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Interview mit Ionica SmeetsWie funktioniert Wissenschaftskommunikation?

20. Oktober 2022

Interview mit Ionica Smeets, Nature Marsilius Gastprofessorin für Wissenschaftskommunikation im Sommersemester 2022

Ein Patentrezept für gute Wissenschaftskommunikation gibt es nicht, sagt Prof. Dr. Ionica Smeets. Sie ist Wissenschaftlerin an der Universität Leiden (Niederlande) und leitet dort die Forschungsgruppe Wissenschaftskommunikation und Gesellschaft. Gute Wissenschaftskommunikation beginnt mit der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen – für die eigene Forschung und dafür, wie sie in der Gesellschaft wirkt. Warum das so wichtig ist, erklärt Prof. Smeets im Interview.

Porträt Ionica Smeets

Sie sind promovierte Mathematikerin, haben lange als Wissenschaftsjournalistin gearbeitet und forschen nun auf dem Gebiet der Wissenschaftskommunikation. Wie kam es dazu?

Smeets: Das hat sich mehr oder weniger zufällig ergeben. Ich habe schon immer gern geschrieben, war aber auch gut in Mathematik. Dieses Talent wollte ich nicht vergeuden. Während des Promotionsstudiums fiel mir auf, dass es für Menschen mit Interesse an mathematischen Fragestellungen kaum Möglichkeiten gab, sich auf allgemeinverständlichem Niveau zu informieren. Gemeinsam mit einer Kommilitonin kam mir die Idee zu einem Mathe-Blog. Dieser Blog wurde sehr beliebt, es kamen Anfragen für das Fernsehen und die nationalen Zeitungen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits Kurse in Wissenschaftsjournalismus belegt und mir wurde klar, dass ich lieber bis spät abends an einem Zeitungsartikel zu einem mathematischen Thema arbeitete als an meiner Dissertation. Will man verstehen, wie Wissenschaftskommunikation funktioniert, sollte man sie auch studieren. Jetzt leite ich eine eigene Forschungsgruppe und betreue einen Masterstudiengang zu diesem Thema.
 

Sie erforschen, wie Wissenschaftskommunikation zur Annäherung von Wissenschaft und Gesellschaft beitragen kann. Was macht gute Wissenschaftskommunikation aus?

Smeets: Es geht darum, Dialoge aufzubauen, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen und Ideen auszutauschen. Wissen kommt heutzutage aus verschiedenen Quellen und die Wissenschaft ist nur eine davon. Das müssen wir ernst nehmen. Nur mit Fakten daherzukommen, halte ich für keine gute Idee, denn Wissenschaft hat auch eine sehr emotionale Dimension. Gute Wissenschaftskommunikation beginnt damit, dass ich mich frage, was ich erreichen möchte. Möchte ich über einen Sachverhalt informieren? Oder möchte ich eine Einstellung oder Meinung zu einem bestimmten Thema beeinflussen oder vielleicht sogar ändern? Das sind zwei sehr unterschiedliche Anliegen. Manchmal will man die Menschen einfach für ein Thema begeistern. Wenn ich zum Beispiel eine Grundschule besuche und den Kindern etwas über Mathematik erzähle, will ich damit nicht erreichen, dass sie eine neue Rechenart lernen. Sie sollen mit dem Gedanken nach Hause gehen, dass die Wissenschaft auch für sie spannend sein kann – insbesondere, wenn es sich um Kinder aus eher bildungsfernen Familien handelt. Das ist aus meiner Sicht ein sehr lohnendes Ziel. Die wirklich komplizierte Frage – und das ist eine schwierige Diskussion innerhalb der Wissenschaft – lautet, wo man die Linie zum Aktivismus zieht. Was bedeutet es, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen? Soll man zum Beispiel versuchen, die Menschen davon zu überzeugen, das Rauchen aufzugeben? Ein Onkologe würde mit Sicherheit zustimmen. Aber bedeutet das auch, dass ein Klimaforscher sich aktiv für einen Politikwechsel einsetzen oder versuchen sollte, das Verhalten der Leute zu ändern? Das sind meines Erachtens die schwierigen Entscheidungen.

Gute Wissenschaftskommunikation beginnt damit, dass ich mich frage, was ich erreichen möchte. Möchte ich über einen Sachverhalt informieren? Oder möchte ich eine Einstellung oder Meinung zu einem bestimmten Thema beeinflussen oder vielleicht sogar ändern? Das sind zwei sehr unterschiedliche Anliegen.

