen Rats für das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland teil. Nach Staatsexamen und Promotion 1950/51war er zunächst Studienrat und Fachleiter für Politische Bildung in Mannheim und Stuttgart und später Dozent am Pädagogischen Institut Karlsruhe sowie Lehrbeauftragter an den Universitäten Heidelberg und Tübingen. 1963 habilitierte er sich an der Universität Tübingen, an der er 1966 einen Lehrstuhl für Erziehungswissenschaft übernahm. Er war Gründungsdirektor des Deutschen Instituts für Fernstudien und engagierte sich vor allem im Bereich der Erwachsenenbildung, unter anderem auch als Vorsitzender des Deutschen Volkshochschulverbands und Vizepräsident des Europäischen Erwachsenenbildungsverbands. Nach seiner Emeritierung war Günther Dohmen Wissenschaftlicher Berater des Bundesbildungsministeriums für den Bereich „Lebenslanges Lernen“. Außerdem gründete er einen Verlag, in dem er bis heute jährlich zwei Bücher veröffentlicht. Er wurde 1977 und 1994 mit Bundesverdienstkreuzen geehrt und 1999 in die „International Adult- and Continuing Education Hall of Fame“ aufgenommen.

Das Interview wurde im Januar 2019 geführt. Im Januar 2022 starb Günther Dohmen.

 

Herr Dohmen, Sie haben 1948/49 als Heidelberger Student an den Sitzungen des Parlamentarischen Rats teilgenommen, der das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland ausgearbeitet hat. Wie kam es dazu?

Ich war damals AStA-Vorsitzender in Heidelberg und wurde als „Studentenführer“ relativ bekannt. Eines Tages bekam ich ein Telegramm von Konrad Adenauer, der gerade Präsident des Parlamentarischen Rats geworden war und in die Beratungen auch die Jugend einbeziehen wollte. Er teilte mir mit, dass der Ältestenrat mich einlade, als Vertreter der Studentenschaft gastweise ohne Stimmrecht an den Sitzungen teilzunehmen, damit die Jugend erfahre, welche Verfassung man für sie ausarbeite. Das musste allerdings heimlich geschehen, da die Besatzungsmächte nur von den Länderparlamenten gewählte Antifaschisten im Parlamentarischen Rat haben wollten. Hintergrund von Adenauers Idee waren dessen korporatistische Vorstellungen – er wollte auch in der Zweiten Kammer, dem späteren Bundesrat, gerne Vertreter von Organisationen wie Gewerkschaften, Kirchen und Universitäten haben. Das konnte er nicht durchsetzen, aber beim Parlamentarischen Rat wollte er Vertreter wichtiger Organisationen zumindest gastweise dabeihaben. Die Studenten waren dann letztlich die Einzigen, die eingeladen wurden. Am Anfang waren wir noch zehn Studenten, aber die meisten wollten lieber schnell mit ihrem Studium fertig werden, da es damals wichtig war, rasch Geld verdienen zu können, um wieder auf die Beine zu kommen.

 

Interessierten sich denn die Studenten nicht für das, was im Parlamentarischen Rat geschah?

Die meisten Kommilitonen interessierten sich leider gar nicht dafür – wir fühlten uns zwar als Demokraten, aber für Studenten waren Alltagsprobleme wichtiger als das, was im Parlamentarischen Rat geschah. Man musste schauen, wie man durchkam. Das war aber auch die allgemeine Stimmung in der Bevölkerung: Nachdem wir vom Holocaust erfahren hatten, von dem wir vorher nichts wussten und der uns natürlich entsetzte, machte sich eine Politik- und Parteiverdrossenheit breit und man sagte: Von Politik wollen wir nichts mehr wissen. Da man von der Nazi-Regierung so getäuscht worden war, misstraute man auch den neuen Politikern – es hieß: Lasst die doch in Bonn bosseln, was sie wollen, das interessiert uns nicht. Das war ein eigenartiger Zwiespalt: Im kleinen Kreis wollte man demokratisch leben und handeln, auf der Ebene der Politik hieß es dagegen: Ohne mich.

 

Für Sie galt das aber offensichtlich nicht.

