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Alles eine Frage der Intelligenz?

28. Mai 2019

Wissenschaftler untersuchen Zusammenhang zwischen individuellen Eigenschaften und kooperativem Verhalten

Wie sich einzelne Eigenschaften auf das kooperative Verhalten von Menschen auswirken, hat Dr. Andis Sofianos vom Alfred-Weber-Institut für Wirtschaftswissenschaften gemeinsam mit weiteren Wissenschaftlern untersucht. Im Interview gibt er Auskunft zur Studie. Die Forschungsergebnisse wurden im „Journal of Political Economy“ veröffentlicht.

Andis Sofianos

Was haben Sie in Ihrer aktuellen Studie untersucht?
Sofianos: Wir erforschten Persönlichkeitsmerkmale sowie Intelligenz und ihre Auswirkung auf die allgemeine soziale Interaktion. Wir haben Gruppen mit hoher und niedrigerer Intelligenz, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit zusammengestellt und dann gemessen, wie die Mitglieder jeder Gruppe untereinander interagieren und ob sich ihr kooperatives Verhalten in Abhängigkeit von den genannten Charakteristika verändert.

Können Sie diese Persönlichkeitsmerkmale etwas näher erläutern?
Sofianos: Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit gehören zum sogenannten Big-Five-Persönlichkeitsmodell, das häufig von Psychologen und Wirtschaftswissenschaftlern angewendet wird. Verträglichkeit beschreibt, wie rücksichtsvoll und vertrauensvoll jemand im Umgang mit anderen Menschen ist. Gewissenhaftigkeit hat dagegen eher mit Disziplin und der Befolgung von Regeln und Normen zu tun.

Und wie definieren Sie Intelligenz in Ihrer Studie?
Sofianos: Wir haben die kognitiven Fähigkeiten unserer Teilnehmer mithilfe des sogenannten Raven Tests gemessen. Dabei handelt es sich um einen weit verbreiteten, nonverbalen Intelligenztest, bei dem die Teilnehmer das fehlende Element in einer Musterreihe aus acht verschiedenen Optionen auswählen müssen. Wir haben die Anzahl der korrekten Antworten eines jeden Teilnehmers ausgewertet und diejenigen mit einem überdurchschnittlichen Ergebnis der Gruppe mit hoher Intelligenz, die anderen der Gruppe mit niedrigerer Intelligenz zugeordnet.

Was ist das auffallendste Ergebnis der Studie?
Sofianos: Alle Teilnehmer waren Studierende und die tatsächlichen Intelligenzunterschiede damit relativ gering. Auffallend war, dass selbst diese kleinen Unterschiede zwischen den Gruppen große Auswirkungen auf die Gewinne hatten, die die Teilnehmer erwirtschafteten. Die Teilnehmer in der Gruppe mit hoher Intelligenz erspielten beinahe doppelt so viel Geld wie die in der Gruppe mit niedrigerer Intelligenz. Das beweist, dass schon kleine Unterschiede ausreichen, um große Ungleichheiten entstehen zu lassen. In einer weiteren Untersuchung, bei der wir die Gruppe nicht nach Intelligenz aufteilten, beobachteten wir außerdem, dass intelligente Teilnehmer ihren weniger intelligenten Kollegen beibrachten zu kooperieren, anstatt sie auszunutzen. Das ist eine potenziell wichtige Erkenntnis, denn sie zeigt, dass auch eine kleine Anzahl intelligenter Individuen positive Effekte für die Gesellschaft als Ganze generieren kann. Eines möchte ich jedoch klarstellen: Wir behaupten nicht, dass intelligente Menschen grundsätzlich kooperativer sind. Im Kontext der von uns gestellten Aufgaben erkennen sie jedoch den langfristigen Nutzen von Kooperation und arbeiten daher zusammen. Ihr kooperatives Verhalten ist keine inhärente Wesenseigenschaft.

Inwiefern sind diese Ergebnisse auf aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen anwendbar?
Sofianos: Wirtschaftswissenschaftler versuchen herauszufinden, ob eine frühzeitige Förderung kognitiver Fähigkeiten möglich ist und inwieweit sich diese gegebenenfalls im weiteren Lebensverlauf in einem höheren Einkommen oder besseren Karrierechancen niederschlägt. Unsere Resultate implizieren, dass eine solche Strategie nicht nur Individuen, sondern der Gesellschaft insgesamt nutzen kann. Wenn wir auf diese Weise Menschen heranbilden, die vorausschauender sind oder langfristige Vorteile einer Kooperation besser einschätzen können, dann könnte dies den Zusammenhalt und die Kooperation innerhalb der Gesellschaft stärken und damit gleichzeitig auch die Entwicklung ertragreicherer Produktion in der Zukunft fördern.

Zur Sache

In der aktuellen Studie untersuchte ein Team von Wissenschaftlern, zu dem Dr. Andis Sofianos gehörte, wie sich die Merkmale Intelligenz, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit auf das kooperative Verhalten von Menschen auswirken. Durch spieltheoretische Versuche gelang es zu zeigen, dass der Faktor Intelligenz den größten und positivsten Langzeiteffekt auf kooperatives Verhalten hat, während sich die Persönlichkeitsmerkmale Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit nur kurzfristig signifikant auswirken. Die Wissenschaftler folgern daraus, dass Investitionen und Förderangebote im Bildungssektor nicht nur dem Einzelnen, sondern der Gesellschaft als Ganze zugutekommen, da Zusammenhalt dort am stärksten ist, wo Menschen in der Lage sind, die Konsequenzen ihres Handelns für sich und andere langfristig einzuschätzen. An der Studie waren auch Prof. Dr. Eugenio Proto von der Universität Bristol (Großbritannien) und Prof. Dr. Aldo Rustichini von der Universität Minnesota (USA) beteiligt.

Zur Person

Andis Sofianos studierte Wirtschaftswissenschaften und Psychologie an der University of Warwick in Coventry (Großbritannien), an der er im Jahr 2016 auch promoviert wurde. Als Gastwissenschaftler forschte er an der University of Minnesota in Minneapolis (USA). Seit 2017 ist Andis Sofianos als Postdoktorand am Alfred-Weber-Institut für Wirtschaftswissenschaften der Universität Heidelberg tätig. Sein Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich der experimentellen Ökonomie.

Originalpublikation

E. Proto; A. Rustichini; A. Sofianos: Intelligence, Personality, and Gains from Cooperation in Repeated Interactions. Journal of Political Economy (published online 10 April 2019),

DOI: 10.1086/701355