Ionica Smeets

Warum sollte man als Wissenschaftler überhaupt Zeit in den Austausch mit der Öffentlichkeit investieren?

Smeets: Eine Demokratie funktioniert nur dann, wenn die darin lebenden Menschen in der Lage sind, gute und informierte Entscheidungen zu treffen. Der Wissenschaft kommt hier eine besondere Verantwortung zu. Das spiegelt sich auch in der Gesetzgebung. Wissenschaftliche Erkenntnisse der Öffentlichkeit zugänglich zu machen ist neben Forschung und Lehre eine wesentliche Aufgabe von Universitäten. Das bedeutet nicht, dass ich als Mathematikerin jedes noch so kleinste Detail meiner Arbeit allgemeinverständlich aufbereiten muss. Aber die Frage, warum man sich überhaupt mit den Grundlagen der Mathematik befassen sollte, muss ich als Wissenschaftlerin beantworten können. Es geht um mathematische Konzepte für das tägliche Leben – grundlegende rechnerische und statistische Kenntnisse, die dazu befähigen, Lebensentscheidungen zu treffen. Hierfür sollten wir innerhalb unseres eigenen Forschungsgebiets Verantwortung übernehmen. Das gilt für die Naturwissenschaften ebenso wie für die Geistes- und Sozialwissenschaften.

Gibt es auch Themen, die sich gar nicht oder nicht gut kommunizieren lassen?

Smeets: Ich dachte lange, dass die Mathematik ein solches Themengebiet sei, weil sie abstrakt ist und ein gewisses Vorwissen voraussetzt. Mittlerweile bin ich der Meinung, dass die Mathematik zu den einfach zu kommunizierenden Themen gehört, weil es kaum Widerstand gibt. Niemand kommt auf die Idee, Primzahlen in Frage zu stellen. Ganz anders sieht es mit großen, interdisziplinären Themen aus, wie dem Klimawandel oder Impfungen. Zu diesen Themen ist es aus meiner Sicht unglaublich schwer, gute Wissenschaftskommunikation zu machen.

Das hat viel mit dem Vertrauen in die Wissenschaft zu tun. Wie ist es darum bestellt? Und wie erreicht man Menschen, die wissenschaftliche Erkenntnisse anzweifeln?

Smeets: Das Vertrauen in die Wissenschaft ist immer noch hoch. Die Gruppe, die der Wissenschaft misstraut, ist während der Corona-Pandemie sogar geschrumpft. Sie ist sehr laut, aber nicht sehr groß. Umfragen zufolge sind die Menschen in Deutschland und in den Niederlanden zwar der Meinung, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht genug Zeit damit verbringen, ihre Forschung zu erklären. Trotzdem vertrauen sie uns und das sind gute Nachrichten. Gleichwohl sollte man strategisch vorgehen. Diejenigen, die der Wissenschaft gegenüber sehr kritisch eingestellt sind, wird man mit Fakten nicht überzeugen. Meistens misstrauen diese Menschen nicht nur der Wissenschaft, sondern Institutionen allgemein. Es gibt aber eine sehr große Gruppe dazwischen, der zu einem bestimmten Thema vielleicht einfach das nötige Wissen fehlt. Während der Corona-Pandemie wurden in den Niederlanden Menschen mit geringer Lesekompetenz dazu befragt, warum sie sich nicht impfen ließen. Es stellte sich heraus, dass sie keineswegs alle Impfgegner waren. Größtenteils waren ihre Beweggründe andere. Einige wussten schlicht und einfach nicht, wie man einen Termin vereinbart. Andere dachten, dass sie für die Impfung zahlen müssten, und das konnten sie sich nicht leisten. Gruppen wie diese müssen wir erreichen und dafür bedarf es richtig guter Kommunikationsformate.

Eine Demokratie funktioniert nur dann, wenn die darin lebenden Menschen in der Lage sind, gute und informierte Entscheidungen zu treffen. Der Wissenschaft kommt hier eine besondere Verantwortung zu.

Ionica Smeets

Einen sehr direkten Weg, mit der Öffentlichkeit in den Dialog zu treten, bieten die Sozialen Medien. Wie denken Sie darüber?