Nein, mich hat die Arbeit des Parlamentarischen Rats sehr interessiert und mir war es auch später während meiner ganzen beruflichen Laufbahn immer wichtig, Schüler und Studenten politisch zu mobilisieren und zur sozialen Zusammenarbeit zu motivieren. Demokratie von unten – das war immer mein Anliegen!

Günther Dohmen, 1949

Mir waren vor allem zwei Dinge ein Anliegen: einerseits als jemand, der den Krieg als sehr junger Soldat miterleben musste, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, andererseits das Thema direkte Demokratie.

Günther Dohmen

Wie erlebten Sie die Zeit in Bonn?

Ich war bei allen wichtigen Sitzungen in der Pädagogischen Akademie – dem späteren Bundeshaus – mit dabei. Gewohnt habe ich ständig woanders, in Adenauers Telegramm stand zwar „Reisekosten, Unterkunft und Verpflegung übernehmen wir, aber bitte Bettwäsche mitbringen!“, aber ich habe mich in meinem Quartier nicht wohlgefühlt und habe mir über den Bonner AStA wechselnd Buden von abwesenden Studenten besorgt. Dauerhaft in Bonn wohnen konnte ich nicht, sonst hätte ich mich ja als Student abmelden müssen. Ich bin auch weiterhin in Heidelberg zu Vorlesungen und Seminaren gegangen und habe meine AStA-Tätigkeit weitergeführt, aber ich habe ein Dasein zwischen Bonn und Heidelberg geführt, was wegen der verschiedenen Besatzungszonen, die ich durchreisen musste, nicht einfach war. Irgendwann habe ich aber eine Dauergenehmigung bekommen und konnte ohne lange bürokratische Prozeduren über die Zonengrenzen reisen. So habe ich alle wichtigen Sitzungen mitbekommen – das war ein aufregendes und aufreibendes Leben!

 

Was ist Ihnen aus den Sitzungen besonders in Erinnerung?

Mir waren vor allem zwei Dinge ein Anliegen: einerseits als jemand, der den Krieg als sehr junger Soldat miterleben musste, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, andererseits das Thema direkte Demokratie. Als Gast konnte ich natürlich nicht selbst beantragen, dass das Recht auf Kriegsdienstverweigerung Eingang in das Grundgesetz findet, aber Fritz Eberhard, der spätere Intendant des Süddeutschen Rundfunks, hat das Thema aufgegriffen und mich sehr unterstützt. Die SPD-Abgeordnete Friederike Nadig hat dann offiziell den entsprechenden Antrag gestellt – aber es war meine Formulierung! Ich bin immer noch stolz, dass dieser Paragraph mit wenigen Gegenstimmen in das Grundgesetz aufgenommen wurde. Auch die direkte Demokratie war mir wichtig, denn ich hatte in meiner AStA-Tätigkeit erlebt, dass die Deutschen durchaus bereit waren, sich demokratisch zu organisieren. Nun forderten aber die Westmächte, dass es kein starkes Deutschland mehr geben dürfe, weswegen sie auf Föderalismus und starke Länder setzten und keine Volksabstimmungen wollten. Die Ausgestaltung des föderativen Prinzips war im Parlamentarischen Rat bis zuletzt umstritten. Ich selbst war gespalten: Einerseits war mir das föderative Prinzip nicht unsympathisch, weil ich davon ausging, dass man im Sinne der „Demokratie von unten“ nicht alles von oben regeln dürfe. Andererseits hatte ich aber die Befürchtung, dass eine konkurrierende Gesetzgebung zu einem solchen Kuddelmuddel führen könne, dass nichts mehr unumstritten funktioniert. Dass das im Bereich der Bildungspolitik dann tatsächlich problematisch wurde, habe ich später am eigenen Leib erfahren!

 

Kamen Sie denn auch in engeren Kontakt mit den Mitgliedern des Parlamentarischen Rats?

