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Interdisziplinäre Projektgruppe Ethische und rechtliche Aspekte bei der Herausgabe genomischer Rohdaten

Pressemitteilung Nr. 137/2019
11. Dezember 2019

Interdisziplinäre Projektgruppe erarbeitet Stellungnahme und entwickelt Handlungsleitfaden

Die ethischen und rechtlichen Aspekte, die bei der Herausgabe von genomischen Rohdaten an erwachsene Patienten oder Studienteilnehmer zum Tragen kommen, hat eine Gruppe von Heidelberger Wissenschaftlern in einer Stellungnahme zusammengeführt. Basierend darauf wurde ein konkreter Handlungsleitfaden erarbeitet, der die betreffenden Personen zu einem kompetenten Umgang mit ihren eigenen Daten befähigen soll. Zugleich soll der Leitfaden Forschungseinrichtungen und Kliniken in die Lage versetzen, den Prozess der Datenherausgabe verantwortungsbewusst zu gestalten. Beteiligt waren Bioinformatiker, Humangenetiker, Molekularbiologen, Onkologen, Pathologen, Rechtswissenschaftler und Ethiker, die am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Heidelberg, am Universitätsklinikum Heidelberg, am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und an der Universität Heidelberg tätig sind. Sie gehören einer interdisziplinären Projektgruppe an, die am Marsilius-Kolleg der Universität und am DKFZ angesiedelt ist.

Die Möglichkeit, das Tumorgenom mit sogenannten Sequenzierverfahren zu analysieren, hat das Verständnis von Krebserkrankungen revolutioniert und liefert heute neue Ansatzpunkte für zielgerichtete Behandlungen. Entsprechend verfolgen translationale und patientennahe Forschungsprojekte das Ziel, Ärzte und Patienten über mögliche Therapieansätze zu informieren, die sich aus der molekularen Analyse ergeben. Patienten aus solchen Studien haben vereinzelt um die Herausgabe ihrer genomischen Rohdatensätze gebeten. Nach den gesetzlichen Vorgaben haben Patienten und Studienteilnehmer ein Recht darauf. Gleichzeitig wächst das Interesse an genomischen Daten generell – sei es, um Krankheitsrisiken frühzeitig zu erkennen oder um die genetische Herkunft der eigenen Familie zu recherchieren.

Genomische Rohdaten liefern dem Einzelnen ohne Analyse und Interpretation durch Fachleute keine Informationen, wie die Sprecherin der Projektgruppe „Ethische und Rechtliche Aspekte der Totalsequenzierung des menschlichen Genoms“ (EURAT), Prof. Dr. Dr. Eva Winkler, betont. „Die Datenanalyse kann jedoch zu sehr sensiblen Informationen über Krankheits- und Erbanlagen der betreffenden Personen selbst oder ihrer engeren Verwandten und Kinder führen. Zudem könnten insbesondere kommerzielle Anbieter eigene Interessen an den Daten haben, die über die Wünsche und Fragestellungen der Betroffenen hinausgehen“, sagt die Medizinethikerin, die den Forschungsschwerpunkt „Ethik und Patientenorientierung in der Onkologie“ am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Heidelberg und am Universitätsklinikum Heidelberg leitet.

Die EURAT-Projektgruppe hat die rechtlichen und ethischen Aspekte umfassend ausgewertet. Die daraus resultierende Stellungnahme setzt die Rechte von Patienten und Studienteilnehmern in Beziehung zu den Aufklärungs- und Informationspflichten, denen sich die involvierten Ärzte und Wissenschaftler gegenübersehen. Darauf baut der Handlungsleitfaden auf, der das Verfahren zur Datenherausgabe beschreibt. Die Daten werden ausschließlich derjenigen Person ausgehändigt, deren Genom sequenziert wurde. Dabei ist zentral, dass die erwachsenen Patienten und Studienteilnehmer über die Eigenschaften genomischer Rohdaten und die Risiken, die mit ihrer Nutzung einhergehen können, informiert werden.

„Mit der Thematik der Herausgabe genomischer Rohdaten betreten wir Neuland, nicht nur aus ethischer und rechtlicher Sicht, sondern auch auf organisatorischer Ebene. Mit dem Leitfaden wollen wir das informelle Selbstbestimmungsrecht von Patienten und Studienteilnehmern mit der Notwendigkeit verbinden, den Aufwand für die Herausgabe der Rohdaten in einem Rahmen zu halten, der vereinbar ist mit den primären Aufgaben von Forschern und Ärzten“, erläutert Prof. Winkler. „Hier sind die handelnden Personen auf praxistaugliche Handlungsempfehlungen angewiesen.“

Die EURAT-Projektgruppe wurde 2011 ins Leben gerufen, um konkrete Lösungen für zentrale Fragen bei der Einführung der Totalsequenzierung des menschlichen Genoms in die klinische Praxis zu entwickeln. Die Vorschläge zur Patienteninformation, zur Patienteneinwilligung und zum Datenschutz ebenso wie ein Kodex für Forscher wurden 2013 vorstellt. Im Jahr 2015 wurde eine zweite, aktualisierte Auflage der Stellungnahme vorgelegt.

 

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