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Kontakt

Dr. Robert Langer
Seminar für Sprachen und Kulturen des Vorderen Orients
Abteilung Islamwissenschaft
Tel. +49 6221 54-3703
robert.langer@ori.uni-heidelberg.de

Forschungsstelle "Handschriften aus alevitischen Familienarchiven"

 
Weitere Sammlungen in der Abteilung Islamwissenschaft

Ethnographische Filme und Bilder

Im Rahmen des Sonderforschungsbereichs „Ritualdynamik“ (2002 bis 2013) ist ein Archiv von ethnografischen Filmen und Fotografien entstanden, das die religiöse Praxis der Aleviten in der heutigen Zeit dokumentiert – vom kleinen anatolischen Dorf über die Großstadt Istanbul bis hin zur deutschen Diaspora. Mehr als 300 Filme und 1.000 Standbilder hat Islamwissenschaftler Robert Langer bei Forschungsreisen in der Türkei, Deutschland, Armenien und Bulgarien aufgenommen. Ergänzt wird dieser Bestand, der bei rund 50 Ereignissen zwischen 2003 und 2011 entstanden ist, durch Interviews mit einzelnen Gläubigen. Die Aufnahmen sind in der Bibliotheksdatenbank HeidIcon archiviert, aber aus Gründen des Datenschutzes noch nicht allgemein zugänglich.

Osmanische Drucke und Zeitungen

Als Teil der Institutsbibliothek beherbergt die Heidelberger Islamwissenschaft eine Sammlung von Drucken aus dem 19. Jahrhundert bis zur Schriftreform im Jahr 1928. Historiographische Werke sowie Gesetzessammlungen und Parlamentsakten finden sich hier ebenso wie Pamphlete und Traktate aus jungtürkischer Zeit, zum Beispiel politische Texte, die gegen den Sultan gerichtet sind, oder zur Stellung der Frau in der Gesellschaft. Einen besonderen Sammelschwerpunkt bildet eher „randständige“ Literatur, etwa landwirtschaftliche Hefte zur Ziegen- oder Hühnerzucht – viele dieser Werke sind selten und vermutlich die einzigen Exemplare in Westeuropa. Der Bestand von bisher rund 350 Bänden wird kontinuierlich erweitert, zuletzt durch die Übernahme eines Nachlasses von Provinzjahrbüchern vom Balkan und aus Anatolien, die einen hohen Quellenwert für die regional orientierte Forschung haben. In der Lehre spielen diese Bibliotheksbestände eine zentrale Rolle als Grundlage der osmanischen Sprachausbildung.

„Sammlung Unbehaun“

Ebenfalls zur Bibliothek gehört ein Kopienbestand aller osmanischen Zeitungen, die von Mitte des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts in der anatolischen Provinz Sivas erschienen sind. Diese „Sammlung Unbehaun“ – benannt nach ihrem Stifter, dem Nürnberger Orientalisten Horst Unbehaun – ist noch nicht systematisch aufgearbeitet und bietet ein umfassendes Forschungsreservoir, nicht zuletzt für Abschlussarbeiten.

 
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Notizbücher zum Ritual

Die Manuskriptsammlung der Forschungsstelle „Handschriften aus alevitischen Familienarchiven“ in der Abteilung Islamwissenschaft

Kurzbeschreibung:

alevitische Handschrift
Auf dieser Seite eines Notizhefts ist ein Gebet aufgeschrieben, das ein alevitischer Geistlicher, der "Dede", spricht, wenn er sich auf dem für ihn im Ritual bestimmten Platz niederlässt.
(zum Vergrößern klicken)
Neben den ersten beiden Zeilen des Gebets sind zudem einige Namen notiert, darunter auch die zweier Dichter von mystisch-religiöser Lyrik, denen unter Aleviten große Verehrung zuteil wird. Ob diese Namen als bloße Schreibübung hinzugefügt wurden oder in Verbindung zum Gebet stehen, ist nicht ersichtlich.

Mit den Handschriften aus alevitischen Familienarchiven beherbergt die Abteilung Islamwissenschaft am Seminar für Sprachen und Kulturen des Vorderen Orients eine Sammlung, die als Glücksfall für die Wissenschaft gelten kann. Die rund 30 Manuskripte unterschiedlichen Formats und Umfangs geben Einblicke in die religiöse Tradition der Aleviten, einer Glaubensrichtung des Islam, die vor allem in Anatolien verbreitet ist. Das Amt des Geistlichen wird im Alevitentum innerhalb bestimmter Familien vererbt – und damit auch das religiöse Wissen. Seit dem 16. Jahrhundert wurden alevitische Gemeinschaften aus machtpolitischen, später verstärkt aus religiösen Gründen sozial ausgegrenzt und versuchten daher, ihre Tradition vor Außenstehenden zu bewahren. Die betraf insbesondere das gemeinsam von Frauen und Männern begangene Gemeinderitual „Cem“, in dem neben Gesängen auch der Ritualtanz „Semah“ praktiziert wird, sowie Schriftzeugnisse. Mitunter wird berichtet, Manuskripte seien aus Angst vor staatlichen Repressalien vernichtet worden. Die Handschriften der Heidelberger Sammlung sind in mehrfacher Hinsicht außergewöhnlich: So sind schriftliche Zeugnisse generell eher selten, da die alevitische Tradition vor allem mündlich überliefert wird. Zudem ist bemerkenswert, dass den hiesigen Islamforschern im Jahr 2004 das Vertrauen entgegengebracht wurde, die Manuskripte als unbefristete Leihgabe zu beherbergen. Nicht zuletzt sind auch der Umfang und gute Zustand dieser seltenen Quellen hervorzuheben.

