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ForschungZeitabhängige Berechnung eines Bose-Einstein-Kondensats

7. Juli 2021

Heidelberger Physiker wenden neues analytisches Verfahren auf Natriumatome an

Mit dem Begriff Bose-Einstein-Kondensat wird ein Zustand von Materie beschrieben, in dem sich Atome oder Elementarteilchen bei starker Abkühlung zu einem einzigen quantenmechanischen Objekt zusammenschließen. Wie genau diese makroskopischen Zustände – jenseits der klassischen Physik – innerhalb von nur wenigen Millisekunden aus einer thermischen Atomwolke entstehen und wann statistisches Gleichgewicht erreicht wird, ist nach Angaben von Prof. Dr. Georg Wolschin noch nicht vollständig geklärt. Dem Physiker an der Universität Heidelberg ist es nun gelungen, anhand eines neuen, von ihm entwickelten theoretischen Modells ein Bose-Einstein-Kondensat aus Natriumatomen zeitabhängig zu berechnen.

Bose-Einstein Kondensat

Bei der Bildung eines Bose-Einstein-Kondensats formen bosonische Atome – solche mit ganzzahligem Spin – ein Gas, das bei sehr tiefen Temperaturen in der Nähe des absoluten Nullpunktes von -273,5 Grad Celsius kondensiert. Dieses Phänomen in der Theoretischen Physik wurde 1924 von Albert Einstein auf der Grundlage einer Theorie des indischen Physikers Satyendra Nath Bose vorhergesagt und 1995 experimentell nachgewiesen. „Um die an der Bildung eines solchen Kondensats beteiligten Vorgänge nachvollziehen zu können, muss der Anteil der Kondensatatome als Funktion der Zeit berechnet werden, was erheblichen mathematischen Aufwand bedeutet“, erläutert Prof. Wolschin.

Der Wissenschaftler hat dazu ein Modell entwickelt, das auf Natrium-23 und andere bosonische Atome angewendet werden kann. Es basiert auf der Berechnung von exakten Lösungen einer nichtlinearen Differenzialgleichung. Derartige Gleichungen mit den physikalisch notwendigen Randbedingungen lassen sich nur in seltenen Fällen analytisch lösen. Mit Hilfe dieser Lösungen kann modelliert werden, in welchen Zeiträumen die Atome durch evaporative Kühlung – die gezielte Entfernung von besonders energiereichen Atomen – so weit heruntergekühlt werden, dass der Phasenübergang in ein Bose-Einstein-Kondensat stattfindet. Dieser Kühlvorgang ist eine Grundvoraussetzung für die Bildung von Bose-Einstein-Kondensaten.

Nach den Berechnungen von Prof. Wolschin und Master-Student Alessandro Simon – jetzt Doktorand an der Universität Tübingen – entstehen Bose-Einstein-Kondensate in Natriumatomen innerhalb eines Zeitraumes von ungefähr 50 Millisekunden nach Kühlen auf die kritische Temperatur; statistisches Gleichgewicht wird in Natriumatomen nach etwa 300 Millisekunden erreicht. „Unser Ergebnis stimmt gut mit experimentellen Daten des Massachusetts Institute of Technology aus dem Jahr 1998 überein. Es legt gleichzeitig jedoch nahe, dass auch bei anderen Atomen wie Lithium oder Rubidium, die ganz andere Zeitskalen haben können, neue und präzisere Messungen benötigt werden, um zu einem besseren Verständnis von zeitabhängiger Kondensatbildung und statistischer Equilibrierung zu gelangen“, so der Physiker. Der Abgleich von Theorie und experimentellen Daten ist nach den Worten von Prof. Wolschin insbesondere deshalb wichtig, weil die Theorie nur dadurch verifiziert, verfeinert und weiterentwickelt werden kann.

Die Forschungsergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Physica A: Statistical Mechanics and its Applications“ veröffentlicht.

Originalpublikation

A. Simon, G. Wolschin: Time-dependent condensate fraction in an analytical model. Physica A: Statistical Mechanics and its Applications (17 March 2021)

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