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ForschungMolekularer Motor

20. Februar 2020

Wissenschaftler zeigen, wie Zellen verklumpte Proteine entwirren

Wie Zellen verklumpte und damit funktionsunfähige Proteine entwirren, hat ein niederländisch-deutsches Wissenschaftlerteam unter Beteiligung von Forschern der Universität Heidelberg untersucht. Die Wissenschaftler beschreiben die Funktionsweise einer molekularen Maschine, die an freiliegenden Schleifen der Proteinketten zieht und sie so aus dem Proteinknäuel herauslöst. Die Forschungsergebnisse wurden in „Nature“ veröffentlicht.

Das Chaperon ClpB zieht eine freie Proteinkette durch seine zentrale Pore.

Proteine sind lange, gefaltete Ketten von Aminosäuren, die viele wichtige Funktionen in der Zelle ausführen – allerdings nur, wenn sie richtig gefaltet sind. Verklumpte Proteinketten dagegen sind nicht funktionsfähig und gelten als mitverantwortlich für zelluläre Alterungsprozesse und zahlreiche Krankheiten einschließlich neurodegenerativer Leiden wie zum Beispiel der Alzheimer-Demenz. Alle Organismen haben daher Moleküle entwickelt, die in der Lage sind, solche schädlichen Aggregate wieder aufzulösen. Die Frage, wie diese sogenannten Chaperone ihre Reparaturaufgabe meistern, ist Gegenstand der Forschung. Wichtige Antworten darauf haben Dr. Mario Avellaneda und Prof. Dr. Sander Tams aus Amsterdam gemeinsam mit den Heidelberger Wissenschaftlern Prof. Dr. Bernd Bukau und Privatdozent Dr. Axel Mogk anhand des bakteriellen Chaperon ClpB gefunden.

Das Chaperon ist ringförmig aufgebaut und besitzt einen zentralen, durchgehenden Kanal. Das ClpB greift sich eine freie Schleife einer verklumpten Proteinkette, die aus dem Aggregat herausragt, und zieht sie unter Aufwendung von Kraft durch seine zentrale Pore. Der gesamte Proteinklumpen ist zu groß, um durch die Pore zu passen. Einzelne Proteinketten kann ClpB dank seiner Zugkraft jedoch aus dem größeren Aggregat herausziehen. „Das Chaperon funktioniert dabei wie eine Art Motor, indem es die Ketten transportiert“, so Prof. Bukau, dessen Arbeitsgruppe am Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg (ZMBH) und am Deutschen Krebsforschungszentrum angesiedelt ist.

Nach dem Herauslösen aus dem Aggregat kann sich die Proteinkette wieder zusammenfalten und normal funktionieren. Indem alle Ketten einzeln herausgezogen, das heißt extrahiert werden, sorgt das Chaperon dafür, dass das gesamte Aggregat vollständig entwirrt wird. Die Proteinextraktion erfolgt dabei in winzigen Bewegungen, die die Forscher mit einer „optischen Pinzette“ vermessen haben. Ihre Funktion beruht darauf, dass Licht – in Form fokussierter Laserstrahlen – auf mikroskopische Objekte wie Kugeln aus Kunststoff oder Glas eine Kraft ausübt und diese Objekte dadurch bewegt werden können. Obwohl diese Kügelchen deutlich größer sind als Proteine, können dazwischen Proteinketten verankert und manipuliert werden, um Strukturänderungen zu messen. „Auf diese Weise konnten wir genau bestimmen, wie der ClpB-Motor die Ketten transportiert“, betont Dr. Mogk, Mitglied im Team von Prof. Bukau.

Dr. Avellaneda und Prof. Tams forschen am AMOLF-Institut, einem Forschungsinstitut zur Untersuchung physikalischer Zusammenhänge in komplexen Systemen. Die Arbeiten der deutsch-niederländischen Kooperation wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Helmholtz-Gesellschaft gefördert.

Originalpublikation

M. J. Avellaneda, K. B. Franke, V. Sunderlikova, B. Bukau, A. Mogk, S. J. Tans: Processive extrusion of polypeptide loops by a Hsp100 disaggregase, Nature 2020;