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Foto: Janina Karolewski

Das Foto zeigt den noch leeren Platz eines alevitischen Geistlichen, des "Dede", vor Beginn eines Rituals. Zwei Dedes haben ihre Plätze bereits eingenommen, links und rechts von ihnen haben sich die ersten Teilnehmer des Rituals eingefunden.

Die Handschriften stammen aus dem Besitz der Geistlichenfamilien des Şah İbrahim Veli und des Dede Kargın aus dem anatolischen Dorf Bicir. Das älteste Exemplar lässt sich auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts datieren, die jüngsten Texte wurden in den 1950er-Jahren niedergeschrieben. Sie umfassen Gesänge, Erzählungen und Details zum Ablauf des Cem-Rituals, klassische Dichtungen oder religiöse Traktate. Abschriften bekannter Texte des Alevitentums sind ebenso vertreten wie bisher unbekannte Inhalte. Die Bücher und Hefte sind teils in Schönschrift angefertigt, teils mit Anmerkungen und Korrekturen versehen. Vielfach wurden sie zum Vorlesen für Gemeindemitglieder genutzt oder von Geistlichen als Gedächtnisstütze aufbewahrt. Interessant sind dabei auch die Bestrebungen, Dichtung und andere Texte für den Eigengebrauch erstmals schriftlich festzuhalten. Abgefasst wurden die meisten Texte in arabisch-persischer Schrift, die auch nach der Schriftreform des Türkischen von 1928 noch verwendet wurde. Alle Handschriften sind digitalisiert, ihre Katalogisierung ist derzeit in Arbeit.

Umfang der Sammlung:

Die Sammlung umfasst 28 Manuskripte unterschiedlichen Formats und Umfangs. Weitere Handschriften aus anderen, meist privaten alevitischen Sammlungen liegen in Kopie vor.

Existiert seit:

Die Handschriften wurden den Heidelberger Islamforschern 2004 überlassen.

Nutzung in Forschung und Lehre:

Die Handschriften werden gemeinsam mit Reproduktionen anderer Manuskripte in der Forschungsstelle „Handschriften aus alevitischen Familienarchiven“ bearbeitet, die aus einem Teilprojekt des SFB „Ritualdynamik“ (2013 beendet) hervorgegangen ist. Ziel ist es zunächst, die Handschriften in einem Katalog zu beschreiben und der weiteren Bearbeitung zugänglich zu machen, was erheblich zur Grundlagenforschung über die alevitische Religionsgeschichte beiträgt: Rituale lassen sich in ihren Abläufen, Entwicklungen und Variationen nachvollziehen, Rückschlüsse auf eventuelle Vorläufer können gezogen und die schriftliche Weitergabe des religiösen Wissens beobachtet werden. Durch Kontakte zu alevitischen Gemeinden in den ländlichen Herkunftsregionen Anatoliens ist auch empirische Arbeit und der Vergleich der historischen schriftlichen Zeugnisse mit der heute „gelebten Tradition“ in der Türkei wie auch in der Diaspora möglich.

In der Lehre werden die Handschriften vor allem in der paläografischen Ausbildung eingesetzt, um den Studierenden das Lesen handgeschriebener Texte des Osmanischen im arabisch-persischen Alphabet beizubringen. Aufgrund des privaten Charakters der Schriften und ihrer Übergabe zur Bearbeitung speziell durch die Heidelberger Wissenschaftler ist eine weitere Öffnung der Schriften nach außen – sei es an externe Wissenschaftler oder die interessierte Öffentlichkeit – derzeit noch nicht möglich.

Das sagt der Sammlungsbeauftragte, Dr. Robert Langer:

„Die Universität Heidelberg hat auch dank unserer Manuskriptsammlung eine singuläre Stellung in der Alevitenforschung. Leider sind das weitere Bestehen, die wissenschaftliche Bearbeitung und die Pflege der Sammlung unklar. Die derzeitige Finanzierung als ein Projekt im Field of Focus „Kulturelle Dynamik in globalisierten Welten“ ist nur bis August 2014 gesichert. Schon jetzt fehlen die Mittel zur Anschaffung von Schränken für die angemessene Archivierung und eine professionelle Restaurierung, die bei vielen Schriften nötig wäre. Mit einer längerfristigen Finanzierung könnten wir die Sammlung mit Digitalisaten vergleichbarer Bestände weiter ausbauen – es gibt noch eine Vielzahl weiterer Schriften zum Alevitentum, die sich wissenschaftlich auswerten lassen. Die Forschung an der Handschriftensammlung kann schließlich als Alleinstellungsmerkmal der Heidelberger Osmanistik gelten, das weit über die „klassischen“ Themenfelder dieses Fachbereichs hinausweist.“

Tina Schäfer

Dieser Artikel ist in einer gekürzten Fassung im UNISPIEGEL 1/2014 erschienen.
E-Mail: Seitenbearbeiter
Letzte Änderung: 12.12.2014
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