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ForschungStreckbank für Zellen

22. März 2021

Eine wenige Mikrometer kleine Vorrichtung, mit der die Reaktion auf mechanischen Stress untersucht werden kann

Das Verhalten von Zellen – etwa bei der Wundheilung – wird durch biologische Faktoren und chemische Substanzen gesteuert, aber auch physikalische Kräfte wie Druck oder Zug spielen dabei eine Rolle. Eine nur wenige Mikrometer kleine Streckbank, mit der sich der Einfluss äußerer Kräfte auf einzelne Zellen analysieren lässt, haben Forscherinnen und Forscher des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und der Universität Heidelberg im Rahmen des gemeinsamen Exzellenzclusters „3D Matter Made to Order“ entwickelt. Mithilfe eines 3D-Druckverfahrens stellen sie Mikro-Gerüste her, auf deren jeweils vier Pfeilern sich eine Zelle ansiedelt. Auf ein äußeres Signal hin werden sie auseinander gedrückt – die Zelle muss sich „strecken“.

Elektronenmikroskopische Aufnahme des „leeren“ Gerüsts (ohne Hydrogel), mit dessen Hilfe ein internationales Forschungsteam einzelne Zellen deformiert hat.

Für die Herstellung ihrer Zell-Streckbänke nutzten die Wissenschaftler das „direkte Laserschreiben“, ein spezielles 3D-Druckverfahren. Dabei wird ein Laserstrahl computergesteuert in eine spezielle flüssige Druckertinte fokussiert. Deren Moleküle reagieren nur an den beleuchteten Stellen und bilden dort ein festes Material. Alle anderen Bereiche bleiben flüssig und lassen sich wegwaschen. Damit können dreidimensionale Strukturen auf der Mikrometerskala und darunter aufgebaut werden.

Im aktuellen Fall verwendeten die Forscher drei verschiedene Druckertinten. Eine Tinte aus protein-abweisendem Material diente der Herstellung des eigentlichen Mikro-Gerüsts. Mit einer zweiten Tinte aus protein-anziehendem Material fertigten sie anschließend vier Balken, die jeweils mit einem der Gerüstpfeiler verbunden sind. Auf diesen vier Balken verankert sich die Zelle. Mit einer dritten Tinte „druckten“ die Wissenschaftler schließlich eine Masse im Inneren des Gerüstes. Wird eine spezielle Flüssigkeit hinzugegeben, dehnt sich diese Hydrogel-Masse aus. Sie entwickelt eine Kraft, die ausreicht, um die Pfeiler mitsamt den Balken zu bewegen – und somit die Zelle zu strecken.

Auf diese Mikro-Streckbank wurden zwei unterschiedliche Zellarten – humane Knochentumor-Zellen und embryonale Mäusezellen – gelegt. Die Forscher stellten fest, dass die Zellen den äußeren Kräften mit Motorproteinen aktiv entgegenwirken und ihre Zugkräfte auf diese Weise stark erhöhen. Wird die externe Streckung aufgehoben, so entspannen sich die Zellen wieder und kehren in ihren Ausgangszustand zurück. Damit demonstrieren sie ihre Anpassungsfähigkeit an eine dynamische Umgebung. Wenn sich die Zellen nicht mehr erholen würden, so die Wissenschaftler, wären sie nicht mehr in der Lage, ihre ursprüngliche Funktion – beispielsweise den Wundverschluss – zu erfüllen.

An den Arbeiten im Exzellenzcluster haben Heidelberger Forscher aus der biophysikalischen Chemie um Prof. Dr. Motomu Tanaka sowie Karlsruher Forscher aus der Physik und der Zell- und Neurobiologie mitgewirkt. Gemeinsam mit australischen Experten waren auch Wissenschaftler des deutsch-japanischen Universitätskonsortiums HeKKSaGOn beteiligt.

Im Exzellenzcluster „3D Matter Made to Order“ (3DMM2O) forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie und der Universität Heidelberg interdisziplinär an innovativen Technologien und Materialien für digitale skalierbare additive Fertigungsverfahren, um den 3D-Druck präziser, schneller und leistungsfähiger zu machen. Ziel ist es, die 3D-Fertigung und Materialverarbeitung vom Molekül bis zur Makrostruktur vollständig zu digitalisieren. Zusätzlich zur Förderung als Exzellenzcluster in der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder wird 3DMM2O durch die Carl-Zeiss-Stiftung gefördert.

Originalpublikation

M. Hippler, K. Weißenbruch, K. Richler, E. D. Lemma, M. Nakahata, B. Richter, C. Barner-Kowollik, Y. Takashima, A. Harada, E. Blasco, M. Wegener, M. Tanaka, M. Bastmeyer: Mechanical Stimulation of Single Cells by Reversible Host-Guest Interactions in 3D Micro-Scaffolds, Science Advances, 2020,