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Vortrag am 16. Juli 2019Der Mensch als Ressource, Spender, Ersatzteillager?

Referent: Joachim Müller-Jung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Ressort Natur und Wissenschaft

Die wissenschaftliche Medizin ist mit ihrem Versuch, unsere Gesundheit zu optimieren und das Leben zu verlängern, an einem Punkt angelangt, an dem grundlegende moralischen Überzeugungen aller Kulturen herausgefordert sind. Unser Selbstbild als Mensch wandelt sich. Der Körper, ja das Leben selbst, wird zur Quelle der Erneuerung, ist einer Maschine gleich programmierbar geworden. Die Teile sind austauschbar. Alles ist erneuerbar und künstlich zu verbessern – noch nicht perfekt zwar, und erst recht ist das Ich noch biomedizinisches Niemandsland. Aber es gewinnt eine „regenerative Medizin“ und Biotechnik an Konturen, die das Menschsein neu definiert. Sie verspricht dem Menschen nicht mehr nur in seiner Unvollkommenheit zu helfen, sondern will das Übel des Verfalls und der Anfälligkeit gleichsam eliminieren. Stammzellen, Organe aus der Retorte und Genchirurgie sind die Bausteine dieses Projektes. Viele Hoffnungen von Kranken und künftigen Patienten sind daran geknüpft, angesichts der demographischen Entwicklungen immer mehr. Ein neuer Gesundheitsmarkt treibt bereits kräftig Blüten. Zugleich sind die neuen molekularen Einsichten und Werkzeuge die Keimzellen für noch weitreichendere posthumane Utopien, in der Mensch und Maschine endgültig und unentwirrbar miteinander verschmelzen, ja ineinander übergehen. Phantasien sind das längst keine mehr. In den Laboren hat sich eine biodigitale Parallelwelt und eine Überzeugung der Machbarkeit etabliert, die sich nirgendwo in unserer Alltagswelt spiegelt, nicht einmal in der Phantasie der allermeisten von uns - und deshalb umso mehr um das Vertrauen der Gesellschaft wird kämpfen müssen.

Joachim Müller-Jung

Joachim Müller-Jung leitet seit 2003 das Ressort Natur und Wissenschaft im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.). In Heidelberg, seiner Geburtsstadt, begann er sein Biologie-Studium, das er in Köln vertiefte und mit einer Diplomarbeit über die Reptilienfauna Madagaskars in Köln abschloss. Nach seinem Volontariat bei der Kölnischen Rundschau wurde er F.A.Z.-Redakteur.  Seine wissenschaftsjournalistischen Schwerpunkte hat er in der Medizin, Kognitionsforschung, Ökologie und der Klimaforschung, sein feuilletonistisches Interesse als Autor und Essayist gilt den Grenzgängen zwischen Wissenschaft, Philosophie und Politik.

Joachim Müller-Jung