Smeets: Zunächst einmal macht es einen großen Unterschied, ob man als Einzelperson oder als Institution kommuniziert. Im vergangenen Jahr sind Wissenschaftler in den Niederlanden, aber auch in Deutschland und anderswo ziemlich in die Schusslinie geraten. Einige sind nach wie vor präsent in den Sozialen Medien und das ist großartig. Es wäre schlimm, wenn alle Stimmen der Vernunft aus dem öffentlichen Diskurs verschwänden und er Leuten überlassen würde, die kein Fachwissen besitzen. Wenn ich über die Sozialen Medien kommunizieren möchte, muss ich zunächst das Medium identifizieren, mit dem ich am besten zurechtkomme. Ich persönlich bevorzuge Twitter und finde es toll, auf dieser Plattform mit meinen über 80.000 Followern in den Dialog zu treten und auch zu diskutieren. Instagram dagegen verstehe ich überhaupt nicht. Ich bin kein visueller Mensch. Wenn man jedoch das passende Medium gefunden und gut durchdacht hat, wie man es einsetzen möchte, kann das sehr wirkungsvoll sein.

Kann Wissenschaftskommunikation auch schiefgehen? Welche Herausforderungen sehen Sie?

Smeets: Die Herausforderungen sind beträchtlich. Es fängt damit an, wie ich Ungewissheiten in der Forschung kommuniziere. Die Leute mögen die Sicherheit und bevorzugen klare Antworten. Das war schon immer so. Wie vereinfacht man also einen komplexen wissenschaftlichen Sachverhalt, ohne ihn zu verfälschen? Ein weiteres Thema sind persönliche Angriffe. So etwas lässt sich kaum kontrollieren. Man kann natürlich versuchen, sich nicht in öffentliche Debatten hineinziehen zu lassen. Oft passiert genau das aber doch, ob man will oder nicht. Auch Institutionen kann so etwas passieren. Man muss also vorbereitet sein und wissen, wie man mit solchen Situationen umgeht. Ein berühmtes, sehr politisches Beispiel ist der Fall des Biologen [Arthur Galston], der unfreiwillig zur Entwicklung von Agent Orange beigetragen hat. Im Rahmen seiner Forschungsarbeiten experimentierte er mit einer Substanz, die Sojapflanzen schneller wachsen und früher blühen lässt. Dass Pflanzen ihre Blätter abwerfen, wenn zu viel von der Substanz verwendet wird, war eine seiner Beobachtungen. Sie wurde später genutzt, um das Entlaubungsmittel Agent Orange zu entwickeln. Er [Galston] war sehr bestürzt darüber, dass seine Forschungsergebnisse für diesen Zweck verwendet wurden. Er protestierte, engagierte sich politisch und hielt Vorträge. Er war der Ansicht, dass man sich als Wissenschaftler nicht von den gesellschaftlichen Auswirkungen der eigenen Forschung distanzieren kann. Und das ist meiner Meinung nach heute ebenso wahr wie damals. Die Wissenschaft reklamiert oft für sich, ein Garant des Fortschritts zu sein, die Welt zu verbessern. Im Gegenzug muss sie Verantwortung für das übernehmen, was passiert – auch für Dinge, die negative Konsequenzen haben.

Ist Wissenschaftskommunikation eigentlich nur etwas für Naturwissenschaftler? Welche Erfahrungen haben Sie in Heidelberg gemacht?

Smeets: Sehr viel Wissenschaftskommunikation kommt tatsächlich aus den Naturwissenschaften. Das trifft auch im internationalen Vergleich zu. Ich finde es schade, dass es Kommunikationswettbewerbe gibt, an denen nur Promovierende aus naturwissenschaftlichen oder medizinischen Disziplinen teilnehmen dürfen. Es ist auch in anderen Fächern wie Geschichte oder Psychologie sehr wichtig, gut zu kommunizieren. Die Teilnehmer der Workshops hier in Heidelberg kamen aus sehr unterschiedlichen Forschungsfeldern, so wie ich es aus den Niederlanden kenne. Dabei gab es auch deutliche Unterschiede, was das Vorwissen angeht. Einige hatten schon Dinge ausprobiert, die andere erst lernen wollten. Mich hat überrascht, dass ziemlich viele Physiker unter den Teilnehmern waren. In den Niederlanden ist es ziemlich schwierig, Physiker für ein Kommunikationstraining zu gewinnen.

Haben Sie auch Unterschiede beobachtet?