Ja, in der Kantine konnte man mit allen reden – und das war unglaublich spannend für mich, wenn dort alle frei sprachen. Der Erste, mit dem ich auch persönlich in Kontakt kam, war Adenauer. Eines Tages kam er in der Kantine an meinen Tisch und verwickelte mich in ein längeres Gespräch – er kannte mich wohl, weil ich öfter mal mitredete. Er fragte mich nach der Stimmung in der Studentenschaft und welche Erklärung ich dafür habe, dass die Jugend so uninteressiert an der Arbeit des Parlamentarischen Rats sei. Am Ende des Gesprächs sagte er: Das interessiert mich doch sehr, kommen Sie doch heute zum Abendessen zu mir nach Rhöndorf, dann können wir in Ruhe weiter über alles sprechen. Ich fuhr also zum Abendessen mit ihm und wir diskutierten zwei Stunden allein miteinander. Am Ende sagte Adenauer: Können Sie mir das alles nicht einmal aufschreiben und in mein Büro bringen – wenn möglich schon morgen früh? Ich habe das noch in der Nacht aufgeschrieben, und Adenauer hat es in einer Rede verwendet, die er für die neu gegründete Junge Union gehalten hat.

Adenauer nahm mich auch einmal in seinem Dienst-Mercedes mit, als ich im Regen zum Parlamentarischen Rat ging. Nachdem er mich durch das runtergekurbelte Fenster angesprochen hatte, öffnete er hinten seine Tür und ich wollte mich neben ihn setzen – aber das war dann doch zu viel: Er hat einen kleinen Sitz am Vordersitz runtergeklappt, und auf dem durfte ich sitzen. Als wir ankamen, sagte er zu seinem Fahrer: Den jungen Mann können wir öfter mal mitnehmen, wenn es sich ergibt! So entstand ein relativ erfreulicher Kontakt, der dazu geführt hat, dass ich Konrad Adenauer als AStA-Vorsitzender nach Heidelberg eingeladen habe, um mit den Studenten zu diskutieren, weil ich deren Desinteresse etwas auflockern wollte. Er kam tatsächlich und nahm sich einen ganzen Tag Zeit dafür. Ich bin mit ihm durch Heidelberg gewandert, und wir haben zusammen in der Mensa im Marstallhof gegessen. Später hat er mir dann auch versteckte Avancen gemacht, ob ich nicht in die Politik einsteigen wolle – aber er konnte mich nicht kapern, und da hat sich das Ganze wieder etwas abgekühlt.

 

Konrad Adenauer (2.v.l.) mit Günther Dohmen (4.v.l.) im Marstallhof

Gab es weitere persönliche Kontakte?

Ja, mit Carlo Schmid, den ich bewundert habe. Er war Vorsitzender des Hauptausschusses und hat die Arbeit der Einzelausschüsse zusammengeführt und in der Vollversammlung verteidigt. Rhetorisch war er außerordentlich geschickt, und dank seiner französischen Mutter sprach er fließend Französisch – er war der Einzige, der mit dem sehr schwierigen französischen Militärgouverneur halbwegs auskam, was sehr wichtig war, denn die ganze Arbeit im Parlamentarischen Rat war auch ein ständiges Gerangel um das Verhältnis zu den Militärgouverneuren. Für mich war Carlo Schmid der beste Kopf im Parlamentarischen Rat. Wir waren beide Baden-Württemberger, und er nahm mich auch einmal in seinem Wagen mit zur Sitzung des Rats. So kam ich auch mit ihm ins Gespräch und lud ihn ebenfalls nach Heidelberg ein. Auch er kam und hat vor den Heidelberger Studenten gesprochen und mit ihnen diskutiert. Er hat mir dann auch ein bisschen aus seinem Leben erzählt, das war sehr persönlich.

 

In die direkte Nachkriegszeit fallen auch an der Universität Heidelberg große Namen – haben Sie auch da besondere Erinnerungen?

Mit Karl Jaspers hatte ich eine unerwartete Erfahrung: Ich besuchte seine Vorlesungen und saß eines Tages in der Alten Aula ziemlich weit vorne an der Seite an einem Durchgang. Genau an dieser Stelle stolperte Jaspers auf einer Stufe. Ich konnte ihn gemeinsam mit einer Studentin auffangen und höre ihn noch mit seinem norddeutschen Dialekt sagen: „Da habe ich diese S-tufe direkt aus dem Bewusstsein verloren!“ Ich habe ihn dann in das Dozentenzimmer auf der gleichen Etage begleitet. Er fragte, was mich an seiner Vorlesung zum Nationalsozialismus interessiere, und ich erklärte, dass ich ein wenig die emotionale Komponente vermisste, da der Nationalsozialismus ja auch eine emotionale Stimmungsbewegung gewesen sei. Er meinte, das wolle er mal im kleinen Kreis besprechen, denn er hielt auch ein Privatissimum in seiner Wohnung in der Plöck ab. Ich habe das als Einladung missverstanden und bin dann plötzlich dort aufgetaucht! Er war hocherstaunt, wollte mich aber auch nicht rauswerfen, so dass ich auch mit ihm im Gespräch über den Nationalsozialismus ein bisschen in Kontakt gekommen bin. Allerdings wurden wir uns da nicht ganz einig, denn ich hatte das Gefühl, dass er das alles zu rational sah und weniger diese emotionalen, ideologischen Grundstimmungen, die auch eine Rolle spielten.

