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Heidelberger Fälschungs-Studien-SammlungKunstfälschungen entlarven

Pressemitteilung Nr. 47/2022
31. Mai 2022

Die Heidelberger Fälschungs-Studien-Sammlung wird vor allem in der Lehre eingesetzt

Bekannte Kunstwerke von Renoir, Cézanne oder Picasso befinden sich im Bestand des Instituts für Europäische Kunstgeschichte der Universität Heidelberg? Nur scheinbar, denn es handelt sich in Wirklichkeit um Fälschungen. Sie sind Teil einer neu eingerichteten Sammlung, die insbesondere in der Lehre zum Einsatz kommt – so auch im Rahmen eines Seminars im laufenden Sommersemester 2022. Studierende sollen darin befähigt werden, Fälschungen zu entlarven. Die Kunstwerke unterschiedlicher Gattungen und aus verschiedenen Epochen stammen aus den Asservatenkammern der Landeskriminalämter in Berlin und München, in denen beschlagnahmte Objekte archiviert werden. Die Abkürzung der Heidelberger Fälschungs-Studien-Sammlung HeFäStuS ist angelehnt an Hephaistos, den griechischen Gott der Künste und des Handwerks.

Während eines Seminars untersucht Dr. Tina Öcal (blaue Maske) mit Studierenden ein gefälschtes Kunstwerk anhand der Rückseite des Bildträgers.

„In der Lehre setzen wir die Kunstfälschungen vor allem dazu ein, Studierende im praktischen Umgang mit solchen Objekten zu schulen. Als künftige Kunstexpertinnen und Kunstexperten werden sie für diesen Bereich sensibilisiert und mit Methoden zu deren Entlarvung vertraut gemacht“, betont Prof. Dr. Henry Keazor vom Institut für Europäische Kunstgeschichte. Gemeinsam mit seiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin Dr. Tina Öcal, deren Dissertation zum Thema Kunstfälschung gerade erschienen ist, betreut er die einzigartige Sammlung. Prof. Keazor und Dr. Öcal bieten in diesem Sommersemester dazu auch ein Seminar am Institut an. Dort werden die gefälschten Werke aus der Sammlung – unter anderem von Pierre Auguste Renoir, Paul Cézanne oder Pablo Picasso – unter verschiedenen Fragestellungen untersucht. Begleitet wird die Veranstaltung von ausgewählten Expertengesprächen und Demonstrationen materialtechnischer Instrumente, um nicht zuletzt dem interdisziplinären Charakter der Kunstfälschung im Bereich Kunsttechnologie, Naturwissenschaft, Kunstmarkt, Kriminalistik und Jurisprudenz Rechnung zu tragen. Im Rahmen eines im vergangenen Wintersemester angebotenen Seminars gelang es zum Beispiel, ausgehend von einer in der HeFäStuS aufbewahrten Fälschung einer Zeichnung des Künstlers Max Liebermann weitere Blätter aus der gleichen Fälscherwerkstatt zu identifizieren, die bis dahin als Originale galten.

Einen zusätzlichen Vorteil dieses forschenden Lernens anhand von Kunstfälschungen sieht Prof. Keazor darin, die Studierenden im direkten haptischen Umgang mit Werken zu schulen, der ihnen ansonsten im Studium weitgehend verwehrt bleibe. Dort spielen bislang die Verwendung digitaler Bildprojektionen die Hauptrolle oder auch Museumsbesuche, bei denen die Originale jedoch nur in großem Abstand und durch Glas geschützt betrachtet werden können. „Tatsächlich lässt sich alles, was in der Auseinandersetzung mit einem Original zu lernen ist, auch und sogar noch besser anhand einer Fälschung lernen: Gegenstandserfassung, Stilkritik, kunsthistorischer Kontext, Überprüfung der Provenienz und der angewendeten Technik sowie Kunstmarkt-Analyse“, so der Heidelberger Kunsthistoriker.

Wie wichtig das frühzeitige Heranführen an Kunstfälschungen in Lehre und Forschung ist, zeigen Fälschungsfälle nicht nur der jüngsten Vergangenheit. „Immer wieder stehen Experten diesen mehr oder weniger hilflos gegenüber und lassen sich von ihnen täuschen, da sie in ihrer Ausbildung mit der Faktur und den Strategien von Falsifikaten nicht vertraut gemacht wurden“, betont Henry Keazor. In dem universitätsinternen Datenbanksystem heidICON werden die archivierten Fälschungen digitalisiert, um einen ortsunabhängigen Zugriff auf Informationen sowie zugleich eine Auswertung aus diversen Blickwinkeln zu ermöglichen. Eingerichtet wurde die Sammlung im Frühjahr 2021 mit Unterstützung von Sponsoren wie Dr. Manfred Fuchs (Mannheim) sowie Prof. Dr. Rainer Wild (Heidelberg). In bestimmten zeitlichen Abständen werden immer neue und an den Lehr- und Forschungsbedarf angepasste Objekte nach Heidelberg überführt, so dass HeFäStuS dynamisch wächst – mittlerweile auch dank Schenkungen aus Privatsammlungen, so Prof. Keazor.

Die Dissertation von Dr. Öcal mit dem Titel „Gefälschte Zeit. Das Phänomen der Fälschung (in) der Kunstgeschichte seit dem Florentiner Ottocento“ ist als Open Access-Publikation über das Portal arthistoricum.net frei verfügbar. Dieser wissenschaftliche „Fachinformationsdienst Kunst, Fotografie, Design“ wird als webbasierte Infrastruktur von der Universitätsbibliothek Heidelberg gemeinsam mit der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden betrieben.