Smeets: In Deutschland scheint es weniger üblich zu sein, als einzelner Wissenschaftler den Kontakt mit der Öffentlichkeit zu suchen. In den Niederlanden gibt es Institutionen wie Wissenschaft im Dialog, das Nationale Institut für Wissenschaftskommunikation oder das Science Media Center nicht. Hier meine ich, so etwas wie den Carl-Sagan-Effekt zu beobachten. Carl Sagan wurde der Zugang zu wissenschaftlichen Gesellschaften verwehrt, weil er populärwissenschaftliche Bücher schrieb und Fernsehserien moderierte. Schaut man sich seine Publikationen, Zitationen und all die traditionellen Kennzahlen an, die zur Messung wissenschaftlicher Exzellenz herangezogen werden, schnitt er jedoch besser ab als diejenigen, die aufgenommen wurden. Der Carl-Sagan-Effekt beschreibt das Phänomen, dass Wissenschaftler, die sich im Dialog mit der Öffentlichkeit hervortun oder im Fernsehen auftreten, von ihren Kollegen weniger ernst genommen werden. Dabei zeigt die Literatur, dass das Unsinn ist, dass sie ebenso gute oder sogar bessere Wissenschaftler sind. In den Niederlanden hat sich in den vergangenen zehn Jahren ein Wandel vollzogen. Die Bereitschaft, Talent auf diesem Gebiet anzuerkennen und zu belohnen und sich auf Diskussionen einzulassen, ist gestiegen. Es gibt mittlerweile auch wesentlich vielfältigere Karrierewege. Hier in Heidelberg habe ich mit mehr jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gesprochen, denen davon abgeraten wurde, zu viel Zeit in Kommunikationsaktivitäten zu stecken oder ihre Erfahrungen auf diesem Gebiet zu erwähnen, wenn sie sich bewerben. Auch hier findet ein Wandel statt, aber sowas kommt noch vor.

Sollte Wissenschaftskommunikation flächendeckend an Universitäten eingeführt werden?

Smeets: Nicht jede Wissenschaftlerin, nicht jeder Wissenschaftler sollte Wissenschaftskommunikation machen. Das Ziel darf nicht sein, dass alle alles machen müssen, sondern dass alles von jemandem aus der Wissenschaft gemacht wird. Ich halte es aber für sinnvoll, Studierenden bereits zu Beginn ihrer akademischen Laufbahn bewusst zu machen, dass es so etwas wie Wissenschaftskommunikation gibt und dass sie einen Karriereweg bieten kann. An der Universität Leiden bieten wir aus diesem Grund Gastvorlesungen im Bachelorstudium an. Außerdem gibt es Kurse zu Wissenschaftskommunikation, die Bestandteil von Studiengängen sind, zum Beispiel in der Biologie. Das wollen wir gern ausweiten auf andere Studiengänge, insbesondere auf solche, die gute Kommunikationsfähigkeiten erfordern. Und dann gibt es einen Masterstudiengang in Wissenschaftskommunikation, der als Vertiefungsrichtung innerhalb bestehender Studiengänge angeboten wird. Wer diese Spezialisierung wählt, lernt die Theorie und wendet evidenzbasierte Methoden der Wissenschaftskommunikation an. Dieser Aspekt ist mir sehr wichtig. Wissenschaft ist evidenzbasiert. Warum sollte man sich auf sein Bauchgefühl verlassen, wenn es darum geht, wissenschaftliche Erkenntnisse zu kommunizieren? Will man auf wissenschaftlichem Niveau arbeiten, muss man gewisse Qualitätsstandards einhalten. Es genügt nicht, irgendetwas zu machen. Man muss überprüfen, ob das, was gemacht wird, gut ist. Die Effekte von Wissenschaftskommunikation müssen messbar sein.

Zur Person

Ionica Smeets hat Angewandte Mathematik an der Technischen Universität Delft (Niederlande) studiert und wurde 2010 mit einer Arbeit zum Thema „On continued fraction algorithms“ an der Universität Leiden promoviert. Dort ist sie seit 2015 als Professorin tätig und leitet in Leiden die Forschungsgruppe Wissenschaftskommunikation und Gesellschaft. Seit 2004 arbeitet sie als freiberufliche Journalistin unter anderem für die Zeitung „de Volkskrant“, in der auch eine wöchentliche Kolumne von ihr erscheint. Zugleich vermittelt sie in zahlreichen TV-Formaten wissenschaftliche Themen. Im Rahmen der Nature Marsilius Gastprofessur für Wissenschaftskommunikation an der Universität Heidelberg hat Prof. Smeets Vorlesungen gehalten und verschiedene Workshops gestaltet, um insbesondere junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler darin zu schulen, ihre Forschung einem breiten Kreis von Adressaten zu vermitteln und zum gesellschaftlichen Dialog beizutragen.