Kurz danach wurde Jaspers wegberufen, und sein Nachfolger wurde Hans-Georg Gadamer – und auch mit diesem hatte ich ein unvergessliches Erlebnis: Eines Tages hielt er bei einer Veranstaltung in der Evangelischen Akademie in Bad Herrenalb, an der ich teilnahm, einen Vortrag. Da er Gutachter für meine Promotion gewesen war, kannte er mich schon etwas und so kamen wir beim Mittagessen ins Gespräch.  Da sagte er zu mir, dass er gerne einen kleinen Waldspaziergang machen wolle, sich aber wegen der Steigung und Unebenheiten nicht traue, da er etwas gehbehindert war – ob ich ihn eventuell begleiten könne? Wir spazierten durch den Wald und diskutierten über meine Promotion, an die er sich erinnern konnte, weil ihn das Thema „Die Bedeutung des poetischen Bildungstriebs für das Selbstverständnis Goethes“ interessierte. Ich war auf ein relativ unbekanntes Dokument von Goethe gestoßen, in dem er sich zum Bildungstrieb äußerte.

 

Das Thema Bildung wurde dann auch zu Ihrem Lebensthema.

Ja, auch in meiner Habilitation ging es um die Entstehung und Entwicklung des Begriffs Bildung, von der Mystik bei Meister Eckart, der erstmals diesen Begriff verwendete, bis in die Gegenwart. Die religiöse Theorie ging davon aus, dass es ein Ebenbild Gottes im Menschen gibt, das herausgebildet werden muss, damit der Mensch gottgefällig lebt. Bildung wurde als Bildwerdung von etwas Innerem, Geistigem verstanden. Wie sich der Begriff dann weiterentwickelt hat, beispielsweise bei Goethe, das hat mich als Begriffsgeschichte fasziniert. Mit dieser Arbeit wollte ich mich eigentlich gerne in Heidelberg habilitieren, aber dort war damals die Pädagogik als Disziplin nicht ausreichend institutionalisiert, so dass ich nach Tübingen ging. Und dort habe ich mich während meiner gesamten Lehr- und Forschungstätigkeit mit dem Thema Bildung beschäftigt, vor allem mit dem Bereich der Erwachsenenbildung und mit Bildung außerhalb des traditionellen Fachbetriebs. Sehr am Herzen lagen mir die Volkshochschulen – ich habe nach dem Mauerfall als erster Vorsitzender eines gesamtdeutschen Volkshochschulverbands erreicht, dass die ostdeutschen Volkshochschulen nicht untergingen, die ganz anders angelegt waren als die westdeutschen. Außerdem habe ich versucht, eine Fernuniversität zu gründen – woraus dann letztlich die Fernuniversität Hagen entstand. Meine Idee war eine Einrichtung mit neuer Fächerstruktur und berühmten Professoren, die die Studenten, die sich in Studienzirkeln an den Volkshochschulen zum Diskutieren treffen konnten, mit Studienbriefen versorgten. So habe ich an der Universität Tübingen das Deutsche Institut für Fernstudien gegründet – das ich ebenfalls gerne an der Universität Heidelberg angesiedelt hätte, was aber aus besagtem Grund wieder nicht ging. Allerdings habe ich dann die bereits angesprochenen Probleme des Bildungsföderalismus kennengelernt!

 

Wie äußerten sich diese?

