Entnazifizierung 2 von 3
Aber es folgt kein „glorious summer“ auf den „winter of discontent“. Doch auch der äußere Abstand von den letzten Kampfeswochen war seit April immer stärker zu spüren.
Fritz Ernst (Tagebuch, 13. Mai)
Das „Merkblatt“ wirbt bei den heimkehrenden Kriegsgefangenen um Verständnis für die Probleme vor Ort, insbesondere die Wohnungsknappheit. Inwieweit das Bild der unzerstörten Schlossruine tatsächlich Trost spenden konnte, hing sicherlich stark vom Einzelfall ab. Die meisten Kriegsgefangenen kehrten bis zum Jahr 1948 zurück, aus dem vermutlich auch das Merkblatt stammt. Während ihnen die unversehrten Straßenzüge ein vertrautes Bild boten, wohnten in den Häusern oft Unbekannte. Neben den 9.000 Evakuierten aus Mannheim hatte Heidelberg bereits im Juli 1945 12.000 amerikanische Soldaten und Offiziere aufnehmen müssen. So war es nicht unwahrscheinlich, dass ein heimkehrender Familienvater fremde Menschen in seiner Wohnung oder gar seine Familie in einem ganz anderen Haus vorfand. Wegen des Mangels an Kleidung musste er seine Uniform umfärben lassen und zunächst einfach weiter tragen. Als die Militärregierung dies ab dem 1. Dezember untersagte, rief die Stadt zu Sachspenden „für unsere ehemaligen Soldaten“ auf und drohte mit Beschlagnahmung, wenn nicht genügend Herrenanzüge, Mäntel und Hemden zusammenkämen.

Bereits vor der stadtweiten Registrierung der NSDAP-Mitglieder hatte die Militärregierung mit der Entnazifizierung der Heidelberger Verwaltung begonnen. Stadtkommandant Haskell teilte Amberger mit, dass die Neckarstadt als „Probefall“ für eine Zusammenarbeit zwischen Amerikanern und Deutschen angesehen werde. Er und seine Vorgesetzten legten „größten Wert auf eine schnelle und strenge Durchführung der Säuberungsaktion“. Einer ersten Liste, in der Amberger 100 „untragbare Parteimitglieder“ zu benennen hatte, sollten im Wochentakt weitere folgen. Die erste Bekanntmachung, die die US-Amerikaner am 26. April 1945 veröffentlichten, enthielt eine bunte Zusammenstellung der „Säuberungen“: vom Oberbürgermeister Neinhaus und seinen Amtskollegen in den umliegenden Gemeinden über Beamte der diversen Behörden bis hin zu Bankangestellten und Boten. Aber auch ein Musiker, ein Tierarzt, ein Lumpensammler und vier Frauen waren darunter gewesen. Amberger und sein Nachfolger entließen auf Befehl der Militärregierung bis Anfang November 517 Personen (26 Prozent der städtischen Bediensteten). Diese hatten zuvor in Fragebögen ihre politische Belastung offenlegen müssen, die aber nicht das einzige Kriterium waren. So sollte das technische Personal zuletzt Merkblatt für die nach Heidelberg heimkehrenden Kriegsgefangenen, undatiert entlassen werden, da es am schwersten zu ersetzen war

Die Ausrottung des Nationalsozialismus war eines der erklärten Kriegsziele der Siegermächte. Schwieriger als das Verbot der Partei war die Klärung der Frage: Wer war überhaupt Mitglied der NSDAP gewesen? Auch für die Militärregierung in Heidelberg hatte die Entnazifizierung oberste Priorität. Stadtkommandant Haskell entwarf hierfür ein Formular und beauftragte die Stadt mit der Durchführung: Alle Meldepflichtigen hatten sich an Ausgabestellen eine postkartengroße, zweisprachige Meldekarte abzuholen, diese „sorgfältig und gewissenhaft“ auszufüllen und gegen Quittung im Gebäude der Alten Universität oder im Handschuhsheimer Rathaus abzugeben. Da die Brücken zerstört waren, musste die Registrierung an diesen beiden Orten erfolgen. Damit delegierte die Militärregierung bereits früh wichtige Aufgaben an die Stadtverwaltung. Die ausgefüllten Meldekarten und eine aus ihnen erstellte Mitgliederliste der NSDAP mussten jedoch wieder bei ihr abgegeben werden. Über deren weitere Verwendung ist nichts bekannt, vermutlich dienten sie als Grundlage für Entlassungen und Vermögensbeschlagnahmungen. Am 19. Mai gab Amberger das Ergebnis von 5.822 registrierten Parteimitgliedern bekannt. Nicht berücksichtigt waren allerdings diejenigen Nationalsozialisten, die geflohen, untergetaucht oder in den ersten Tagen der Besatzung interniert worden waren, wie etwa Kreisleiter Wilhelm Seiler, sowie die zur Wehrmacht eingezogenen Heidelberger, die sich in Kriegsgefangenschaft befanden.

