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Forschungsstelle AntiziganismusEnzyklopädie soll NS-Völkermord an den Sinti und Roma Europas dokumentieren

Pressemitteilung Nr. 63/2020
29. Juli 2020

Auswärtiges Amt fördert großangelegtes Projekt an der Forschungsstelle Antiziganismus mit rund 1,2 Millionen Euro

Das historische Wissen zum nationalsozialistischen Völkermord an den Sinti und Roma Europas soll in einer großangelegten Enzyklopädie zusammengeführt und für die Forschung sowie die breite Öffentlichkeit bereitgestellt werden. Angesiedelt ist das internationale Projekt an der Forschungsstelle Antiziganismus der Universität Heidelberg. Die Ergebnisse werden zunächst online präsentiert. Darauf aufbauend erstellen die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem In- und Ausland ein mehrbändiges Handbuch in gedruckter Fassung. Erstmals soll dabei die europäische Dimension des Genozids in den Blick genommen werden. Die fünfjährigen Forschungsarbeiten unter Leitung der Historikerin Dr. Karola Fings, die jetzt gestartet wurden, werden vom Auswärtigen Amt mit rund 1,2 Millionen Euro gefördert.

Asperg - Deportation von Sinti und Roma, Marsch über die Königstraße

„Als Forschungsgegenstand war der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti und Roma lange Zeit randständig. Zwar sind in den vergangenen zwanzig Jahren wichtige Spezialstudien erschienen, das Wissen zu diesem Thema ist allerdings weiterhin stark fragmentiert“, erläutert Dr. Fings, ausgewiesene Expertin in diesem Forschungsfeld, die nach langjähriger stellvertretender Leitung des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln an die Heidelberger Forschungsstelle gewechselt ist. Ziel ist es, die bisherigen Forschungsergebnisse zu Ursachen, Strukturen und Verlauf zusammenzuführen und zu vertiefen. „Wir wollen dabei die Perspektive erweitern und auch die europäischen Dimensionen des Völkermordes berücksichtigen“, betont der wissenschaftliche Geschäftsführer der Forschungsstelle, Dr. Frank Reuter.

Neben Dr. Fings und Dr. Reuter werden zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem In- und Ausland zu der Enzyklopädie beitragen. Sie wird alphabetisch aufgebaut sein und rund 750 Stichwörter umfassen. Für die Handbuchbeiträge sollen überblicksartige Darstellungen zu einzelnen Ländern und Orten erarbeitet werden. Hinzu kommen Beiträge zu Ghettos und Lagern, zur rassistischen Gesetzgebung und zu Verfolgungsmaßnahmen wie Deportationen und Zwangssterilisation. Thematisiert werden auch Ereignisse wie etwa die Ermordung der Sinti und Roma im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau oder die Massaker an der Roma-Bevölkerung in von der Wehrmacht besetzten Ländern. Nicht zuletzt sollen Biographien von Personen – sowohl von Opfern als auch von Tätern – Eingang in die Enzyklopädie finden. Zu weiteren Themen zählen beispielsweise das Leben im Versteck oder Entschädigungszahlungen nach dem Ende des Nationalsozialismus.

In dem geplanten Handbuch sieht Dr. Fings eine Ergänzung zu dem 2012 in Berlin eingeweihten Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas: „Auch die Enzyklopädie soll dazu beitragen, diesen Völkermord noch stärker in das Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit zu rücken und das damit verbundene Wissen für die historisch-politische Bildung zugänglich zu machen“. An dem Projekt wirken als Kooperationspartner die Bundeszentrale für politische Bildung, das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma, das Dokumentationszentrum des österreichischen Widerstands, das Fritz Bauer Institut und die Stiftung Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Juden Europas mit. Ein Beirat wird die Entstehung der Enzyklopädie wissenschaftlich begleiten.

Die Forschungsstelle Antiziganismus ist Teil des Historischen Seminars der Universität Heidelberg und beschäftigt sich mit grundlegenden Studien zu Ursachen, Formen und Folgen des Antiziganismus in den europäischen Gesellschaften vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Mechanismen der Vorurteilsbildung und Praktiken der Diskriminierung werden historisch fundiert und theoriegeleitet auf unterschiedlichen Ebenen untersucht. Die wissenschaftlichen Ergebnisse sollen dabei in Zusammenhang gebracht werden mit Rassismus-, Stereotypen-, Gewalt- und Inklusionsforschung. Wissenschaftlicher Leiter ist der Heidelberger Historiker Prof. Dr. Edgar Wolfrum.

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