Die ersten Jahre ging es uns glänzend, weil die „Stiftung Volkswagenwerk“ die Finanzierung übernommen hatte. Satzungsgemäß ist diese Finanzierung aber nur fünf Jahre möglich, und dann begannen die Probleme. Zunächst übernahmen die Kultusminister der Länder die Finanzierung, da meldeten aber deren Finanzminister Bedenken an, weil die Einrichtung im Prinzip eine Bundeseinrichtung sei, bei der die Länder zu wenig mitzureden hätten. Es ging dann hin und her, der Bund bot an, die Hälfte der Finanzierung zu übernehmen, wenn die Länder die andere Hälfte übernähmen und dann auch zur Hälfte mitreden könnten. Das ging eine kurze Weile gut, bis die Länder meinten, dass der Bund eigentlich keine Universität mitfinanzieren dürfe, weil nach dem Grundgesetz Bildung ausschließlich Ländersache sei. Der Bund dürfe lediglich die Forschung zu einer Fernuniversität finanzieren, nicht aber den Betrieb selbst. Da das Ganze aber mittlerweile sehr umfangreich geworden war – wir hatten bereits 100.000 Studenten –, wollten die Länder das nicht mehr finanzieren und das Ganze wurde aufgelöst. Allerdings sagte dann der nordrhein-westfälische Wissenschaftsminister, der spätere Ministerpräsident und Bundespräsident Johannes Rau: Dann machen wir das Ganze als Landeseinrichtung in Nordrhein-Westfalen. Denn als Landesuniversität mit alleiniger Finanzierung durch das Land war das möglich, und nur Nordrhein-Westfalen hatte damals die nötigen Mittel. Und so wurde die Fernuniversität Hagen gegründet – mit vielen Mitarbeitern des Deutschen Instituts für Fernstudien. Gründungsdirektor war mein Mitarbeiter Otto Peters, mit dem ich heute noch befreundet bin. So habe ich 25 Jahre nach den Beratungen im Parlamentarischen Rat am eigenen Leib erlebt, was die im Rat umstrittene konkurrierende Gesetzgebung zwischen Bund und Ländern in der Praxis für Auswirkungen haben kann!

 

Sie sind als Wissenschaftler international weit herumgekommen. Aber bereits als junger Mann waren Sie bei der UNO in New York – was hatte es damit auf sich?

Ich habe einen Essay-Wettbewerb der UNO gewonnen, bei dem es darum ging, wie Bildung zur internationalen Verständigung beitragen kann. Als UNO-Preisträger habe ich mich dann etwas mit UNO und UNESCO beschäftigt und wurde Mitglied der deutschen UNESCO-Kommission. Deutschland war damals noch nicht Mitglied der UNO, aber 1952 wurde die Ständige Beobachtermission der Bundesrepublik bei der UNO eingerichtet, und 1954 wurde ich für eine Sitzungsperiode Mitglied dieser Delegation. Ich konnte überall mithören, aber natürlich nicht mitreden – das war sehr spannend! Damals war Vijaya Lakshmi Pandit, die Schwester des indischen Ministerpräsidenten Jawaharlal Nehru und Tante von Indira Gandhi, Präsidentin der UNO-Generalversammlung, und auch mit ihr ergab sich zufällig ein schöner Kontakt: Eine ihrer Nichten hatte ich beim „Salzburg-Seminar in American Studies“ näher kennengelernt und die hatte ihr von mir erzählt, so dass sie mich ansprach, als wir als Delegation vorgestellt wurden. Sie hat mich dann auch für einen Abend in ihr Hotelzimmer eingeladen, um mit mir zu diskutieren. Sie wollte vor allem wissen, wie es zum Nationalsozialismus gekommen sei. Damals gab es bei einigen Ländern wie Indien eine eigenartige Stimmung gegenüber Deutschland: Man war dort der Meinung, dass im Grunde Deutschland diesen Ländern geholfen habe, den Kolonialismus loszuwerden, da der Zweite Weltkrieg dafür gesorgt habe, dass besonders auch die Briten ihr Empire verloren hätten – deswegen war man als Deutscher seltsam populär. So ergab sich wieder einmal ein persönlicher Gesprächskontakt. Ja, ich durfte viele interessante Persönlichkeiten kennenlernen und bin auch als Gastdozent an Universitäten in allen Kontinenten weit in der Welt herumgekommen – das war wirklich ein spannendes Leben!

(Das Interview führte Mirjam Mohr)

Günther Dohmen 1954 als Beobachter bei den UN in New York (5.v.l.)